Herr Kerner, wie groß ist die Gefahr, dass Airbus das zum Konzern gehörende Luftfahrtwerk in Augsburg zerschlägt, ja, dass der Premium-Aerotec-Standort auf Dauer ausblutet?
Jürgen Kerner: Es gibt die Gefahr, dass der Standort zerschlagen wird, weil dies die Konsequenz der Pläne des Airbus-Managements ist. Für den Betriebsrat und die IG Metall stellt eine Zerschlagung von Premium Aerotec klar eine rote Linie dar.
Doch das Airbus-Management wirkt wild entschlossen.
Kerner: Man muss die Folgen dieser Pläne bedenken. Denn nach der Zerschlagung des Standortes in eine Sparte für große Strukturbauteile und kleinere Einzel-Komponenten würde der größte Teil mit rund 2200 von noch etwa 2800 Mitarbeitern in die neue Gesellschaft für die Einzelteilefertigung wandern. Die Zukunft des Bereichs wäre offen, ja er könnte sogar verkauft werden und dann dem Preisdruck günstigerer Anbieter in Osteuropa, Asien oder Nordafrika ausgesetzt werden. Die Existenz der kleineren drei Werksteile in Augsburg ist ebenfalls auf Dauer gefährdet. Bei allen drei Werksteilen könnte nach einer Zerschlagung langfristig die Frage auftauchen, ob sie jeweils noch die kritische Größe haben, also wirtschaftlich betrieben werden können.
Im schlimmsten Fall könnte der Luftfahrt-Standort ganz verschwinden, wie es in Augsburg dem Osram-Werk nach dem Verkauf an das chinesische Unternehmen Ledvance ergangen ist.
Kerner: Diese Gefahr besteht. Der Fall Osram ist ein abschreckendes Beispiel für die Folgen der Zerschlagung von Unternehmen: Denn zu dem Werk gehörte früher auch der Teil in Schwabmünchen. Doch Augsburg wurde abgespalten und an die Chinesen von Ledvance verkauft, während Schwabmünchen bei Osram blieb und überlebte. Wenn beide Werke zusammengeblieben wären, also die Vorprodukteproduktion in Schwabmünchen und die Lampenproduktion in Augsburg, wären die Überlebenschancen für das Augsburger Werk größer gewesen. Das Augsburger Luftfahrtwerk muss als Ganzes erhalten bleiben.
Warum soll Premium Aerotec bluten und zerschlagen werden, während dem französischen Airbus-Zulieferer Stelia ein solches Schicksal erspart bleibt?
Kerner: Hier wird von Airbus-Seite verkürzt argumentiert: Es wird behauptet, in Frankreich sei viel mehr Produktion von Einzelteilen in Billigländer, etwa nach Nordafrika verlagert worden. Gleichzeitig wird behauptet, bei Premium Aerotec sei das nicht ausreichend passiert. Das stimmt nicht, auch hier wurde Produktion in das eigene rumänische Werk oder in die Türkei verlegt. Hier argumentiert Airbus nicht sauber. Während in Frankreich Airbus alles zusammenhalten will, soll in Deutschland alles zerlegt werden.
Da müssten die Bundesregierung und die betroffenen Landesregierungen in Bayern und Niedersachsen rebellieren, schließlich hält der deutsche Staat knapp elf Prozent an Airbus.
Kerner: Die deutsche Politik muss handeln und Einfluss auf Airbus nehmen, die Zerschlagung von Premium Aerotec zu verhindern. Airbus und Premium Aerotec sind das Rückgrat der deutschen Luftfahrtindustrie. Dabei werden Airbus und Premium Aerotec massiv vom deutschen Staat subventioniert.
Will Airbus das Augsburger Werk aushungern?
Kerner: Ich unterstelle niemandem bei Airbus, dass es eine Agenda gegen Augsburg gibt. Die Sorgen der Beschäftigten im niedersächsischen Werk in Varel sind genauso groß. Ich kritisiere hingegen das unschlüssige Konzept von Airbus. Denn im größten Augsburger Werksteil werden nicht nur Kleinteile, sondern auch das große Rumpfende vor allem für Airbus-Flugzeuge der A320-Familie hergestellt.
