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Interview: Andrea Petkovic: "Ich habe immer mit Deutschland geprahlt"

Interview

Andrea Petkovic: "Ich habe immer mit Deutschland geprahlt"

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    Zweimal stand sie unter den besten Zehn der Welt im Tennis, jetzt hat sie ein Buch mit Erzählungen aus ihrem Leben geschrieben: Andrea Petkovic, 33.
    Zweimal stand sie unter den besten Zehn der Welt im Tennis, jetzt hat sie ein Buch mit Erzählungen aus ihrem Leben geschrieben: Andrea Petkovic, 33. Foto: Nils Heck

    Sie haben den Großteil Ihres Lebens auf der Tennis-Tour rund um die Welt verbracht. Jetzt sind Sie auch auf Tour – aber mit Ihrem Buch und Ihrem Leben, über das Sie unweigerlich sprechen müssen. Wie ist das für Sie?

    Andrea Petkovic: Ganz seltsam. Weil ich das Buch geschrieben habe, als würde ich es für mich selbst schreiben. Als müsste ich es vor mir selbst rechtfertigen, ohne ein Publikum im Kopf zu haben. Ich habe wirklich versucht, verletzlich zu sein, auch unsympathisch – alles, was ehrlich ist eben. Deshalb habe ich es auch „Autofiktion“ benannt, damit ich mich zur Not dahinter verstecken kann: War doch nicht wirklich ich … Hätte ich klassische Memoiren geschrieben, hätte ich einen größeren Schutzwall aufgebaut unter dem Eindruck, dass es dann alle als Archiv meines Lebens lesen. So hatte ich mehr Freiheit, ehrlich zu mir zu sein. Auch mit den Abgründen. Wenn dann Publikum das alles liest, ist es seltsam.

    Und nun stehen Sie mit Ihren Eingeständnissen auf der Bühne…

    Petkovic: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Eingeständnis von Schwächen mit Eingeständnissen von Schwächen einhergehen. Wenn Leute das Buch gelesen hatten, haben sie mir sehr viel eher auch was von sich erzählt. Natürlich könnte das auch mal jemand gegen mich nutzen, aber das ist bisher nicht passiert. Das Erste, was ich von einem meiner Lieblingsautoren, Philip Roth, gelernt habe, war, dass man nur über Emotionen schreiben sollte, die abgeschlossen sind. Denn sonst kann man nicht klar ausdrücken, was man eigentlich meint, weil man noch in der Emotion drin ist und es chaotisch wird. Deswegen habe ich nur über Sachen geschrieben, die ich analysiert und abgeschlossen hatte, die hinter mir lagen. Vielleicht fällt es mir deshalb leichter, jetzt darüber zu sprechen.

    Sie sind eine leidenschaftliche Leserin. Haben Sie immer schon davon geträumt, auch zu schreiben?

    Petkovic: Ich habe mit 15 angefangen zu schreiben. Ich war auf Turnieren unterwegs und hatte kein Geld, mir einen Trainer oder schöne Hotels zu leisten. Ich habe mich immer mit ein paar Freundinnen zusammengerottet und versucht zu überleben. Maria Scharapova ist mein Jahrgang, und ich habe sie ein paarmal auf Turnieren gesehen. Sie hatte damals schon ihren eigenen Trainer, eigenen Physiotherapeuten, ein super-professionelles Umfeld. Aber auch andere Mädels waren so unterwegs. Und ich saß dann nach meinem Match allein an einem Tisch und habe schweigend oder lesend Nudeln gegessen. Die anderen saßen neben dran, und deren Trainer hat dann seine Notizen ausgepackt und angefangen, das Match zu besprechen: „Bei 5:4 hast du zu passiv gespielt …“ Ich dachte mir: Wie viel das bringen muss! Also fing ich selber an zu schreiben. Ich habe jeden Abend einen Match-Bericht geschrieben, um ihn dann am nächsten Tag, wenn die Emotionen abgeflaut waren zu lesen und mich selbst zu coachen. Das war mein Ziel. In diesem Prozess habe ich gemerkt: Ich kann abends einschlafen, wenn ich es mir von der Seele geschrieben habe. Als ich dann anfing, klassische Literatur zu lesen, war der Anspruch, diesen Schreibprozess zu verfeinern, anspruchsvoller zu machen.

    Früher haben Sie davon geträumt, in die Top-10 zu kommen. Das haben Sie geschafft. Ist dieses Buch mit Lebenserzählungen dann schon die Erfüllung eines nächsten Traums? Oder wäre das erst ein Roman?

