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Interview: Pistorius (SPD): "Für meinen Geschmack war das eine GroKo zu viel"

Interview

Pistorius (SPD): "Für meinen Geschmack war das eine GroKo zu viel"

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    Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius will Parteivorsitzender werden: „Die SPD muss wieder die Partei werden, die zuhört.“
    Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius will Parteivorsitzender werden: „Die SPD muss wieder die Partei werden, die zuhört.“ Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Die SPD befindet sich in einer desolaten Lage. Andrea Nahles musste nach etwas mehr als einem Jahr als Parteichefin aufgeben. Die Partei sucht schon wieder eine neue Führung. Wie ernst ist die Lage der

    Boris Pistorius: Man kann ohne Übertreibung sagen, dass das für die SPD eine der schwierigsten Situationen in ihrer bundesrepublikanischen Geschichte ist. Deswegen treten wir jetzt an, dass es besser wird.

    Sie haben sich als Partei einen regelrechten Marathon vorgenommen. In 23 Regionalkonferenzen soll die neue Spitze ausgesiebt werden. Bis Anfang Dezember wird das dauern und die Wähler fragen sich, ob nicht auch fünf Konferenzen gereicht hätten?

    Pistorius: Ich zitiere jetzt einmal Peer Steinbrück – „hätte, hätte, Fahrradkette“. Darüber kann man jetzt wunderbar diskutieren, aber das ist völlig fruchtlos. Es wäre Ausdruck eines der Fehler, den die SPD in der Vergangenheit gemacht hat, nämlich endlos über Dinge zu diskutieren, die schon entschieden sind.

    Sie treten gemeinsam mit der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping an. Auf welchen Kurs wollen Sie die SPD schicken, sollten Sie gewinnen?

    Pistorius: Petra Köpping und ich kommen aus der Kommunalpolitik. Da haben wir unsere Wurzeln, da haben wir angefangen und gearbeitet. Jetzt tragen wir als Minister Verantwortung in der Landespolitik. Wir glauben, dass ein Aufbruch der SPD am allerbesten gelingen kann, wenn jetzt die Impulse von der Landes- und der kommunalen Ebene kommen. Die SPD muss wieder die Partei werden, die zuhört und sich um die konkreten tagtäglichen Fragen, Probleme und Sorgen vieler Menschen kümmert.

    Was sind denn die großen Fragen, die die Wähler haben?

    Pistorius: Viele Menschen, die jede Woche 40 Stunden arbeiten und von ihrem Einkommen leben und nicht auf Kapitalerträge zurückgreifen können, sorgen sich, abzusteigen. 40 Prozent der Haushalte in Deutschland können von ihrem Einkommen nichts zur Seite legen und Vermögen aufbauen, zum Beispiel für die Ausbildung der Kinder, Wohneigentum oder die eigene Altersvorsorge. Sie fragen sich: Können wir uns die Pflege der Eltern leisten? Sie fragen sich: Was heißt der Klimaschutz für mich? Wie teuer wird Autofahren für mich als Pendler? Was bedeutet die Digitalisierung für meinen Beruf und welche Chancen und Risiken bedeutet sie für meine Zukunft? Das sind Fragen, die täglich diskutiert werden. Da müssen wir zuhören und Antworten geben.

    Für welche Antworten stehen Sie und Petra Köpping?

    Pistorius: Zu einer Politik für mehr soziale Gerechtigkeit gehört eine Steuerreform. Wir wollen die geringen und mittleren Einkommen entlasten. Der Spitzensteuersatz darf erst von einem deutlich höheren Einkommen greifen. Die normalen Arbeitseinkommen müssen wir vor allem bei den Sozialabgaben entlasten und diese zum Beispiel durch Mehreinnahmen aus einer erhöhten Kapitalertragssteuer finanzieren. Wir müssen deutlich mehr für Bildung und Forschung, für die Energiewende, Verkehrswende und Gebäudewende, die Infrastruktur und Digitalisierung tun. Dafür wollen wir ein 450-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm über zehn Jahre, damit wir im internationalen Vergleich endlich vorankommen und zukunftsfähig werden.

