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Diagnose Myopathie: Mario Götze: Der Fall des WM-Helden

Diagnose Myopathie

Mario Götze: Der Fall des WM-Helden

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    Mario Götze hat sich zurückgezogen. Derzeit lässt sich der Fußball-Profi bei einem Spezialisten in Baden-Württemberg behandeln.
    Mario Götze hat sich zurückgezogen. Derzeit lässt sich der Fußball-Profi bei einem Spezialisten in Baden-Württemberg behandeln. Foto: Guido Kirchner, dpa

    Mario Götze stand diese Woche mal wieder in der Zeitung. Nicht nur in den Dortmunder Ruhrnachrichten, sondern landesweit. Wer sich im Fußball nicht auskennt, hätte zuletzt lange überlegen müssen, wo Götze derzeit spielt. Dabei ist die Antwort einfach: Er spielt nirgendwo. Seit ihn Borussia Dortmund vergangenen Sommer für 22 Millionen Euro Ablöse vom FC Bayern zurückgekauft hat, saß er überwiegend auf der Ersatzbank oder auf der Tribüne. Mal zwickte dieser Muskel, mal jener. Dann hieß es, er sei fit, aber es fehle ihm Spielpraxis. Sein letzter Auftritt für Dortmund: Am 29. Januar gegen Mainz, 66 Minuten, dann ausgewechselt.

    Götze war schon früh als Ausnahmetalent bekannt

    Man würde darüber nicht reden, wäre Mario Götze vor einigen Jahren nicht als eines der größten deutschen Fußball-Talente gefeiert worden. Matthias Sammer, ehemals Europas Fußballer des Jahres, Trainer in Dortmund und Sportdirektor des FC Bayern, hat im jungen Götze ein „Jahrhunderttalent“ gesehen. Zugegeben, der

    Götze eine große Karriere vorauszusagen, war freilich kein Wagnis. Der gebürtige Memminger war fußballerisch frühreif. Nach seinen ersten drei Lebensjahren in Ronsberg im Ostallgäu zog die Familie mit seinen beiden ebenfalls Fußball spielenden Brüdern Fabian (26, SpVgg Unterhaching) und Felix (19, FC Bayern) nach Dortmund, wo sein Vater den Lehrstuhl für Datentechnik an der Technischen Universität Dortmund annahm. Mit 17 war Götze Junioren-Europameister und Bundesliga-Debütant, mit 18 Nationalspieler, mit 19 deutscher Meister, mit 20 noch einmal. Mit 21 war er dem FC Bayern 37 Millionen Euro Ablöse wert.

    Kein Mann der großen Worte - aber der Taten

    Götze kennen auch jene fußballfernen Schichten im Land, die eine Viererkette für Weihnachtsschmuck und die hängende Neun für eine Figur aus dem Yoga halten. Götze – das war doch der, der uns in Brasilien zum WM-Titel geschossen hat. Ja, auch wenn die Formulierung angesichts des Kunstwerks, das Götze auf den Rasen des Maracanã-Stadions von Rio gezaubert hat, ein wenig schnöde klingt. Schließlich hat er den heransegelnden Ball im Sprint von der Brust in den eigenen Lauf tropfen lassen und ihn dann volley mit dem linken Fuß am Torhüter vorbei ins Netz geschossen. Es war ein Götze-Tor. Der Treffer einer hängenden Neun, die von allem ein bisschen ist. Edeltechniker und Schnörkelspieler. Mal hier, mal dort. Auf wenig festzulegen. Kein Spieler, der Abwehrketten teilt wie Moses das Meer, sondern einer, der mit Gefühl für Raum und Zeit die kleinsten Lücken erkennt.

    Dieses Tor hat sich ins kollektive Gedächtnis der Nation und weite Teile der Fußball-Welt gebrannt. Ein Moment, der gefühlt ganz nah bei den großen Augenblicken der Zeitgeschichte steht. Das Götze-Tor, so unbedeutend es für den Lauf der Welt ist, direkt neben dem Mauerfall, dem ersten Schultag, dem ersten Kuss. Das muss man als Schütze ertragen können. Götze kann das. Er ist keiner, der sich einen Kopf um Dinge macht. Sie sind für ihn, wie sie sind.

    Wäre er anders, hätte er den Ball im WM-Finale möglicherweise aus Angst, alles richtig zu machen, in Richtung Tribüne geschossen. Götze aber ist nervenstark. Auch in schwierigen Situationen. Wer sich hinter die Fassade des coolen Jungprofis fragen möchte, kommt nicht weit. Götze verbarrikadiert sich hinter Fußballplattitüden. Kein Satz von ihm, der hängen geblieben ist. Nicht mal einer aus der Welt des Fußballs. Durch sie bewegt er sich mit pausbäckiger Jungenhaftigkeit, begleitet von dem Model Ann-Kathrin Brömmel, 27, neben der Götze aussieht wie ihr kleinerer Bruder.

