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Nationalmannschaft: Kein Fußballer aus Ostdeutschland im Kader: Wo bleibt der nächste Ballack?

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Kein Fußballer aus Ostdeutschland im Kader: Wo bleibt der nächste Ballack?

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    Michael Ballack war lange der bestimmende Spieler im Nationaldress. Auch davor und danach waren die Erfolge der Nationalmannschaft eng verbunden mit Spielern aus Ostdeutschland.
    Michael Ballack war lange der bestimmende Spieler im Nationaldress. Auch davor und danach waren die Erfolge der Nationalmannschaft eng verbunden mit Spielern aus Ostdeutschland. Foto:  Thomas Eisenhuth, dpa

    Matthias Sammer trieb die deutsche Nationalmannschaft mit Elan zum EM-Titel 1996. Sechs Jahre später war es Michael Ballack, ohne den das WM-Finale gewiss nicht erreicht worden wäre. Da aber fehlte der Anführer gelbgesperrt – Deutschland verlor gegen Brasilien. Während die Welt zu Gast bei Freunden war, gehörte Ballack 2006 als einziger deutscher Spieler zur Kategorie Weltklasse und 2014 wählten Fans weltweit Toni Kroos ins Dream-Team der Weltmeisterschaft.

    Die neuen Bundesländer verhießen nicht nur blühende Landschaften, sondern auch das Gefühl, "fußballerisch über Jahre hinaus nicht zu besiegen" zu sein. Sagte jedenfalls Franz Beckenbauer. Es mag eine Rolle gespielt haben, dass der Kaiser die Aussage glückstrunken nach dem WM-Sieg 1990 tätigte. Die Nationalmannschaft jedenfalls war nicht unbesiegbar, über Jahrzehnte hinweg prägten aber auch Spieler aus den einst neuen Bundesländern das Gesicht der Nationalmannschaft.

    Toni Kroos war ein Jahrzehnt lang Führungsspieler in der deutschen Nationalmannschaft.
    Toni Kroos war ein Jahrzehnt lang Führungsspieler in der deutschen Nationalmannschaft. Foto: Frank Augstein, dpa

    Das waren neben den absoluten Führungsfiguren Sammer, Ballack und Kroos unter anderem Ulf Kirsten, Bernd Schneider, Jens Jeremies oder Carsten Ramelow. Von 2008 aber schrumpfte der Teil der ostdeutschen Spieler rapide. Standen bei der EM in Österreich und in der Schweiz mit Robert Enke, René Adler, Clemens Fritz, Ballack und Timo Borowski noch fünf Spieler aus dem Osten im Kader, waren es vier Jahre später mit Kroos und Marcel Schmelzer nur noch zwei und anschließend bei den großen Turnieren eben nur noch Kroos.

    Seit dem Rücktritt des Mittelfeldspielers nach der EM 2021 schließlich: ostdeutsches Brachland statt blühender Spielfreude. Im Kader für die beiden Länderspiele gegen Israel am Samstag (20.45 Uhr/ZDF) und am kommenden Dienstag in den Niederlanden stehen ausschließlich Spieler, die ihre Wurzeln bei westdeutschen Vereinen haben.

    Haben ostdeutsche Jugendliche einen Standortnachteil?

    Es wirkt, als hätten Spieler aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg einen extremen Wettbewerbsnachteil, wenn es darum geht, den Weg in die deutsche A-Nationalmannschaft zu finden. Die Verbände dieser fünf Bundesländer bilden zusammen mit dem Berliner Fußballverband den Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV), der in etwa vergleichbar ist mit dem Staatsgebiet der ehemaligen DDR.

    Markus Hirte allerdings ist nicht der Meinung, dass Spieler aus dem Gebiet des NOFV einen geografischen Nachteil haben. Er ist der Sportliche Leiter der Talentförderung der DFB – also in etwa der oberste Scout und Stratege im deutschen Fußball, wenn es darum geht, junge Spieler auszubilden. Seiner Meinung nach handelt es sich "aktuell eher um einen Zufall", dass sich derzeit keine ostdeutschen Spieler im Kader der Nationalelf befinden. Es komme auf den Blickwinkel an.

