Es gab am Montagnachmittag kein Unternehmen im deutschen Leitindex Dax mehr, das nicht gerupft wurde wie ein Suppenhuhn. Die Aktien der Deutschen Bank rauschten 15 Prozent in die Tiefe, den Autobauern BMW oder VW ging es nicht viel besser. An der Wall Street in New York wurde kurz nach der Eröffnung der Handel ausgesetzt.
An der Börse herrschte Ausverkauf, fast Panik. Verschärfend kam hinzu, dass auch der Ölpreis absackte. Was hat die Krisenstimmung an den Märkten zu bedeuten? Wie sollen sich Anleger verhalten? Darüber haben wir mit mehreren Experten gesprochen. Eines haben sie gemeinsam: Richtig ruhig ist keiner mehr.
Wie kam es zum Einbruch an den Börsen und wie ist er zu bewerten?
Als Hauptursache für das Börsenbeben gilt die Coronavirus-Epidemie weltweit. Investoren gehen offenbar davon aus, dass die Krankheit zu einer globalen Wirtschaftskrise führen kann. Der Ölpreisverfall verschärft die Verunsicherung. Der Ausverkauf an der Börse lässt selbst Experten nicht kalt: "Dies ist ein massiver Einbruch", sagt Anlageexperte Hermann-Josef Tenhagen vom Portal Finanztip.
Wer direkt mit Aktien zu tun hat, findet drastische Worte. Portfolio-Manager Thomas Altmann von QC Partners sprach von einem "regelrechten Blutbad" an den Märkten. "Anleger fliehen aus allem, was Risiko hat." Der Dax hatte bereits in den vergangenen Tagen massiv eingebüßt. Nach einem Rekordhoch Mitte Februar von 13789 Punkten hat er inzwischen rund ein Fünftel an Wert verloren.
Beruhigen sich die Märkte bald wieder oder muss man von einer längeren Krise ausgehen?
Einige Fachleute befürchten, dass der Einbruch weitere Kreise zieht und eine Erholung länger braucht. "Ich denke nicht, dass wir nur einen kurzfristigen Börseneinbruch sehen und in wenigen Wochen alles ausgestanden ist", sagt Professor Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanz-Zentrums. "Die Einschnitte können längerfristiger Natur sein", sagt er. Die Notenbanken hatten durch ihre Niedrigzinsen Börsenkurse und Immobilienpreise extrem befeuert. "Die Zeit war reif für einen Rückgang", sagt Gerke.
Dazu kommt: Da die Vernetzung der Wirtschaft über Lieferketten und Absatzmärkte hoch sei, könne es sein, dass der Einbruch durch das Coronavirus auf andere wirtschaftliche Sektoren überschlage. Die Autoindustrie beispielsweise verkaufe gerade in China weniger Autos, dabei gibt es mit der Diesel-Krise und dem Umbruch zur E-Mobilität sowieso schon genug andere Probleme.
"Ich sehe die Weltwirtschaft vor großen Schwierigkeiten, ausgehend insbesondere von China", sagt Gerke. "Hinter der Frage, ob exportabhängige Länder wie Deutschland und Japan hier so schnell rauskommen, steht ein großes Fragezeichen."
Auch Finanzexperte Tenhagen geht nicht von einer schnellen Erholung aus: "Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind bei Weitem nicht durchdekliniert."
In Italien werden ganze Gebiete wegen des Coronavirus abgeriegelt. Das Land ist wirtschaftlich angeschlagen. Droht hier ein weiterer Unsicherheitsfaktor?
Italien ist das Sorgenkind der EU. Die Schulden sind hoch, die Wirtschaft schwächelt. Nun kommt die Corona-Epidemie dazu. "Es ist sehr bedrohlich, was in Italien abläuft, ich sehe die Lage mit Sorgenfalten", sagt Finanzexperte Gerke. Norditalien mit Regionen wie Südtirol und der Lombardei sei der wirtschaftliche Motor Italiens.
"Wenn dieser Motor still steht – und das tut er derzeit angesichts der Epidemie –, hat ganz Italien ein Problem", sagt er. "Diese Entwicklung trifft am Ende die ganze EU." In der zurückliegenden Eurokrise galt Italien als großer Unsicherheitsfaktor.
Droht eine ähnliche Krise wie die Finanzkrise 2008/09?
"Die Rolle von Angst und sich eintrübenden Erwartungen ist ähnlich", sagt Ifo-Chef Clemens Fuest. "In der Finanzkrise lagen die Probleme aber in Immobilienblasen, Überschuldung und einem kollabierenden Vertrauen unter Banken. Die Probleme haben wir jetzt zum Glück nicht, dafür nicht nur Nachfrageeinbrüche, sondern auch Angebotsstörungen. Die Probleme liegen also heute schon anders."
Könnte die Europäische Zentralbank, die in der Eurokrise beherzt eingegriffen hat, die Lage beruhigen?
Das Problem ist, dass die Handlungsspielräume der EZB nur noch begrenzt sind. "Die EZB hat zu lange mit niedrigen Zinsen und Liquidität um sich geschossen", sagt Finanzexperte Gerke. Das rächt sich jetzt." Die Handlungsspielräume sind kleiner geworden. Trotzdem glaubt Gerke, dass die Notenbank alles versuchen wird, die Märkte mit noch mehr Liquidität – sprich Geld – auszustatten. Gelegenheit dazu bestünde am Donnerstag. Dann entscheidet der EZB-Rat über die Leitzinsen. Die Bank könnte die Zinsen noch weiter ins Negative senken und weiter Wertpapiere ankaufen.
Viele Depots von Privatleuten haben am Montag massiv an Wert verloren. Was sollen Anleger jetzt tun?
Wer breit gestreut und weltweit in Aktien angelegt hat und sein Geld die nächsten zehn Jahre nicht braucht, dem rät Hermann-Josef Tenhagen, die Füße still zu halten. "Lehnen Sie sich zurück und warten Sie ab", sagt er.
Ähnlich sieht es Ralf-Joachim Götz, Chefvolkswirt der Deutschen Vermögensberatung. "Wir haben einen außergewöhnlichen Einbruch – keine Frage, aber zum falschen Zeitpunkt auszusteigen, ist auch kein guter Ratgeber", sagt er. Starke Dax-Einbrüche habe es wiederholt gegeben, im Jahr 2008 um rund 40 Prozent, im Jahr 2002 gar um 44 Prozent. "Dies ist in den Folgejahren aber stets aufgeholt worden", betont Götz.
Wer sein Geld aber kurzfristig noch dieses Jahr braucht, dem rät Tenhagen, es bald "von der Börse weg" zu bekommen und in sichere Anlagen wie Tagesgelder zu legen.
Sind jetzt vielleicht gute Einstiegskurse?
Tenhagen rät, noch abzuwarten, bevor man die Kurse zum Kauf neuer Aktien oder Fonds nutzt. "Man hört von der Börse, dass es praktisch keine Käufer mehr gibt", sagt er. Die Korrektur könnte noch länger anhalten. "Jedes Prozent, zu dem man tiefer einsteigt, entspricht aber am Ende einem Prozentpunkt Rendite", sagt er.
Was bedeutet es, wenn auch der Ölpreis abgestürzt ist?
Der Einbruch am Ölmarkt hat vor allem politische Gründe, erklärt Gerke. Grund ist ein Streit zwischen Saudi-Arabien und Russland um die Fördermenge. Russland will die Ölförderung nicht wie versprochen kürzen. Jetzt erhöht Saudi-Arabien im Gegenzug seine Förderung. "Einigen sich Russland und Saudi-Arabien doch noch, kann der Ölpreis auch wieder steigen", sagt Gerke. Der niedrige Ölpreis ist zwar ein Indikator für eine schwache Weltkonjunktur. "Umgekehrt sind hohe Ölpreise auch nicht gut zum Beispiel für die chemische Industrie", sagt er.
Für den Verbraucher hat der Ölpreisverfall sein Gutes: Benzin und Heizöl sind bereits billiger geworden, sagt Marc Deisenhofer, Geschäftsführer des Energiehändlers Praeg in Kempten. (mit dpa)
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