Gestern Madrid, morgen Mailand. Es ist ein Slogan, der gerade zum Leben einer Josephine Henning passt. Als Champions-League-Expertin für den Sender Amazon Prime jettet die frühere Nationalspielerin und Künstlerin durch die Städte, die um den Finaleinzug spielen. Es kann schon mal wie jüngst am Rande des Halbfinales zwischen Real Madrid und Manchester City vorkommen, dass die einstige Defensivspielerin so offensiv einen Redeschwall formuliert, dass Mario Gomez und Matthias Sammer staunend neben ihr stehen. Aber sie hat als Fußballerin schließlich einiges vorzuweisen: Allein viermal hat die 33-Jährige die Champions League gewonnen. Das erste Mal 2010 mit dem 1. FFC Turbine Potsdam. Das verrückte Elfmeterschießen gegen den späteren Rekordchampion Olympique Lyon mit der damals erst 17-jährigen Elfmeterheldin Anna Felicitas Sarholz war einer ihrer emotionalsten Erfolge.
Vermutlich ist der Abstieg von Turbine Potsdam aus der Frauen-Bundesliga am Wochenende besiegelt
Es gibt schöne Archivbilder, wie die damals gerne auch "Torbienen" genannten Potsdamerinnen in ihren knallroten Trikots über den Rasen im spanischen Getafe stürmten. Viele direkt in die Arme der Trainerlegende Bernd Schröder, der mit harter Hand bemerkenswert viel erreichte. Dieser Klub hat zahlreiche prägende Figuren hervorgebracht, die Geschichte schrieben. Doch irgendwie geht es irgendwann vorbei. Vermutlich ist der Abstieg von Turbine Potsdam aus der Frauen-Bundesliga nach diesem Wochenende besiegelt. Ein Aushängeschild aus Brandenburg, vor dem drittletzten Spieltag mit acht Punkten abgeschlagen Letzter, hat den Anschluss verpasst.
17 Nationen stehen im Kader, aber es passt seit Saisonbeginn weder auf dem Platz noch außerhalb zusammen. "Die Dinge liefen nicht gut für uns in der Hinrunde", sagte Noa Selimhodzic der neuen Ausgabe des Frauenfußball-Magazins Elfen. Die israelische Nationalspielerin: "Da fiel es mir schon manchmal schwer, mental positiv zu bleiben." Ständige Streitereien auf Führungsebene, hektische Personalwechsel, aber auch fehlende Qualität und mangelnde Finanzausstattung führen dazu, dass mit dem je sechsfachen DDR- und gesamtdeutschen Meister die nächste Traditionsmarke aus der obersten Spielklasse verschwindet. Die Zeiten, dass der TSV Siegen, SSG 09 Bergisch Gladbach, Heike Rheine, KBC Duisburg oder SC 07 Bad Neuenahr bei den Frauen dominieren, sind ohnehin passé. Manche Klubs haben sich ganz verabschiedet. Den 1. FFC Frankfurt hätte dieses Schicksal auch getroffen, versicherte Siegfried Dietrich, viele Jahre erbitterter Gegenspieler Schröders, kürzlich bei seinem Abschied, deshalb setzte "Mister Frauenfußball" ja für die Fusion mit Eintracht Frankfurt seine Gesundheit aufs Spiel. Ohne einen Lizenzverein im Rücken geht auf oberster Ebene nichts mehr.
Für Traditionsverein Turbine Potsdam rück RB Leipzig in die Bundesliga vor
Für Potsdam rückt RB Leipzig nach, die auch hier sehr bald zu den Top Drei gehören wollen. Zweiter Aufsteiger könnte der 1. FC Nürnberg sein. Im Schnitt macht ein Frauen-Bundesligist mittlerweile rund 1,5 Millionen Euro Verlust. Klubs aus dem Männerfußball leisten sich das locker, für die Frauenvereine ist diese Entwicklung ruinös. DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich glaubt, dass sich das Teilnehmerfeld in den nächsten fünf Jahren in beiden Frauen-Bundesligen "noch mal deutlich verändern" werde. Nur erinnerte sie daran, dass die SGS Essen als bald letzter Frauenverein es "mit Kreativität, guter Schwerpunktsetzung und funktionierendem Netzwerk" vormache, auch mit geringeren Mitteln mitzuhalten. Den Abstieg von Turbine Potsdam finde sie persönlich "sehr schade", dieser Verein sei für die Region "einmalig" und für die Entwicklung in Deutschland "bezeichnend" gewesen: "In heutiger Sprache würde man sagen: Sie waren die Benchmark."
Gleichwohl wirkt das Bedauern ein bisschen gespielt. Die DFL schreibt neuerdings in der Lizenzierungsordnung fest, dass Profivereine den Frauenfußball fördern oder zumindest eine Kooperation unterhalten müssen: Wenn Klubs wie Borussia Dortmund bald ganz oben angekommen sind, werden ein Dutzend Plätze für die Frauen-Bundesliga zu wenig sein. Der Verband rechnet in einem Zukunftsmodell für die Saison 2031/32 selbst mit bis zu 16 (!) Lizenzvereinen. Als Ullrich noch die zuständige DFB-Direktion leitete, dominierten hierzulande bereits der VfL Wolfsburg und FC Bayern. Die 2021 neu formatierte Women’s Champions League klingt spätestens ab dem Viertelfinale wie ein Abziehbild aus dem Männerfußball. Trendsetter sind der FC Barcelona, Chelsea und Arsenal, Paris St. Germain und Olympique Lyon – sowie Wolfsburg und Bayern. Turbine Potsdam wird Champions-League-Spiele in großen Arenen nie mehr erleben. Es sei denn, man schafft es in eine Position wie Josephine Henning.