Die Umgebung ist vertraut. Die neue Länderspielsaison soll ganz bewusst dort beginnen, wo alles aus Sicht von Julian Nagelsmann ein bisschen zu früh bei der Heim-EM endete. Nicht auf dem DFB-Campus in Frankfurt, sondern auf dem Homeground am Sitz des Noch-Ausrüsters Adidas in Herzogenaurach versammelt sich daher ab Montag die deutsche Nationalmannschaft, um gegen Ungarn in Düsseldorf (7. September) und gegen die Niederlande in Amsterdam (10. September) im Rahmen der Nations League die ersten Länderspiele zu absolvieren. Es wird in der fränkischen Wohlfühloase ein Wiedersehen mit bekannten Gesichtern.
Nationalmannschaft ist kaum verändert, aber stark verjüngt
Der Kader dafür ist zwar stark verjüngt, aber gar nicht groß verändert worden – diesen Kunstgriff hat der Bundestrainer geschickt hinbekommen. Denn lediglich Angelo Stiller stößt zu dem erlauchten 23er-Kreis, der sich viel Vertrauensvorschuss erworben hat. „Generell waren wir sehr zufrieden, wie jeder einzelne Spieler bei der EM seine Rolle ausgefüllt hat. Deshalb möchten wir jetzt in den ersten Spielen nach dem Turnier dem EM-Kader die Chance geben, sich wieder zu präsentieren“, begründete Nagelsmann seinen Verzicht auf allzu radikale Rochaden. „Das sind für den Moment insgesamt genügend Veränderungen.“
Vieles schaut nun natürlich auf den Leistungsträger beim VfB Stuttgart: Beim DFB werden Spielwitz, Handlungsschnelligkeit und Lernwille des gebürtigen Münchners seit Langem geschätzt. Ausgebildet wurde Stiller von 2010 bis 2020 beim FC Bayern, wo sein Trainer in der zweiten Mannschaft am Ende Sebastian Hoeneß hieß, der das Talent danach erst zur TSG Hoffenheim und im Sommer 2023 schließlich auch zum VfB Stuttgart lotste. Kein Spieler ist so eng mit dem Erfolgscoach der Schwaben verbunden wie der 23-Jährige, den Nagelsmann bereits während der EM als möglichen Erben von Toni Kroos erwähnte. Nun hieß es in der offiziellen Mitteilung, dass der ballsichere Mittelfeldakteur „schon in der vergangenen Saison und auch jetzt wieder sehr gute Leistungen gezeigt habe“. Stiller ließ verlauten, die Einladung zur A-Nationalmannschaft sei „natürlich etwas ganz Besonderes.“ Nur sollte die Öffentlichkeit vielleicht nicht erwarten, dass ein Novize sofort die Strippen in Kroos-Manier zieht.
Aleksandar Pavlovic wird gründlich getestet
Versperrt bleibt die Tür vorerst für Nadiem Amiri, der sich wegen seiner Hochphase beim FSV Mainz 05 durchaus Hoffnungen aufs Comeback ausgerechnet hatte, zumal sich ja auch Ilkay Gündogan zurückgezogen hat. Und auch Amiris ehemaliger und zu Brighton & Hove Albion übergesiedelter Spielgefährte Brajan Gruda muss sich erst noch gedulden. Dafür dürfte Aleksandar Pavlovic vom FC Bayern gleich gegen Ungarn vor ansprechender Kulisse - 43.000 Tickets sind verkauft - auf Herz und Nieren getestet werden. Der 20-jährige Aufsteiger hatte in der EM-Vorbereitung beim Benefizspiel gegen die Ukraine (0:0) in Nürnberg debütiert, ehe eine Mandelentzündung dazwischenkam. Zu Nagelsmanns Gedankenspielen könnte zudem gehören, Jamal Musiala zentraler und defensiver einzusetzen – zuletzt hatte der 21-jährige Edeltechniker vorrangig offensiv am Flügel gezaubert.
Insgesamt ist der Altersschnitt krass abgesunken, weil ja auch Manuel Neuer, 38, und Thomas Müller, 34, ihre Rücktritte eingereicht haben. Nur noch bei 26,8 statt fast 30 Jahren liegt das Mittel, was mit Blick auf die WM 2026 in die USA, Kanada und Mexiko Hoffnung macht. Sicher auch kein Nachteil ist, dass die Länderspiele einen besseren Testcharakter besitzen. Es geht nur um die Nations League, wenn im September, Oktober und November sechs Partien gegen Ungarn, Niederlande und Bosnien angesetzt sind. Die Auslosung für die WM-Qualifikationsgruppe ist noch gar nicht erfolgt.
Antonio Rüdiger darf erst einmal pausieren
Daher kann auch Antonio Rüdiger mal pausieren. Der insbesondere im DFB-Dress emotional verteidigende Abwehrchef von Real Madrid werde „nach einem intensiven Sommer“ in Absprache mit dem Bundestrainer die Zeit zur Regeneration nutzen, hieß es. Nagelsmann verzichtete darauf, in einer Videobotschaft seine Planspiele vertiefend zu erklären. Damit bleiben zwei Kardinalfragen vorerst unbeantwortet: Wird Marc-André ter Stegen wirklich zur offiziellen Nummer eins benannt, worauf der 32-Jährige im Grunde seit fast einem Jahrzehnt hinarbeitet? Und bekommt Joshua Kimmich die Kapitänsbinde, was dem Geltungsbedürfnis des 29-jährigen Führungsspielers entsprechen dürfte? Oder hat Nagelsmann da noch Überraschendes in petto? Der 36-Jährige setzt sich für derlei Antworten am kommenden Montag aufs Podium vor die Presse in Herzogenaurach.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden