Ulm Es gibt nicht mehr viele deutsche Stadien, in denen sich Leichtathletikmeisterschaften austragen lassen. Die meisten sind reine Fußballstadien ohne Laufbahn. Die wenigen verbleibenden sind zu groß (Berlin, Köln, Frankfurt, Nürnberg, München), um Leichtathletik-Titelkämpfe zu veranstalten, oder veraltet. Geblieben ist nur eine Handvoll Austragungsorte, denen der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) Meisterschaften guten Gewissens anvertrauen kann. Wattenscheid, Kassel, demnächst Erfurt, Braunschweig – vor allem aber Ulm. Donaustadion, 19500 gut besuchte Plätze, zeitgemäße Ausstattung, fachkundiges Publikum.
Kein Wunder also, dass hier an diesem Wochenende schon zum vierten Mal seit 2003 die deutschen Meisterschaften stattfinden. Dass Ulm auch nächstes Jahr wieder Austragungsort sein wird, gilt bereits als sicher, und ist ein Novum. Braunschweig, zunächst als Kandidat vorgesehen, ist mit der Team-EM belegt.
250000 Euro in beide Tage investiert
250000 Euro hat Ulm in die beiden Tage investiert. „Ulm macht die Weltmeister“ lautet das etwas vollmundige Motto für Titelkämpfe. Zunächst einmal macht Ulm allerdings die deutschen Teilnehmer an der WM in Moskau (10.–18. August). Wer die Qualifikationsnorm erfüllt und die Stadt als Meister verlässt, hat sein WM-Ticket sicher. Wer nur die Norm erfüllt, was bislang 43 Athleten geschafft haben, muss um seinen Startplatz zittern. Die Konkurrenz im Land ist wieder groß. 2012 in London hat die deutsche Leichtathletik eine Renaissance erlebt. Mit acht olympischen Medaillen waren die DLV-Athleten heimgekehrt, nachdem es vier Jahre zuvor mit nur einmal Bronze die schwächste Ausbeute seit über hundert Jahren gegeben hatte.
Inzwischen haben die Deutschen wieder erfolgreiche Aushängeschilder, die das Gesicht der Sportart prägen. Robert Harting (Diskus), David Storl (Kugel), die Stabhochspringer Björn Otto, Raphael Holzdeppe, Malte Mohr; dazu bei den Frauen Christina Obergföll (Speer), Betty Heidler (Hammer), Nadine Müller (Diskus), die Stabhochspringerinnen um Silke Spiegelburg und die aktuelle Nummer 1 in Deutschland, die gebürtige Harburgerin Carolin Hingst. Sie alle starten in Ulm, was für die nationalen Titelkämpfe ein Niveau verspricht, wie es deutsche Meisterschaften schon lange nicht mehr geboten haben.
Allerdings, so stark die technischen Disziplinen besetzt sind, so groß ist der Rückstand auf den Laufstrecken. Einzige Ausnahme seit Jahren ist Verena Sailer. Die aus Illertissen stammende ehemalige 100-m-Europameisterin dürfte auch in Ulm nicht zu schlagen sein, und hat damit ihren Startplatz in Moskau sicher.
Darüber hinaus haben bislang erst sechs Läufer die anspruchsvollen WM-Normen erfüllt. 10,15 Sekunden muss einer beispielsweise über 100 m sprinten, um in Russland dabei zu sein. Julian Reus, immerhin derzeit der schnellste Deutsche, ist bislang lediglich mit 10,20 Sekunden notiert. Reus wird, wie viele andere am Wochenende, nachlegen müssen. „Wir beklagen uns nicht. Wir sehen diese Normen als Herausforderung“, sagt DLV-Cheftrainer Cheick-Idriss Gonschinska. Er hat allen Grund, darauf zu hoffen, dass viele seiner Athleten am Wochenende über Ulm den Weg nach Moskau nehmen werden.