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Ehemaliger Tennisstar: Ein Jahr nach seiner Verurteilung irritiert Boris Becker noch immer

Boris Becker im März bei einem Pressetermin mit einem  Werbepartner.
Ehemaliger Tennisstar

Ein Jahr nach seiner Verurteilung irritiert Boris Becker noch immer

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    Vor ein paar Wochen schien auf den ersten Blick wieder alles wie früher. Wie in den besten Zeiten des "17-jährigsten Leimeners aller Zeiten“. An jenem Tag Anfang April erschien die Bild-Zeitung mit der Schlagzeile "Darum lieben alle Boris". Allerdings war dann doch, bei genauerem Hinsehen, nicht Boris Becker gemeint, der ehemals vergötterte Tennis-Held der Nation. Sondern der Bundesminister der Verteidigung, der rasch populär gewordene Niedersachse Boris Pistorius – dessen frühere Lebensgefährtin Doris Schröder-Köpf hatte sich mit ihrer großzügigen Einschätzung zur gefühlten Stimme des Volkes gemacht.

    Und Becker? Ein Jahr nach seiner Verurteilung durch Richterin Deborah Taylor am Londoner Southwark Crown Court ist der sechsmalige Grand-Slam-Champion auch wieder zuverlässig in den Schlagzeilen, nur nicht zwingend als jedermanns Liebling. Mit dem steil aufgestiegenen und ebenso tief gefallenen Centre-Court-Hero lässt sich noch immer Auflage machen, was in diesen Zeiten vor allem bedeutet, millionenfache Klicks auf allen möglichen bunten Internet-Plattformen ebenso wie Geschichten in Yellowpress-Titeln zu erzeugen. Geht es nach dem Boulevard, hat Becker gerade mit fast allen früheren Ehefrauen oder Partnerinnen mehr oder minder großen Streit. Nur ab und zu dringen andere Geschichten um den inzwischen 55-jährigen Tennisprofi im Ruhestand durch, etwa die Bewertung einer frischen zweiteiligen Dokumentation "Boom! Boom! The World vs. Boris Becker", die allerdings im wesentlichen schon abgedreht war, bevor Becker am 29. April 2022 zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Und noch im Gerichtssaal zum Haftantritt abgeführt wurde. 

    Boris Becker wollte ein Leben in Deutschland unbedingt verhindern

    Um für den zweiteiligen Streifen bei Apple TV zu werben, in dem die Welt laut reißerischem Titel gegen ihn, Boris Becker, antritt, hat der einstmals prominenteste Deutsche unlängst einen Halbmarathon durch die internationale Medienszenerie unternommen, bis hin nach Brasilien. Der Tenor ist wohlbekannt gewesen: Natürlich habe er Fehler gemacht, aber wer mache keine Fehler. Natürlich gebe es Kritiker in Deutschland, aber schon immer sei er in geläutert wolle er nun in den letzten Satz gehen, in den nächsten 25 Jahren gelte es nun, "etwas zu bewirken". Die Lehren aus seiner Gefängniszeit sollten helfen, "die richtigen Entscheidungen zu treffen".

    Hört man sich bei langjährigen Weggefährten, Freunden und Bekannten um, fällt auf, wie sehr sie hoffen, dass Becker sich durch die rund acht Monate in zwei britischen Haftanstalten als Insasse mit dem Code "A2923EV" wirklich verändert habe, demütiger geworden sei. Und wie sehr sie befürchten, dass der noch immer jüngste Wimbledonsieger aller Zeiten vielleicht doch einfach nur weitermacht, wo er vor seiner Verurteilung aufhören musste. Befeuert wird die allgemeine Ungewissheit einmal mehr durch Schmonzetten in der Bild, mit der Becker seit jeher eine bizarre Fahrstuhlbeziehung unterhält – mit dem Blatt und seinen Machern ging es für den Leimener durch alle Lebensabschnitte regelmäßig auf und nieder. Je nachdem, wie auskunftsfreudig er sich den Schlagzeilendichtern gegenüber gab. Im Moment schweigt Becker, und diese Lücke wird durch allerhand Spekulatives gefüllt, durch scheinbare Aufreger und vermeintliche Sensationen, durch Äußerungen der früheren Frauen/Partnerinnen. Zuletzt ging es allerdings auch mal um die Frage, ob Becker wieder daheim in Leimen bei seiner 87-jährigen Mutter Elvira eingezogen sei – was Becker dann dementierte.

