Herr Hoffmann, Finanzminister Scholz macht den Schäuble und hält am Sparkurs fest. Sie selbst sprechen sich stets für kräftige Investitionen aus. Ist Scholz zu knausrig?
Reiner Hoffmann: Wir werden genau darauf achten, dass die Zusagen des Koalitionsvertrags eingehalten werden. Jetzt muss die Bundesregierung liefern. Schulen und Berufsschulen etwa müssen – wie versprochen – besser ausgestattet werden. Gleiches gilt für Investitionen in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und in bezahlbare Wohnungen. Wir werden die Große Koalition daran messen, dass das, was versprochen wurde, ob Investitionen oder Verbesserungen für die Beschäftigten, auch umgesetzt wird.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hat kritisiert, dass Unternehmen zu wenig Geld für Weiterbildung ausgeben. Was muss passieren, um Deutschland fit für die Digitalisierung zu machen?
Hoffmann: Weiterbildung ist ein Mega-Thema gerade im Hinblick auf den digitalen Wandel, der im vollen Gange ist. Wir müssen massiv in Bildung investieren. Nur so kann der digitale Wandel gelingen. Das fängt bei der frühkindlichen Bildung in den Kitas an, geht über Schulen und Berufsschulen bis hin zu Universitäten. Weiterbildung heißt heute, dass wir uns auf lebenslanges Lernen einstellen müssen.
Das klingt anstrengend. Müssen sich Beschäftigte permanent weiterbilden?
Hoffmann: Jeder erlebt doch mittlerweile, dass eine einmal abgeschlossene Berufsausbildung nicht mehr für das ganze Arbeitsleben reicht. Dazu wird aber eine neue Bildungskultur notwendig: Bildung muss wieder Spaß machen. Doch wenn man sich heute den Zustand von Schulen anschaut, mag man seine Kinder da nicht hinschicken. Das fängt bei kaputten und dreckigen Toiletten an und geht weiter zu maroden Dächern, fehlenden Räumen und veralteter Ausstattung. Es ist für eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt inakzeptabel, dass die Schulen in einem so maroden Zustand sind. Zudem gibt es einen enormen Bedarf an zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrern.
Die von Ihnen beschriebenen Defizite gibt es auch im reichen Bayern. Dafür werden jetzt in den Amtsstuben des Freistaats Kreuze aufgehängt.
Hoffmann (lacht): Und das ist teuer. Doch Bayerns Ministerpräsident Söder erlebt nun sein Kreuz mit dem Kreuz. Dieser Vorstoß stößt ja selbst bei Kardinal Marx auf Widerstand, was interessant ist. Söder legt einen klassischen Fehlstart hin.
Weg von Bayern und hin zur Großen Koalition. Union und SPD wollen das Thema „Digitalisierung“ anpacken. Welche Chancen stecken darin für die Beschäftigten?
Hoffmann: Wir müssen diesen technologischen Wandel so gestalten, dass er gute Arbeit schafft. Dazu gehören Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Menschen wollen souveräner mit ihrer Arbeitszeit umgehen. Vor allem junge Menschen haben da andere Interessen. Das zeigt sich am letzten Bahn-Tarifabschluss. Beschäftigte können hier zwischen mehr Geld und mehr Urlaub wählen. Mehr als jeder zweite Beschäftigte hat sich für mehr Urlaub entschieden.
Die neue Arbeitswelt führt also auch zu einer neuen Tarifpolitik. Doch bei allen Chancen treten immer mehr Missstände auf. Was sind Ihre Haupt- Kritikpunkte?
Hoffmann: In der digitalen Welt empfinden sich Firmen wie etwa das US-Unternehmen Uber, das Mitfahrgelegenheiten online vermittelt, als reiner Plattform-Dienst und nicht als normaler Arbeitgeber. Doch Konzerne wie Uber sind Arbeitgeber und ihre Beschäftigten sind Arbeitnehmer und keine Selbstständigen. Wer sich als Fahrer bei Uber verdingt, kann den Fahrpreis zum Beispiel nicht selbst bestimmen. Rund 20 Prozent des Fahrpreises behält Uber ja für sich ein. Der Fahrer ist also ganz klar ein abhängig Beschäftigter. Uber müsste also überall regulär Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zahlen.
Führen die Gewerkschaften gegen diese digitalen US-Konzerne nicht einen überwiegend aussichtslosen Kampf, wie das Beispiel Amazon etwa in Graben bei Augsburg zeigt?