    "Es wird nicht gegen die Industrie gehen, sie muss mitziehen"

    Und für die beiden Großthemen Migration und Klima?

    Pistorius: Der Klimaschutz ist zweifelsohne das wichtigste Thema unserer Zeit, weil auch unsere Kinder und Enkel noch auf einem lebenswerten Planeten leben sollen. Wir dürfen aber bei der Diskussion den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht vergessen. Es wird nicht gegen die Industrie gehen, sie muss mitziehen. Der wichtigste Anreiz ist eine CO2-Bepreisung. Wir brauchen die Industrie, um Innovationen zu entwickeln. Als SPD müssen wir sehr aufpassen, dass nicht diejenigen die Rechnung zahlen, die von ihrer Hände Arbeit leben. Wegen der sich abzeichnenden Rezession kann man auch zwei Faktoren zusammenbringen – eben durch das große Investitionspaket für die nächsten zehn Jahre.

    Würden Sie dafür die schwarze Null, den ausgeglichenen Haushalt, opfern?

    Pistorius: Die schwarze Null darf kein Selbstzweck sein. Um das Land wetterfest zu machen für die nächsten zehn Jahre und den Klimaschutz zu stärken, muss man ernsthaft darüber nachdenken.

    Die Flüchtlingskrise und ihre Folgen bewegen das Land noch immer, wie die Wahlerfolge der AfD zeigen. Was muss bei der Einwanderung anders laufen?

    Pistorius: Ich habe immer eine klare Linie gehabt. Wir brauchen ein funktionierendes Asylsystem für diejenigen, die unseren Schutz brauchen vor politischer Verfolgung und Bürgerkrieg. Und wir brauchen ein pragmatisches Einwanderungsgesetz für Menschen, die wir auf dem Arbeitsmarkt brauchen. Wir müssen auf allen Ebenen konsequent für Integration sorgen, aber auch genauso konsequent sein bei denen, die kein Bleiberecht haben oder straffällig geworden sind. Natürlich müssen sie dann zurückgeführt werden.

    Ein Teil Ihrer Wettbewerber um den Vorsitz will die SPD aus der Großen Koalition führen. Was wollen Sie?

    Pistorius: Für meinen Geschmack war das eine Große Koalition zu viel. Wir haben uns aber auf sie eingelassen und die Mitglieder haben zugestimmt. Das heißt nicht, dass man aus Prinzip bis zum Ende weitermachen muss, aber es heißt genauso wenig, dass man aus taktischen Gründen, oder weil man sich nicht mehr wohlfühlt, die Koalition verlässt.

    Wollen Sie nun drinbleiben oder die GroKo kündigen?

    Pistorius: Wir haben ja verabredet, sorgfältig Bilanz zu ziehen. Die Bilanz wird im Oktober erstellt und im Dezember auf dem Parteitag darüber abgestimmt, wenn wir auch über die neue Parteispitze endgültig entscheiden. An diese Vereinbarung zum Verfahren sollten wir uns halten. Letztlich geht es darum, ob die Koalition ein Jahr vor ihrem regulären Ende beendet wird oder nicht. Wenn man den Schritt dennoch machen will, finden wir, muss man das inhaltlich und nicht taktisch begründen.

    Gibt es Gründe, die es aus Ihrer Sicht rechtfertigen?

    Pistorius: Dazu gehört als Prüfstein die Grundrente ohne Prüfung der Bedürftigkeit. Ein weiterer ist ein effizientes Klimaschutzgesetz, das gleichzeitig sozial gerecht ist und nicht die Falschen belastet. Und auch ein Investitionsprogramm, falls die Union das nicht mitträgt.

    Boris Pistorius, 59, ist Niedersachsens Innenminister. Zuvor war er Oberbürgermeister von Osnabrück und Innenminister von Niedersachsen.

    Wer sich alles um den Parteivorsitz der SPD bewirbt, lesen Sie hier.

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