    Hinter dieser süffisanten Diskussion steckt allerdings ein für Becker trauriger Tatbestand: Was er in seinem Leben nach der Tenniskarriere um fast jeden Preis verhindern wollte, war ein Leben in Deutschland. Eine fürsorgliche Beobachtung durch seine Mitbürger und Mitbürgerinnen, wie zuletzt in Stuttgart, wo er mit seiner Freundin Lilian de Carvalho Monteiro fein beim Italiener diniert hatte – und danach den üppigen Kassenzettel in einschlägigen Medien vorgerechnet bekam. Becker hatte sich ja in London wohlig eingerichtet, die Briten mochten ihn, er mochte die Briten. Und zwar vor allem, weil er inmitten des Auflaufs an Prominenz weitgehend in Ruhe gelassen wurde. Zu dumm nur, dass er irgendwann den klaren Blick über seine finanziellen Verhältnisse verlor oder seine Möglichkeiten und Grenzen schlicht nicht wahrhaben wollte. Das ganze Desaster mit einem millionenschweren Schuldenberg endete schließlich vor der Richterin. Zwar verbüßte Becker nur einen Bruchteil seiner Haftstrafe, weil die Behörden daran interessiert sind, dass ausländische Gefängnisinsassen in gewissen minderschweren Fällen die überfüllten Anstalten nicht zu lange belegen sollen. Aber die schnelle Abschiebung bedeutete dennoch auch: Ein Zurück nach

    Die Besenkammer-Affäre hängt Boris Becker noch immer nach

    Wie lange nun ein Einreiseverbot für Becker auf die Insel gilt, darüber wird in juristischen Kreisen seit seiner Freilassung vor Weihnachten 2022 diskutiert. Bis zum Ende seiner tatsächlichen Strafe, das wäre der Herbst 2024? Weit darüber hinaus, bis zu zehn Jahre nach der Urteilsverkündung? Oder gibt es gar eine weitere Sonderregelung für Becker, wie der ein oder andere Rechtsgelehrte steil mutmaßte – schließlich sei es von gewissem öffentlichen Interesse, wenn Becker etwa als Kommentator beim Turnier von Wimbledon in

    Bei den Herren endete er 2022 mit dem Sieg seines früheren Schützlings Novak Djokovic. Den hatte er als Coach einst wieder auf den rechten Weg und zu zwei Wimbledon-Titeln geführt. Viele Freunde sagen, es sei die wohl beste Zeit für Becker gewesen, seit er Ende Juni 1999 in Wimbledon mit dem Tennissport aufgehört hatte.

    Jener 30. Juni 1999, der Tag des Rücktritts, ist inzwischen schon von Mythen, Spekulationen und Behauptungen umrankt. Der Tag, an dem er nicht nur zum letzten Mal den heiligen Centre Court in London SW19 betrat, sondern auch noch Vater einer Tochter wurde – was er schließlich im September jenes Jahres durch eine Faxnachricht der Rechtsanwälte des Models Angela Ermakowa erfuhr, der Kindsmutter. Die sogenannte Besenkammer-Affäre wird dieser Tage, da Tochter Anna an der TV-Show "Let's Dance" in Deutschland mitwirkte, erneut unangenehm vor der Öffentlichkeit ausgebreitet – etwa mit der Frage, ob Becker seine Bekanntschaft nun wirklich zufällig traf oder ob man sich schon länger kannte. Dass Becker selbst ziemlich unsensibel über diese Nacht spricht und es überhaupt schlagzeilenträchtig tut, kommt dabei nicht besonders gut an, auch nicht bei seinen engen Parteigängern. 

