Noch ist nichts in trockenen Tüchern. Und Widerstand gegen den von Deutschland und Frankreich vorgeschlagenen sogenannten Wiederaufbau-Fonds, hat sich auch schnell geregt. Demzufolge könnten insgesamt 500 Milliarden Euro als Hilfen an die Staaten fließen, die besonders hart von der Corona-Epidemie getroffen worden sind und finanziell bereits zuvor in schwerer Schieflage waren. Wenn ein Land diese Unterstützung besonders nötig hat, dann ist es Italien. Es war kein Zufall, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei der Vorstellung des Fonds am Montag Italiens schwer getroffene Tourismus-Branche als Beispiel für einen Empfänger der Hilfen nannte.
Italien ist das wirtschaftliche Sorgenkind Nummer eins in der EU. Das ist angesichts der hohen Staatsschulden in Höhe von rund 2,3 Billionen Euro (134 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) keine Neuigkeit. Die Corona-Pandemie und der beinahe totale Lockdown in Italien haben die Situation massiv verschärft. Das weiß man nicht nur in Rom, wo die deutsch-französische Initiative mit Erleichterung aufgenommen wurde, sondern auch in Berlin, Brüssel und Paris. Italien als drittgrößte Volkswirtschaft der EU mit seiner Wirtschaftsleistung, die rund 20 Prozent der europäischen Wirtschaftskraft ausmacht, ist für die Eurozone systemrelevant, heute mehr als je zuvor.
"Verlust der Wirtschaftsleistung zehn Prozent" – wenn es gut geht
Die Folgen der Corona-Krise treffen nicht etwa eine gesunde Volkswirtschaft, sondern einen Patienten, der mit Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank seit Jahren am Tropf der Geldpolitik hängt. „Wir hatten seit der Finanzkrise nie eine echte Erholung“, sagt die Ökonomin Azzurra Rinaldi von der Sapienza-Universität in Rom. 20 Jahre lang gab es kein echtes Wirtschaftswachstum mehr. Jetzt geht es nur noch darum, wie stark die italienische Wirtschaft von der gegenwärtigen Krise getroffen wird und welche Hilfen wie viel Schaden abwenden können. „Wenn es gut geht, wird der Verlust der Wirtschaftsleistung durch Corona zehn Prozent betragen, wenn es schlecht läuft, werden es 15 Prozent“, prognostiziert der Wirtschaftsprofessor Paolo Manasse von der Universität Bologna.
Die drastischen Folgen malen sich die Verantwortlichen bereits jetzt aus. Konjunkturprogramme werden die italienische Staatsschuldenquote auf bis zu 160 Prozent des BIP ansteigen lassen. Massenarbeitslosigkeit wird zu noch größeren sozialen Spannungen führen, als sie bereits gegenwärtig vor allem in Süditalien zu beobachten sind. Politisch gesehen ist anzunehmen, dass die Extremisten die Unzufriedenheit ausnutzen werden. Matteo Salvinis rechtspopulistische Lega, die im Notstand eher zahm blieb, lauert bereits.
Das größte Problem stellt der italienische Schuldenberg dar. Die Regierung in Rom hat bereits Hilfspakete mit einem Volumen von 75 Milliarden Euro aufgelegt, von der EU-Neuverschuldungsgrenze, die bei drei Prozent liegt, spricht niemand mehr. „Das europäische Konstrukt steht auf dem Spiel“, sagt Manasse. Denn schon bisher glich die Tragbarkeit der italienischen Staatsschuld einer Gratwanderung für ganz Europa. Die nun zusätzlich notwendigen Mittel setzen die Staatsbilanzen noch stärker der Spekulation der Märkte aus.
Corona-Krise: "Ohne die EZB wäre Italien bereits bankrott"
Es sind Wetten auf die Wahrscheinlichkeit, dass Rom seine Schulden noch bedienen kann. Essentiell sind dabei die massenhaften Käufe italienischer Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. „Ohne die EZB wäre Italien bereits bankrott“, ist sich Manasse sicher. Als seien die Probleme nicht schon groß genug, so hat gerade das Karlsruher Bundesverfassungsgericht die Geldpolitik der EZB als unzulässig kritisiert.
Nun nimmt die Wirtschaftskrise ihren Lauf und trifft ein Land ohne eigene Antikörper, aber mit vielen Infektionsherden wie Wachstumsschwäche, unzulänglicher Justiz und exzessiver Bürokratie. Die bisherigen Unterstützungen aus Rom kamen bei vielen Klein-Unternehmern bis heute nicht an. Dabei fordern Experten, besonders kleinere und mittlere Unternehmen müssten dringend rasch unterstützt werden, sonst drohten massenhafte Schließungen. Keine Antwort gibt es bislang auch auf die Frage, wie der Geldfluss nach Italien kontrolliert werden kann. „Die Sorge ist berechtigt“, sagt Ökonom Manasse. 100 Milliarden Euro Staatshilfen, auf diese Summe beziffern Ökonomen die notwendigen Zuwendungen, um das Schlimmste abzuwenden. Es wäre etwa die Summe, die Italien aus dem Wiederaufbau-Fonds beanspruchen könnte.
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