Doch Premium Aerotec ist keine Erfolgsgeschichte. Das Unternehmen litt unter Qualitätsproblemen und Verlusten. Muss Airbus hier nicht handeln?
Kerner: Wir sperren uns nicht dagegen, dass Airbus das Geschäft schlanker und wettbewerbsfähiger aufstellt. Mich stört aber, dass Airbus-Manager einen Kübel voller Häme über Premium Aerotec ausschütten, nach dem Motto: Jetzt habt ihr lange nichts hinbekommen, jetzt muss Premium Aerotec zerschlagen werden. Dabei gehört das Unternehmen ja zu 100 Prozent zu Airbus. Wenn Airbus also mit einem Finger auf die Augsburger Tochter Premium Aerotec zeigt, zeigen immer zwei Finger zurück. Airbus ist ja der einzige Eigentümer von Premium Aerotec und auch der einzige Kunde. Und Premium Aerotec wird auch noch von Airbus-Managern geführt.
Der Aufschrei der Politik in Bayern und im Bund gegen die Zerschlagungspläne von Airbus hält sich bisher in Grenzen. Haben hier Airbus-Lobbyisten wirkungsvolle Arbeit geleistet?
Kerner: Es gab vorab von Airbus gegenüber der Politik in Deutschland, hinunter bis zu Landräten in Niedersachsen, eine massive Charme-Offensive. Das Thema wurde als reine Veränderung auf gesellschaftsrechtlicher Ebene runtergespielt. Den Politikern wurde gesagt, die Veränderungen hätten keine negativen Auswirkungen. Doch nachdem Betriebsräte und Gewerkschafter den Politikern in Norddeutschland oder in Augsburg die Folgen dieser Airbus-Strategie geschildert haben, ist ihnen das wie Schuppen von den Augen gefallen. So geht die Airbus-Strategie gründlich schief. Viele Politiker haben das Gefühl, sie würden von Airbus verschaukelt. Vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil war bereits zu hören, seine Landesregierung werde die Airbus-Pläne so nicht akzeptieren.
Die politische Nord-Allianz steht also. Wie sieht es mit Bayern aus?
Kerner: Aktuell hat sich auch die bayerische Staatskanzlei eingeschaltet. Wir brauchen eine starke Allianz der Politiker, die Premium-Aerotec-Standorte im Norden und im Süden vertreten. Am Ende läuft alles auf einen Termin im Kanzleramt hinaus. Das Kanzleramt vertritt bei Airbus politisch die deutschen Interessen gegenüber dem geschlossen auftretenden Frankreich.
Warum steht hierzulande die politische Allianz gegen die Zerschlagungspläne noch nicht so fest wie früher?
Kerner: Ich befürchte, dass sich einige Politiker von einem möglichen Käufer der Einzelteilefertigung von Premium Aerotec zu stark beeindrucken lassen. Der österreichische Investor Michael Tojner wirbt ja gegenüber deutschen Politikern dafür, die Einzelteilefertigung von Premium Aerotec in sein Luftfahrt-Unternehmen Montana Aerospace zu integrieren. Da denkt sich sicher mancher Politiker: Das ist doch prima. Airbus trennt sich etwa von einem großen Teil des Augsburger Werkes und ein neuer Investor steht bereit.
Warum wäre das keine gute Lösung? Herr Tojner hat doch mit dem Batteriehersteller Varta in Nördlingen und Ellwangen bewiesen, dass er eine Firma voranbringen kann.
Kerner: Welcher Investor auch immer die Kleinteile-Fertigung übernimmt, wird sofort vom Auftraggeber Airbus massiv unter Kostendruck gesetzt. Das wirkt sich nachteilig für die Beschäftigung aus. Der Druck, die Produktion ins kostengünstigere Ausland zu verlagern, steigt dann immens. Ein reiner Einzelteilefertiger kann schwer überleben. Da müsste schon ein Märchenprinz mit viel Geld, zusätzlicher Beschäftigung und Idealismus kommen. Doch so einen Märchenprinzen sehe ich weit und breit nicht.
Herr Tojner ist also kein Märchenprinz?
Kerner: Nein. Er ist sicher ein erfolgreicher Unternehmer, wie er mit Varta bewiesen hat. Ich glaube aber nicht, dass er zusätzliche Arbeit für die Fabriken in Augsburg und Varel im Rucksack hat
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