    Petkovic: Wenn ich ganz ehrlich bin, dann würde ich schon gerne reine Fiktion schreiben.

    Was Tennis und das Schreiben auch verbindet ist die Einsamkeit. Sind Sie gut im Einsamsein?

    Petkovic: Ich weiß nicht, ob ich schon immer gut war oder es wurde, weil ich es musste. Jetzt bin ich gut darin und brauche es auch bis zu einem gewissen Grad. Als ich irgendwann anfing, ernsthafter zu schreiben, hatte ich mich drei Wochen ganz klischeehaft in eine einsame Hütte im Wald eingebucht. Ich wollte nur schreiben, wie Hemingway mit Whiskey und so. Drei Tage später saß ich im Bus zurück nach New York zu meinen Freunden (lacht). Aber ich weiß noch genau den ersten Moment, als ich mich in der Hütte hingesetzt habe und mir dachte: „Jetzt mache ich die gleiche Scheiße wie vorher auch! Nur dass ich sitze und nicht renne.“ Ich war wieder alleine und musste mich wieder komplett auf mich selbst verlassen. Was tatsächlich sehr anders war: Dass ich im Schreiben immer zurückgehen und Dinge ändern konnte. Das kann ich im Tennis niemals. Aber es ist auch ein Teufelskreis. Wenn ich nicht irgendwann mal Stopp gesagt hätte, hätte ich in 15 Jahren immer noch an meinem Debüt geschrieben. Da musste ich mich zügeln.

    Auf der anderen Seite beschreiben Sie immer wieder eine starke Sehnsucht nach Zugehörigkeit, die ja schon früh einsetzt. Sie kamen als Migrantenkind mit Ihren Eltern während des Balkankriegs hierher. Wie sehen Sie denn das Einwanderungsland Deutschland?

    Petkovic: Ich habe immer mit Deutschland geprahlt. Weil die Leute tolerant waren. Weil sie uns die Chance gegeben haben. Natürlich ist die Geschichte meiner Familie eine Erfolgsgeschichte. Eine Familie, die aus einem sozialistischen Land nach Deutschland kam, in eine westliche Demokratie. Dort aufgenommen wurde, Freunde gefunden hat und den Aufstieg in die Gesellschaft geschafft hat. Deshalb kommt in meinem Buch auch immer wieder dieses Reihenhaus vor. Was ja eigentlich ein bisschen spießbürgerlich ist in Deutschland. Für mich war das aber immer ein Symbol für den Aufstieg. Aber ich habe auch geprahlt, weil wir unsere Geschichte aufgearbeitet haben. In letzten paar Jahren ist vieles in Schieflage geraten. Weil ich viel reise, weiß ich, dass das überall auf der Welt passiert ist und dass wir uns noch echt gut halten hier. Vor allem im Vergleich zu einem Land wie Amerika, das ich außer Serbien mit am besten kenne, weil mein Freund Amerikaner ist. Aber ich bin ein bisschen vorsichtiger geworden auf der großen Bühne. Es ist womöglich ein bisschen wie mit meiner Heimat Darmstadt. Neulich habe ich noch geprahlt, weil wir so wenige Corona-Infektionen haben – inzwischen sind wir selber Risikogebiet.

    Eine Problemzone im Tennis bleibt für Sie offenbar die Geschlechterfrage. Es gibt einen ziemlich wütenden Text im Buch, dass Frauen oft immer noch nach Äußerlichkeiten beurteilt werden. Gibt es im Tennis Gleichberechtigung?

    Petkovic: Symbolisch haben wir Gleichberechtigung, faktisch noch nicht. Wir kriegen bei den vier größten Turnieren des Jahres, den Grand Slams, das gleiche Preisgeld – und das wird uns immer als Makel angehängt. Denn 90 Prozent der Menschen sehen Tennis nur im Zusammenhang mit den Grand Slams und denken dann: Die Männer spielen maximal fünf Sätze also bis zu fünf Stunden, die Frauen höchstens drei – das ist ja unfair. Die Krux an der Sache ist, dass die restliche Tennis-Tour 90 Prozent des Jahres ausmacht. Und da haben wir Frauen deutlich weniger Turniere und verdienen deutlich weniger als die Männer. Das heißt, die Frauentour WTA ist gegenüber der Männertour ATP nicht gleichberechtigt. Es gibt da schon noch was zu tun. Aber an dem Körperbild hat sich inzwischen zum Glück was getan. Auch athletische Frauen können heute als schön gelten, weil sie für Fitness stehen.

    Aber ist es denn nicht auch schön für Sie, dass durch Ihr Buch jetzt Bilder von Ihnen in die Öffentlichkeit kommen, die Sie nicht im Sportdress unter Volldampf zeigen?

