Wortlos, den Blick starr auf den Boden gerichtet, ging Florian Wellbrock zügigen Schrittes an den Kameras und Mikrofonen vorbei durch die Mixed-Zone. Wie schon nach den Beckenwettbewerben, als er über 800 und 1500 Meter das Finale verpasst hatte, wollte er sich nicht äußern. Im Freiwasserrennen über zehn Kilometer am Freitagmorgen war er gerade als Achter ins Ziel gekommen. In Tokio hatte er über diese Distanz noch Gold gewonnen. Umso auskunftsfreudiger präsentierte sich sein Mannschaftskollege Oliver Klemet. Immerhin hatte der gerade für eine der größeren Überraschungen in der jüngeren deutschen Schwimmgeschichte gesorgt. In einer Art Ausscheidungsrennen war er als Einziger bis zum Ende dem überragenden Ungarn Kristof Rasovszky auf den Fersen geblieben. Nur den Schlussspurt des neuen Olympiasiegers hatte er nicht mehr kontern können. Hinter dem Duo holte mit David Betlehem ein zweiter Ungar Bronze.
Klemet mit schlauer Rennstrategie
Für Klemet ging ein Traum in Erfüllung. „Das ist der größte Wettkampf im Schwimmsport“, sagte er. Dass er dort Silber gewonnen habe, werde er wohl erst in ein paar Tage verdaut haben. „Ich bin überglücklich und hätte es mir nicht besser erträumen können.“ Von Anfang an hatte sich Klemet in der Spitzengruppe aufgehalten. Ebenso wie Wellbrock, der zwei Drittel der Strecke einen starken Eindruck machte. In Tokio hatte er das Rennen von vorn gestaltet und war ungefährdet zu Gold geschwommen. In der Seine kam nun aber mit der Strömung ein neues Element hinzu, das eine andere Rennstrategie erforderte. Wie schon tags zuvor bei den Frauen quetschten sich die Schwimmer möglichst nah an die Ufermauer, wo die Strömung am geringsten war. Sechs Runden galt es zu absolvieren, etwa die Hälfte der Strecke musste also gegen die Wassermassen der Seine angeschwommen werden.
Bundestrainer Berkhahn bemühte die Physik
Bundestrainer Bernd Berkhahn hatte nach dem Frauenrennen am Vortag die Physik bemüht, um die Gemüter zu beruhigen. Der Kraftaufwand sei der gleiche, nur das Tempo unterscheide sich eben. Mental müsse man sich das klarmachen und nicht versuchen, gegen die Strömung einen besonderen Aufwand zu betreiben. Denn dann würden die Kräfte nicht bis zum Ende reichen.
Der Olympiasieger erhöhte das Tempo immer weiter
Rasovszky wirkte vom ersten Meter so, als habe er weder mental noch körperlich Probleme mit der Situation. Ab der zweiten Runde setzte er sich an die Spitze und schwamm unwiderstehlich seiner Goldmedaille entgegen. Jegliche Angriffe konterte er souverän. Klemet dagegen zeigte ein strategisch kluges Rennen, sparte Energie, indem er sich im Sog des Führenden hielt - der Effekt ähnelt dem Windschatten beim Radfahren. „Meine Taktik war, immer vorn dabei zu sein“, sagte Klemet. Nach der ersten Verpflegung habe ihn sein Trainer von draußen angebrüllt, „weil ich noch ein bisschen zu weit hinten war“. Die lautstarke Kurskorrektur zeigte Wirkung. Mitunter turbulent wurde es nur immer dann, wenn die Spitzengruppe zwischen den Wendebojen quer zur Strömung schwimmen musste. An der Spitze erhöhte Rasovszky gegen Ende das Tempo erbarmungslos. Auf der letzten Runde musste auch Wellbrock abreißen lassen. Nur Klemet ließ sich nicht abschütteln. „Er hat immer ein bisschen gestrauchelt, weil er nicht das nötige Selbstbewusstsein hatte. Das habe ich ihm ausgeredet. Das hat er heute mit Bravour gezeigt“, lobte Berkhahn.
Ratlos machten den Bundestrainer dagegen die Leistungen Wellbrocks. „Mir tut es leid für ihn, weil er eigentlich in einer Top-Verfassung ist“, sagte Berkhahn. Eigentlich sei Wellbrock in jedem Training deutlich stärker als Klemet. „Er konnte es einfach nicht zeigen. Das tut mir schon sehr weh. Und ihm sicherlich auch.“
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