Nach dem überraschenden Rücktritt von Sabine Lautenschläger aus dem Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) hat die Bundesregierung den Anspruch Deutschlands auf den Posten bekräftigt. "Mit Blick auf die Nachfolge erhebt Deutschland als größter Mitgliedsstaat des Euroraums den Anspruch, weiterhin ein deutsches Mitglied im EZB-Direktorium zu stellen", teilte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums am Donnerstag mit. "Deutschland wird in Kürze eine geeignete Kandidatin bzw. Kandidaten für die Nachfolge benennen."
Als aussichtsreiche Anwärterinnen gelten Medienberichten zufolge unter anderen die Vize-Präsidentin der Deutschen Bundesbank, Claudia Buch, und die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel.
Lautenschläger äußerte sich zum Kurs der EZB kritisch
Die EZB hatte am Mittwochabend mitgeteilt, dass Lautenschläger ihren Posten im sechsköpfigen EZB-Direktorium zum 31. Oktober dieses Jahres aufgeben wird - und damit mehr als zwei Jahre vor Ende ihrer regulären achtjährigen Amtszeit, die noch bis 26. Januar 2022 gedauert hätte. Im Streit um den Kurs der EZB sieht sich damit erneut ein deutsches Mitglied des Führungsgremiums zum Rücktritt gezwungen.
Die Juristin Lautenschläger hatte sich wiederholt kritisch zu den milliardenschweren Anleihenkäufen der Notenbank geäußert. EZB-Präsident Mario Draghi hatte die zeitlich unbegrenzte Wiederaufnahme der umstrittenen Geschäfte bei der jüngsten EZB-Sitzung am 12. September gegen heftige Widerstände durchgesetzt.
Die EZB machte in einer knappen Mitteilung am Mittwochabend keine Angaben zu den Gründen für Lautenschlägers Schritt. Draghi dankte der 55-Jährigen "für ihre maßgebliche Rolle beim Aufbau und der Steuerung der europaweiten Bankenaufsicht".
Insgesamt sechs Mitglieder gehören zum Direktorium der EZB
Die ehemalige Bundesbank-Vizepräsidentin Lautenschläger gehört dem EZB-Direktorium seit dem 27. Januar 2014 an. Bis Februar des laufenden Jahres war sie neben ihrer Rolle in der Geldpolitik Vize-Chefin der EZB-Bankenaufsicht ("Single Supervisory Mechanism"/SSM). Die EZB beaufsichtigt seit November 2014 die größten Banken und Bankengruppen im Euroraum direkt.
Das Direktorium der EZB führt die Geschäfte der Notenbank. Außer dem Präsidenten gehören dem Gremium der Vizepräsident - aktuell der Spanier Luis de Guindos - sowie vier weitere Mitglieder an. Derzeit sind dies außer Lautenschläger der Franzose Benoît Cœuré, der Luxemburger Yves Mersch und der Ire Philip Lane als Chefvolkswirt.
Lautenschläger hatte sich vor der jüngsten geldpolitischen Sitzung der EZB gegen eine Wiederaufnahme der Käufe von Staatsanleihen ausgesprochen. Doch die Währungshüter zogen noch einmal alle Register - zum Leidwesen von Sparern und Banken. Die Zentralbank verlangt von Banken nicht nur höhere Strafzinsen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Sie steckt ab November zudem monatlich 20 Milliarden Euro in den Erwerb von Anleihen - und das zeitlich unbefristet.
Das "System Draghi" läuft auch nach Draghis Amtszeit weiter
Selten äußerten so viele Notenbankchefs gewichtiger Euroländer Kritik an einem Beschluss des EZB-Rates. Aus Sicht von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann ist die EZB "über das Ziel hinausgeschossen". Auch die Notenbankchefs von Österreich und den Niederlanden, Robert Holzmann und Klaas Knot, distanzierten sich. Vor wenigen Tagen machte der Präsident der französischen Notenbank, Francois Villeroy de Galhau, seine ablehnende Haltung zur Wiederauflage der Anleihenkäufe öffentlich.
Aus Notenbankkreisen verlautete am Donnerstag, Lautenschläger sei zermürbt gewesen vom "System Draghi", in dem der Präsident Entscheidungen durchsetze und nicht den Konsens suche. Sie habe auch wenig Hoffnung gehabt, dass sich der Kurs unter Draghis designierter Nachfolgerin Christine Lagarde absehbar ändern werde.
Die bisherige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat sich bereits offen für eine Fortsetzung der extrem lockeren Geldpolitik gezeigt. Die Französin Lagarde soll den Spitzenposten bei der EZB zum 1. November übernehmen. Die achtjährige Amtszeit des Italieners Draghi endet am 31. Oktober 2019.
Draghi wollte durch Geldlockerung die Wirtschaft ankurbeln
An Anleihenkäufen als Mittel der Geldpolitik hatte sich immer wieder Kritik entzündet. Gegner fürchten, Staaten könnten durch das billige Notenbankgeld in ihrem Reformwillen gebremst werden. Am Ende finanziere die Zentralbank klamme Euroländer. 2011 legten der damalige Bundesbank-Präsident Axel Weber und der damalige EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark im Streit ihre Ämter nieder.
Draghi hatte die erneute Lockerung der Geldpolitik mit umfangreichen Risiken für die Konjunktur gerechtfertigt. Die Geldschwemme soll letztlich bewirken, dass Unternehmen und Verbraucher leichter an Kredite kommen. Das soll Wirtschaft und Inflation ankurbeln.
Erst Ende Dezember hatte die EZB ihr gewaltiges Kaufprogramm von Staats- und Unternehmensanleihen vorerst beendet. Seit Januar fließt kein frisches Geld mehr in diesem Rahmen, Gelder aus auslaufenden Wertpapieren werden jedoch reinvestiert. Von März 2015 bis Ende 2018 steckte die EZB rund 2,6 Billionen Euro in Anleihen. (dpa)