    Was ist Sein und was Schein beim früheren Tennisstar?

    Was Sein und Schein bei Becker sei, wisse man auch jetzt nicht, kolportierte unlängst ein Kritiker aus dem Umfeld der gebeutelten Gläubiger des Tennisstars, "man hat den Eindruck, dass er das eine sagt und das andere tut". Luxustrips in die Karibik oder andere aufwändige Episoden werden von denen, die noch eine faktische Rechnung mit Becker offen haben, tatsächlich argwöhnisch beäugt. Mutmaßlich gehört auch die gesamte Insolvenzverwaltung in London zu den eifrigen skeptischen Beobachtern, allen voran der mit der Causa Becker befasste Mark Ford. Schon im Februar hatte sich

    Anna Ermakowa, Model und Tochter von Boris Becker, trat unlängst in der RTL-Show "Let's Dance" auf.
    Anna Ermakowa, Model und Tochter von Boris Becker, trat unlängst in der RTL-Show "Let's Dance" auf. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Wie sich Becker seine Zukunft vorstellt, bleibt wie vieles andere im Ungefähren und Nebulösen. Er stelle fest, nach seinen jüngsten Erfahrungen "reifer, verständnisvoller und fürsorglicher" geworden zu sein, sagt er, "außerdem hoffe ich, ein wenig klüger zu sein, dieselben Fehler nicht zweimal zu machen". Was er noch immer gerne auslebt, ist eine gewisse Lust an der Provokation – mag die Lage auch noch so angespannt sein. Eine erste Werbekampagne nach der Haftverbüßung zeigte einen scheinbar zügellosen Becker, der aber nur im Dienste des Partners fensterversand.com mit Scheinen um sich warf. "Schmeißen Sie Ihr Geld nicht aus dem Fenster", lautete das Motto. Nicht alle lachten über die Reklameveranstaltung.

    Als TV-Experte macht Boris Becker noch immer eine gute Figur

    Auf seinem ureigensten Terrain hatte Becker bereits zeitig einen Einsatz, bei den australischen Tennis-Meisterschaften im Januar in Melbourne. Er saß als Kommentator und Experte in einem Münchner TV-Studio da, als wäre nichts gewesen in den Monaten zuvor. Tennis wird ihn auch in absehbarer Zukunft intensiv beschäftigen, weitere Grand-Slam-Turniere wird er wort- und kenntnisreich begleiten, an seiner Kompetenz und Klasse hat da niemand auch nur den geringsten Zweifel.

    Der größte Moment: Boris Becker gewinnt 1985 das Tennisturnier in Wimbledon.
    Der größte Moment: Boris Becker gewinnt 1985 das Tennisturnier in Wimbledon. Foto: Rüdiger Schrader, dpa

    Vielleicht muss Becker bei seinem nächsten Neustart nur etwas in die Tat umsetzen, was er zuletzt bei einem Blick auf sein Leben nach der großen Karriere so formulierte: "Irgendwann ist man zu alt für Fußball oder Tennis, und der Zeitpunkt, sich neu zu erfinden, ist ein großes Dilemma. An diesem Punkt braucht man Hilfe." Hilfe und Helfer gäbe es genug, auch und gerade einer wie Ion Tiriac stünde da bereit, einer der gerissensten Geschäftemacher im Sportbusiness. Jener Mann, der den ganz jungen Becker einst wie ein zweiter Vater als Manager lenkte, ihn mitunter hart an die Zügel nahm. "Wenn ich Ion heute anrufen würde, denke ich, dass er den Hörer abnimmt", sagt Becker selbst. Nur tun müsste er es halt.

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