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ADAC-Skandal: Manipulation beim "Gelben Engel": Welche Ausmaße hat der ADAC-Betrug?

ADAC-Skandal

Manipulation beim "Gelben Engel": Welche Ausmaße hat der ADAC-Betrug?

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    Der "Gelbe Engel" des ADAC: Der Betrug bei der Abstimmung zu dem beliebten Autopreis bringt den ADAC in Bedrängnis.
    Der "Gelbe Engel" des ADAC: Der Betrug bei der Abstimmung zu dem beliebten Autopreis bringt den ADAC in Bedrängnis. Foto: Tobias Hase (dpa)

    Zahlen lügen nicht. Da ist eine Organisation, der fast jeder vierte Einwohner dieses Landes angehört. Die zwar nicht gemeinnützig, aber doch ein eingetragener Verein ist. Die über Jahre hinweg das höchste Vertrauen aller deutschen Institutionen genießt. Eine solche Organisation manipuliert doch nicht. Alles „Unterstellungen und Unwahrheiten“, wie Karl Obermair, der Geschäftsführer dieses Riesen, das am vergangenen Donnerstag noch nennt.

    ADAC-Betrug erschüttert die Glaubwürdigkeit der Marke

    Als gestern Früh die Erklärung des ADAC auf dessen Internetseite veröffentlicht wird, ist zwar nicht von Manipulation die Rede. Aber die Formulierung, die Zahl der abgegebenen Stimmen bei der Wahl zum Lieblingsauto des Jahres sei im eigenen Hause „geschönt worden“, reicht aus, um den größten europäischen Automobilklub im Kern zu erschüttern. Er testet Straßentunnel, Autos, Winterreifen. Für viele Eltern ist das schwarz-gelbe Prüfsiegel auf Kindersitzen eines der wichtigsten Kriterien für die Kaufentscheidung. Eine Marke, die Vertrauen erweckt, sagt Experte Ferdinand Dudenhöffer. „Die hat eine ganz hohe soziale Glaubwürdigkeit, die kommt dadurch zustande, dass Ihnen nachts um vier ein ADAC-Mitarbeiter hilft, wenn Sie ein Problem haben“, sagt der Professor. „So einer schummelt nicht.“

    Nun steht auch nicht im Raum, dass einer der rund 1700 Pannenhelfer zwischen Oberstdorf und Flensburg geschummelt hat. Diese Geschichte trifft vielmehr das Machtzentrum des Vereins mit seinem markanten Münchner Hochhaus, und sie beginnt Anfang vergangener Woche. Die Süddeutsche Zeitung schreibt, der ADAC habe die Zahlen zur Wahl des beliebtesten Fahrzeugs manipuliert, bei der die Leser des hauseigenen Magazins Motorwelt jedes Jahr abstimmen können, nun bereits zum zehnten Mal. Der Hersteller des meistgewählten Autos erhält eine kleine Skulptur, den „Gelben Engel“, der im Übrigen in acht weiteren Kategorien vergeben wird.

    Manipulation beim "Gelben Engel": Zahl der Stimmen wurde "geschönt"

    Gerade die Auszeichnung zum Lieblingswagen genießt in der Industrie hohes Ansehen, weil sie mit einem positiven Image verbunden und publikumswirksam verkauft wird. Entsprechend prominent ist immer die Gästeliste bei der Verleihung. Meist nehmen die Vorstandsvorsitzenden die Preise entgegen. Nun lautet der Vorwurf, das diesjährige Siegerauto, der VW Golf, habe bei der Abstimmung nicht 34 299 Stimmen erhalten, wie aus einem ADAC-Papier hervorgehe, sondern tatsächlich nur 3409. Das erste Dementi folgt umgehend.

    Zwei Tage später, am Donnerstag bei der feierlichen Übergabe des Preises vor 400 Gästen in München, legt Geschäftsführer Obermair dann richtig nach. Nichts sei älter als die Tageszeitung von gestern, spottet der Österreicher: „Mit der packt man den Fisch ein.“ Er könne versichern, dass das Ergebnis ein „hochrepräsentatives Abbild der Meinungen unserer Mitglieder“ darstellt. Nur: Wie viele Leser sich tatsächlich an der Abstimmung beteiligt haben, teilt der Verein nicht mit.

    ADAC-Skandal: Kommunikationschef Michael Ramstetter tritt zurück

    Auch gestern nicht, als die 180-Grad-Wende in Form einer Erklärung auf dem Tisch liegt. Darin heißt es: Kommunikationschef und Motorwelt-Chefredakteur Michael Ramstetter habe eingeräumt, dass bei der Leserwahl zum ADAC-Lieblingsauto „die absolute Zahl der abgegebenen Stimmen – nicht aber die Rangfolge der Ergebnisse – geschönt worden ist“. Er habe sich für sein Fehlverhalten entschuldigt. Und dann: „Als Konsequenz daraus legt Ramstetter mit sofortiger Wirkung sämtliche Funktionen und Aufgaben im ADAC nieder.“

    Ramstetters Geständnis bezog sich auf die diesjährige Wahl. Doch der Skandal könnte weit größere Ausmaße haben, denn Ramstetter soll die Teilnehmerzahlen zu der Umfrage über Jahre hinweg nach oben geschönt haben. Das habe ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair der Süddeutschen Zeitung bestätigt, berichtet das Blatt in seiner Montagausgabe.