    Petkovic: Doch, stimmt. Das hat mich selbst überrascht, als ich neulich ein Foto von einer Lesung in der Zeitung von mir gesehen habe: mal nicht mit zerzausten Haaren, sondern einer Frisur, nicht von der Anstrengung verschwitztem und verzerrtem Gesicht, sondern sogar mit ein bisschen Schminke … (lacht)

    Das nächste Jahr, wenn denn hoffentlich alles wieder anläuft, wollen Sie aber selbst noch spielen?

    Petkovic: Dieses Jahr habe ich nur ein einziges offizielles Match gespielt. 3:6, 3:6, erste Runde der French Open. Für mich war das okay, weil ich einen Fuß in das Leben danach halten konnte. Aber jetzt habe ich schon sehr viel Motivation, im November wieder mit richtigem Training anzufangen und ein paar Turniere zu spielen. Ich will angreifen.

    Ist das immer noch der Ehrgeiz, der sie von Kindheit an angetrieben hat oder hat sich das was verändert? Im Buch kann man Eindruck gewinnen, dass das Glücklichsein bei all den Erfolgen viel zu kurz gekommen ist …

    Petkovic: Das ist die größte Ironie, die mich ärgert. Dass ich jetzt viel glücklicher bin in diesem ganzen Lifestyle des Tennis. Ich habe Freunde überall auf der Welt. Ich bin nicht mehr so alleine wie 90 Prozent meiner Karriere. Es ist ja nicht leicht, überall Freunde zu finden. Das kannst du erst, wenn du zehn Jahre in Folge an die gleichen Orte kommst. Das habe ich mir alles aufgebaut. Und ich kann inzwischen auch alleine mit einem Buch ins Restaurant gehen und happy sein. Aber dafür bleiben jetzt so ein bisschen die Erfolge aus. Teilweise hat das mit meinem Körper zu tun, der mich etwas im Stich lässt. Aber ich habe auch die Theorie, dass man diese inneren Konflikte braucht, um richtig erfolgreich zu sein im Sport. Denn das treibt dich über die Grenzen, die man sonst eher nicht überschreitet. Ich bin jetzt glücklicher und kann meine inneren Konflikte nicht mehr so auf dem Platz manifestieren, nach dem Motto: „Ich will euch alle zerstören!“ Das hatte ich früher viel mehr.

    Können Sie sich vorstellen, nach dem Ende Ihrer aktiven Karriere dem Tennis erhalten zu bleiben?

    Petkovic: Ich dachte immer: Nein. Tennis war bisher mein ganzes Leben. Ich dachte mir immer, dass ich danach alles außer Tennis machen will. Dann war ich aber vor kurzem in München zu einem Trainingslager. Barbara Rittner hatte fünf junge Mädchen zwischen 15 und 17 eingeladen und hatte mich gefragt, ob ich mit denen ein bisschen trainieren kann. Das hat mir wahnsinnig Spaß gemacht, weil ich gemerkt habe, dass das eine Wirkung hat. So viel Altruismus hätte ich mir gar nicht zugetraut. (lacht)

    Inzwischen sind mehrere Spielerinnen mit Nachwuchs auf der Tour. Wie sieht es bei Ihnen mit Gründung einer Familie aus?

    Petkovic: Keine Ahnung, wirklich. Mit 28, 29 hatte ich eine Krise. Ich habe mich gefragt habe, ob ich jetzt einfach weiter Tennis spielen soll? Was ist mit Familie? Aber es ist schwer, eine Beziehung zu erhalten, wenn man 30 bis 40 Wochen im Jahr unterwegs ist. Und wenn man Kinder kriegen will, sollte man vorzugsweise schon etwas länger mit jemandem zusammen gewesen sein. Aber mit den Gedanken kam ich zu keinem Schluss. Und zum Glück ist das ja alles ein bisschen entspannter geworden, was die Biologie betrifft. Ich will schon irgendwann Familie haben.

    Zur Person: Andrea Petkovic wurde 1987 als Tochter eines Tennistrainers in Tuzla (heute Bosnien-Herzegowina) geboren. Seit über 15 Jahren ist sie Tennis-Profi und gehört mit sechs Turniersiegen zu den erfolgreichsten Deutschen dieser Zeit. Sie hat außerdem ein 1,2-Abitur, an der Fern-Uni Hagen Politikwissenschaft studiert … – und moderiert immer wieder die ZDF-Sportreportage. Kürzlich ist ihr Erzählungsband „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ erschienen (Kiepenheuer & Witsch).

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