Hoffmann: Bei Amazon sind wir mit frühkapitalistischen Zuständen konfrontiert. Das Unternehmen sträubt sich, die Mitarbeiter nach dem Tarifvertrag des Handels und damit besser als heute zu bezahlen. Das Amazon-Management weigert sich aber nicht nur, mit der Gewerkschaft Verdi Tarifverträge abzuschließen, sondern die Arbeit von Betriebsräten wird auch noch systematisch behindert. Davon konnte ich mich bei einem Besuch bei Amazon im hessischen Bad Hersfeld überzeugen.
Warum kann sich Verdi bei Amazon nicht durchsetzen?
Hoffmann: Viele Beschäftigte bekommen nur befristete Arbeitsverträge – das erzeugt hohen Druck. Wer nur einen befristeten Job wie bei Amazon hat, tut sich schwer, gegen seinen Arbeitgeber zu opponieren. Er setzt sich dem Risiko aus, rausgeschmissen zu werden oder nach Ablauf seines Arbeitsvertrages keine Verlängerung zu bekommen. Insofern ist es gut, dass die Große Koalition die sachgrundlose Befristung von Jobs abschaffen will.
Konzerne wie Amazon, Apple, Facebook oder Google häufen enorme Digitalisierungsgewinne an. Sie sind die Dagobert Ducks unserer Zeit. Was passiert mit den Verlierern der Digitalisierung?
Hoffmann: Zunächst einmal müssen wir diese Konzerne in die Pflicht nehmen, anders als heute dort Steuern zu zahlen, wo das Unternehmen Geschäfte macht. Ich begrüße sehr, dass die EU-Kommission hier Druck macht. Wir wollen, dass diese Konzerne ordentlich auf ihre Digitalisierungsgewinne Steuern zahlen, und zwar dort, wo sie erwirtschaftet wurden – auch in Deutschland. Das Geld könnte gut für die Weiterbildung eingesetzt werden, die so dringend notwendig ist. Und eines ist klar: Auch wenn für die US-Konzerne im Silicon Valley Mitbestimmung ein Fremdwort ist, müssen sie sich hierzulande an unsere Spielregeln halten.
SPD-Chefin Andrea Nahles hat noch eine andere Finanzquelle entdeckt, um Milliarden für die Weiterbildung lockerzumachen. Sie will die Überschüsse aus der Arbeitslosenversicherung dafür hernehmen. CDU-Spitzenpolitiker Carsten Linnemann möchte aber lieber den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung stärker als geplant senken. Was ist der richtige Ansatz?
Hoffmann: Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ist keine gute Lösung. Wir müssen vielmehr die gute wirtschaftliche Lage nutzen, um uns fit für die Digitalisierung zu machen. Die Bundesagentur für Arbeit braucht das Geld für diese Weiterbildung. Der Vorschlag von Andrea Nahles geht absolut in die richtige Richtung.
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland ist ein Erfolg für die Gewerkschaften. Doch viele Unternehmen umgehen die Regelung, etwa Speditionen, indem sie Fahrer aus dem Ausland engagieren. Wie lässt sich der Missbrauch entgegenwirken?
Hoffmann: Wir brauchen bessere Kontrollen. 2015 hat der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble 1600 zusätzliche Stellen beim Zoll dafür versprochen. Da tritt man jetzt, drei Jahre später, immer noch auf der Stelle. Wir fordern, dass die Planstellen endlich auf 10000 aufgestockt werden. Immerhin werden, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung herausgefunden hat, rund zwei Millionen Menschen in unserem Land um den Mindestlohn betrogen. Das ist ein Skandal. Das ist Lohndiebstahl.
Ein Skandal wäre sicher auch, wenn US-Präsident Trump einen Handelskrieg mit Europa losbricht. Wie stark würde das Deutschland treffen?
Hoffmann: Ein solcher Handelskrieg würde nur Verlierer produzieren, nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch in den USA. Den Preis dafür müssten sicher die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen. Wir brauchen keine neuen Zölle, sondern faire Spielregeln – in Europa und in den USA. Das ist das Gegenteil dessen, was Trump will. Insgesamt zahlen die Amerikaner, wenn sie Waren nach Europa exportieren, mitunter mehr an Zöllen als umgekehrt – aber in Maßen. Bei manchen Exportprodukten zahlen wir mehr. Für diese Differenzen kann man Lösungen finden.
Trump fordert auch höhere Verteidigungsausgaben von Deutschland. Was sagt der DGB-Chef dazu?
Hoffmann: Das lehnen wir als Gewerkschafter ab. Wir brauchen vielmehr deutlich mehr Geld, um Fluchtursachen in Krisen- und Kriegsgebieten zu bekämpfen. Hier unterstütze ich die Position des CSU-Entwicklungsministers Gerd Müller. Fluchtursachen bekämpft man nicht, indem man die Rüstungsausgaben erhöht. Was die Ausgaben für die Entwicklungspolitik betrifft, haben wir deutlichen Nachholbedarf.