    Ramstetter, 60, war seit Juni 1998 für Inhalt und Mitarbeiter des Magazins verantwortlich. Ein Mann mit großer journalistischer Erfahrung. Kollegen in seinem näheren Umfeld sagen aber auch: „Er war schwierig im Umgang.“ Ramstetter also soll alleine verantwortlich für die Tricksereien sein; wenn man so will, eine Art „gelber Bengel“ des ADAC. Weder die Geschäftsführung noch das Präsidium seien „zu irgendeinem Zeitpunkt über diese Unregelmäßigkeiten“ unterrichtet gewesen, heißt es in der Erklärung.

    "Wir werden in Berlin gehört": Darum hat der ADAC so viel Macht

    Schummelei beim ADAC – der Vorgang ist sensibler, als er auf den ersten Blick scheint. Es gibt in Deutschland keine Lobby-Organisation, die so viel Einfluss allein auf die Politik hat wie der Autoklub. „Wir werden in Berlin gehört – und das ist auch gut so“, sagte Obermair 2012 bei einem Besuch unserer Zeitung in der damals neuen Zentrale. Ob Benzinpreise, Pkw- und Lkw-Maut, neue Punkte-Regelung in Flensburg oder Tempolimit – der ADAC diktiert seine Meinung der Politik, aber auch Automobilkonzernen, die oft einlenken müssen.

    Aus den bescheidenen Anfängen ist so etwas wie ein Großkonzern mit etwa 8600 Beschäftigten und Einnahmen von über einer Milliarde Euro allein aus Mitgliedsbeiträgen geworden. Geführt wird der ADAC von vier Geschäftsführern mit Obermair an der Spitze sowie acht Präsidiumsmitgliedern mit unterschiedlichen Aufgabengebieten, die eine Art Aufsichtsrat bilden.

    Das ist der ADAC

    Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) wurde 1903 in Stuttgart gegründet.

    Bis 1911 hieß der ADAC noch Deutsche Motorradfahrer-Vereinigung (DMV).

    Der ADAC hat über 18,6 Millionen Mitglieder.

    Er ist damit der zweitgrößte Automobilclub der Welt und der größte Europas.

    Der Hauptsitz des ADAC ist in München.

    Er hat 15 Tochtergesellschaften, z.B. die ADAC Luftrettung oder die ADAC Autoversicherung.

    Der Mitgliedsbeitrag für eine Person beträgt zwischen 49 und 84 Euro jährlich.

    Das ganze Konstrukt aus Regionalklubs, Unternehmen, Beteiligungen und Wirtschaftsdiensten bis hin zu den Stiftungen ist verwirrend und selbst für Insider nur schwer zu durchschauen. Obermair räumt ein: „Sie werden ein Jahr brauchen, um die grobe Struktur des ADAC zu kapieren. Im zweiten Jahr verstehen Sie die Story hinter der Story. Und im dritten Jahr stellen Sie fest: Sie haben gar nix kapiert.“

    Gemessen daran erscheint die jetzige Zahlenfälschung vergleichsweise profan. Aber die Wirkung ist umso gewaltiger. Zur Diskussion steht der Markenkern des ADAC: die Glaubwürdigkeit. Noch Stunden nach Veröffentlichung der gestrigen Erklärung ist auf der Internetseite die Pressemitteilung vom Donnerstag zu lesen, in der von einem „manipulationssicheren Verfahren“ die Rede ist. Der Verein verspricht, „alle Vorwürfe lückenlos aufklären“ und für die Abstimmung im kommenden Jahr „ein notariell überwachtes Verfahren entwickeln“ zu wollen. In der Pressestelle heißt es, Glaubwürdigkeit sei das höchste Gut und dafür werde man alles tun. Das fordert auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der sich allerdings, mit Blick auf die ablehnende Haltung des ADAC zur Pkw-Maut, einen Seitenhieb nicht verkneifen kann. Die Vorgänge zeigten, dass „großen Verbänden manchmal etwas Bescheidenheit im Auftreten guttäte“.

    Auto-Experte Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen geht noch weiter. Er spricht von fehlenden Kontrollmechanismen im Klub. Die Manipulation werfe auch ein Schlaglicht auf andere Statistiken und Tests. „Auch die Pannen- und Tunnelstatistik müsste man jetzt untersuchen“, sagt er. In der Öffentlichkeit genießen diese Tests ein hohes Ansehen und Vertrauen. „Wenn sie beim Gelben Engel lügen, kann man das auch für die anderen Bereiche nicht ausschließen“, sagt er.

    Eine solch harte Kritik ist nicht neu. Weil er als Autofahrer-Lobby so stark ist, wird der ADAC immer wieder angegriffen. Vor allem die Finanzströme zwischen den Gesellschaften, Regionalklubs und Stiftungen gelten als undurchsichtig. Präsident Peter Meyer konterte früher solche Anfeindungen im Brustton der Überzeugung: „Ich verstehe diese Kritik nicht. Wir gehen den Weg der Transparenz.“ Obermair fügt hinzu: „Den Löwenanteil des Gewinns investieren wir in verbesserte Leistungen für unsere Mitglieder.“ Allein aus den Rücklagen der vergangenen Jahre konnte man, wie man hört, die neue, 300 Millionen Euro teure Zentrale bezahlen.

    Der ADAC und die Glaubwürdigkeit. Als unsere Zeitung Obermair Mitte 2012 fragt, woher denn das Vertrauen der annähernd 19 Millionen Mitglieder in den Klub komme, sagt er: „Weil sie wissen, dass sie sich auf uns verlassen können. Egal, ob es die Pannenhilfe ist oder es sich um Versicherungen handelt – wir sind ein Markenmonolith. Wo ADAC draufsteht, ist ADAC drin.“ (mit dpa)

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