Da muss es jemand, der für den Spielplan dieser EM zuständig ist, gut gemeint haben mit der deutschen Mannschaft. Denn nach der Eröffnung in München steht am Mittwoch eine Partie in Stuttgart an, Gegner ist dann die Auswahl aus Ungarn (18 Uhr, ARD). Das ist deswegen eine gute Nachricht, weil die Hauptstadt von Baden-Württemberg nachweislich ein exzellentes Pflaster für die DFB-Elf ist: In ihrer Länderspielgeschichte trat die Nationalmannschaft nur in Hamburg und Berlin häufiger an – doch mehr Siege gab es nirgendwo sonst zu feiern. Von den 34 bisherigen Partien gingen 21 an Deutschland. Damit ist Stuttgart zusammen mit Hannover (wer hätte das geahnt?) Rekordstadt. Das letzte Spiel, das Deutschland hier austrug, war Anfang September 2021 ein 6:0-Sieg gegen Armenien, damals in der WM-Qualifikation.
Es gibt noch einen Grund, eine Spielansetzung im Schwabenland als gutes Omen zu sehen. Denn im EM-Kader sind gleich vier Spieler vertreten. Nur der FC Bayern stellt mit fünf Spielern einen größeren Block. Doch speziell für die vier VfB-Spieler Chris Führich, Maximilian Mittelstädt, Waldemar Anton und Deniz Undav gilt: Für sie scheint die Arena in der Neckarstadt eine Kraftquelle zu sein. Jeder aus diesem Quartett lief lange völlig unter dem öffentlichen Radar – und nutzte die vergangene Saison dazu, um die eigene Leistungskurve explodieren zu lassen.
Die linke Seite ist die Schokoladenseite des VfB – profitiert davon der DFB?
Am deutlichsten geschah dies vielleicht bei Mittelstädt, der als Einziger einen Stammplatz in der Nationalmannschaft hat. Sonderlich viele Gründe, die Startelf zu ändern, gibt es für Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht: Im Abschlusstraining waren alle Spieler im Einsatz, zudem gibt es auch aus sportlicher Sicht wenig Grund für Wechsel. Auf die Partie in seinem Heimstadion freue er sich sehr, wie er in der Pressekonferenz am Dienstagabend sagte: "Ich habe viele schöne Erinnerungen aus diesem Stadion mitgenommen und hoffe, dass noch eine dazukommt." Aber zumindest zwei weitere Spieler des Vizemeisters könnten eine wichtige Rolle spielen – nämlich dann, wenn der ungarische Abwehrriegel undurchdringbar zu sein scheint. Zu sehen war dies beim Testspiel gegen die Ukraine in Nürnberg. Dabei brachte Bundestrainer Julian Nagelsmann in der Halbzeit Angreifer Undav und Linksaußen Führich, die fortan zusammen mit Linksverteidiger Mittelstädt den linken VfB-Flügel - ohnehin so etwas wie die Schokoladenseite des Stuttgarter Spiels - im Nationalteam bildeten.
Tatsächlich dauerte es in dem Test nur eine Minute, ehe der Ball über Führich und Mittelstädt zu Musiala gekommen war, fünf Minuten nach Wiederanpfiff hatte Undav die erste Chance. Am Ende stand zwar "nur" ein 0:0 - der VfB-Block hatte aber nachhaltig Werbung für sich gemacht. Undav beschrieb die Verbindung, die er mit seinen Vereinsmitspielern hat, in einer Medienrunde in Herzogenaurach so: "Ich kenne Chris in- und auswendig, Maxi genauso. Wir haben dieses Spielverständnis, ich weiß wie die beiden spielen, sie kennen mich. Das passt einfach. Es macht Spaß, nach so einer Saison gemeinsam auf dem Platz zu zocken. Wir wissen genau, was wir machen müssen."
VfB-Spielverständnis – für Bundestrainer Nagelsmann "nicht das Schlechteste"
Das gegenseitige Spielverständnis der Stuttgarter ist ein Kniff, von dem offenbar auch Julian Nagelsmann ein großer Fan ist. Diese Verbindung zu nutzen, sei "nicht das Schlechteste", wie er bei der Erstberufung des VfB-Quartetts im März sagte. Dass morgen der ein oder andere Stuttgarter eingewechselt wird, sei "im Bereich des Möglichen". Allgemein erwartet Nagelsmann ein deutlich engeres Spiel als gegen Schottland: "Wir erwarten nicht, dass wir jeden Gegner aus dem Stadion schießen." Schottland sei für seine kompakte Defensive und die gefährlichen Gegenstöße bekannt. Speziell bei Standards lauere Gefahr: "Da waren sie in der EM-Qualifikation die zweitbeste Mannschaft."
Ob ein schwäbischer Nussknacker in Form der Joker Undav und Führich gegen die kompakten Ungarn notwendig sein wird, wird natürlich das Spiel zeigen. Sehr wahrscheinlich wird der zweite Gruppengegner, immerhin Rang 26 der Weltrangliste (die Schotten liegen auf 39) der DFB-Elf nicht den Gefallen tun, derart große Lücken zu bieten wie die Schotten. Von den letzten 20 Spielen verloren die Ungarn nur drei (darunter den EM-Auftakt gegen die Schweiz), gewannen hingegen zwölf und blieben in der gesamten EM-Qualifikation komplett ohne Niederlage. Die schwache Leistung beim 1:3 gegen die Schweiz beim EM-Auftakt dürfte wohl nicht als Muster dienen.
Bei den Ungarn hängt vieles von Dominik Szoboszlai ab
Großen Respekt hat Nagelsmann etwa vor dem Superstar und Kapitän der Mannschaft, Dominik Szoboszlai. Der ehemalige Leipziger ist im starken Kollektiv ein "Freigeist, der überall auf dem Feld herumturnt", so der Bundestrainer. Speziell seit seinem Wechsel von RB zum FC Liverpool vor einem Jahr hat der 23-Jährige nochmals einen Sprung gemacht, ist absoluter Stammspieler im Starensemble der Reds. Vor allem Freistöße in Tornähe wären angesichts der Schussstärke der ungarischen Nummer zehn eine wirklich schlechte Idee. Nicht nur Szoboszlai ist Bundesliga-Fans ein Begriff, insgesamt stehen sechs Akteure aus Deutschland im Kader: die beiden Freiburger Roland Sallai und Attila Szalai, die beiden Leipziger Willi Orban und Peter Gulacsi, Andras Schäfer von Union Berlin und Martin Dardai von Zweitligist Hertha BSC Berlin. Alles gute Spieler, aber eben keine Stuttgarter.