    Der Profi mit einer Soziologiestudentin oder einer Kindergärtnerin an der Seite – schwer vorstellbar. Die Performance ist für ihn wichtig. Würde man ihn darauf aufmerksam machen, dass es weder Gerd Müller 1974 noch Andreas Brehme 1990 Glück gebracht hat, ein WM-Finale für Deutschland zu entscheiden, Götze würde nur mit den Schultern zucken. Dass Müller, Schütze des 2:1 im Finale gegen Holland, später dem Alkohol verfiel, von Uli Hoeneß und dem FC Bayern gerettet wurde und heute demenzkrank in einem Pflegeheim lebt. Dass Brehme, Elfmeterschütze zum 1:0 gegen Argentinien, später nicht mehr viel gewonnen hat und vom FC Bayern heute gnadenhalber als Repräsentant beschäftigt wird. Für Götze käme das aus einer anderen Welt. Seine ist das WM-Finale von 2014 und alles, was daraus folgte.

    Joachim Löw treibt ihn immer wieder zu Bestleistungen an

    Dabei ist Götze vielleicht erst durch einen Psycho-Kniff von Joachim Löw zum Weltmeister-Macher geworden. Der Bundestrainer hatte den Stürmer in der Nachspielzeit eingewechselt, ihm kurz vorher am Spielfeldrand ins Ohr geraunt: „Und jetzt zeig der Welt, dass du besser bist als Messi.“ Welcher Teufel hatte Löw da geritten? Er hätte ihm auch zuflüstern können: „Und jetzt zeig der Welt, dass du fliegen kannst.“ 113 Minuten lang war es Argentiniens Lionel

    Das Finaltor hat auch Götze kein Glück gebracht. Zurück aus Brasilien saß er beim FC Bayern wieder auf der Bank. Spielte er, wirkte er uninspiriert und pomadig. Götzes Pech: Sein Spiel sieht nie nach Anstrengung aus. Das aber ist das Mindeste, was die Zuschauer sehen wollen an Tagen, an denen dem Künstler die Eingebung fehlt. Wer das nicht vermitteln kann, verliert sein Publikum. Erst recht einer, der als Weltklasse-Talent bei den Fans einmal Träume geweckt hat. Das Publikum fühlt sich betrogen. Also reagiert es wie ein Betrogener. Es entzieht ihm seine Zuneigung. Keiner hat ihn beim FC Bayern mehr vermisst, wenn er auf der Bank saß. Am wenigsten Trainer Pep Guardiola, in dessen System für Götze kein Platz mehr war. Nur Joachim Löw hielt an ihm fest. Wie immer, wenn einer im Verein Schwierigkeiten hat und aus der Nationalelf Rückendeckung braucht.

    Götzes Rückkehr von München nach Dortmund war eine Flucht. Aber auch in seiner alten Heimat kam er nicht auf die Beine. Die üblichen Kritiker, von Lothar Matthäus bis Michael Ballack, fällten ihre Urteile. Er sei zu langsam, hieß es. Kein Kämpfer, gebe zu früh auf. Dabei gehörte er mit einem Pensum von annähernd zwölf Kilometern in 90 Minuten zu den laufstärksten BVB-Spielern. Nur wenn es schnell gehen musste, lief er hinterher. Götze erlegte sich Sonderschichten auf – ohne Erfolg. Und ständig zwickte ein Muskel. Der 24-Jährige wurde zum Rätsel – das diese Woche nun scheinbar gelöst ist.

    Myopathie - Götze leidet an einer Stoffwechselstörung

    Götze, das machte sein Verein öffentlich, leidet an einer Stoffwechselstörung. Damit erschien die Ankündigung von Vereins-Boss Hans-Joachim Watzke, Götzes Kritiker würden bald „Abbitte leisten müssen“, in neuem Licht. Offenbar hatte Watzke schon länger Bescheid gewusst.

    Die Diagnose schreckte auf und beruhigte zugleich. Es gab eine Erklärung für das Unerklärliche. Das Verstörende: Götze ist erst 24 und als Profi medizinisch bestens betreut. Stoffwechselstörungen können alles Mögliche sein. Bayern-Spieler Sebastian Deisler, nicht weniger talentiert als Götze, aber der öffentlichen Erwartung nicht gewachsen, litt einst auch unter einer Stoffwechselstörung (Was ist das?), aber einer, die im Gehirn stattfand und als Depression seine Karriere beendete.

    Bei Götze handelt es sich um eine muskuläre Stoffwechselstörung – Myopathie. Nicht die schwere, erblich bedingte Form. Sein Fall ist behandelbar. Er wird wohl wieder einmal etliche Wochen pausieren müssen. Götze hat mit seinen 24 Jahren hinterher noch immer genügend Zeit, sein überragendes Talent auszuschöpfen. Er muss dafür nicht einmal mehr ein WM-Finale entscheiden.

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