    Als Sportlicher Leiter der Talentförderung der DFB hat Markus Hirte einen guten Überblick über die Entwicklungen im deutschen Juniorenfußball.
    Als Sportlicher Leiter der Talentförderung der DFB hat Markus Hirte einen guten Überblick über die Entwicklungen im deutschen Juniorenfußball. Foto: DFB

    Der Blick Hirtes ist eher auf den Juniorenbereich gerichtet – und hier sind Spieler aus dem NOFV in den Nachwuchs-Nationalmannschaften sogar überrepräsentiert.

    So würde der Anteil der Junioren, die im NOFV organisiert sind, 10,7 Prozent der Junioren im gesamten DFB betragen. Also 10,7 Prozent aller Spieler in Deutschland kommen aus dem NOFV. "Wenn man das mit den U-Nationalmannschaften vergleicht, hat man eine Spanne von 8,3 Prozent bei der U18 bis zu 26 Prozent bei der U20", so Hirte. Im Schnitt hätten 18,5 Prozent aller Auswahlspieler im Juniorenbereich ihre Wurzeln im NOFV. Dementsprechend wären Spieler aus Ostdeutschland in der Junioren-Nationalmannschaften sogar überproportional häufig vertreten und es ist nur eine Frage der Zeit, ehe sie auch in der A-Nationalmannschaft eine Rolle spielen.

    Nach Kroos kam nicht mehr viel

    Eine Sonderrolle dürfte dabei Berlin spielen, gehen doch die Kicker aus der Bundeshauptstadt zahlenmäßig komplett im NOFV auf. Doch auch abseits dieses Sondereffekts kann wohl nicht mehr die Rede davon sein, dass Spieler aus den neuen Bundesländern in ihren Entwicklungschancen benachteiligt sind.

    Mario Götze und die prägenden Spieler der vergangenen Jahre wurden im Westen ausgebildet.
    Mario Götze und die prägenden Spieler der vergangenen Jahre wurden im Westen ausgebildet. Foto: Diego Azubel, dpa

    Auffallend ist, dass just in dem Zeitraum kaum Spieler aus Ostdeutschland den Sprung in die Nationalmannschaft geschafft haben, als sich das verstärkte Investment in die Jugendarbeit mit der Neugestaltung der Nachwuchsleistungszentren auszahlte. Mario Götze, Mesut Özil, Manuel Neuer, Thomas Müller und Co. fanden in ihren westdeutschen Klubs Strukturen vor, die im Osten erst noch geschaffen werden mussten. Mittlerweile aber scheinen sich die Ausgangsbedingungen bundesweit angeglichen zu haben. Sämtliche Erst- und Zweitligisten sind dazu verpflichtet, Nachwuchsleistungszentren (NLZ) zertifizieren zu lassen. Aus dem Bereich des NOFV sind das neben RB Leipzig, Union Berlin und Hertha BSC noch Dynamo Dresden, Hansa Rostock und Erzgebirge Aue – insgesamt also sechs von 36 Vereinen. Dazu kommen die Klubs aus Magdeburg, Cottbus, Chemnitz und Jena, die ebenfalls über ein NLZ verfügen. Von den insgesamt 56 in Deutschland bestehenden Nachwuchsleistungszentren befinden sich somit zehn im Bereich des NOFV.

    Gleichwohl räumt Hirte auch ein, dass große Vereine und große Spieler eben auch eine große Sogwirkung haben. Wer die Wahl hat, tendiert dann eben vielleicht doch eher in Richtung München, Dortmund oder Hamburg statt nach Magdeburg oder Aue.

    Großer Verein, großer Sog - große Enttäuschung?

    Gleichwohl sei dort die Gefahr größer, dass "Erwartungen vielleicht nicht umgesetzt werden" und der Schritt später in die zweite oder dritte Liga aus persönlicher Sicht schwieriger sei. Dabei sei "manchmal eine langsamere Entwicklung viel sinnvoller". Zu sehen beispielsweise an Anton Stach, der gerade erstmals von Hansi Flick nominiert wurde. Der Mittelfeldspieler fand den Weg über Osnabrück, Fürth und Mainz in die Nationalmannschaft. Linksverteidiger David Raum empfahl sich in

    Einen der nächsten Debütanten aber hat möglicherweise Hansa Rostock ausgebildet, der nächste Ballack trainiert mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit derzeit in Magdeburg oder Cottbus. Unbesiegbar wird die Nationalmannschaft dann zwar wohl auch nicht auf Jahre hinaus sein, aus fußballerischer Sicht aber werden aus dem Brachland wohl bald wieder zart blühende Landschaften.

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