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Streit über den Umgang mit Migration geht weiter

Zuwanderung

Der Streit über den Umgang mit Migration kommt nicht zur Ruhe

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    Die Zentrale des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Berlin. In der Behörde laufen die Fäden bei der Prüfung von Asylanträgen zusammen.
    Die Zentrale des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Berlin. In der Behörde laufen die Fäden bei der Prüfung von Asylanträgen zusammen. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Der Ton war rau: Nach dem Terroranschlag von Solingen, verübt von einem syrischen Asylbewerber, wollte die Bundesregierung eine neue Härte walten lassen im Umgang mit irregulärer Migration und innerer Sicherheit. Ein Paket wurde geschnürt, jetzt, in der zweiten Wochenhälfte, soll es der Bundestag endlich beschließen. Doch Kritiker monieren, dass aus dem Sicherheitspaket durch die Feinjustierung der Ampel ein Sicherheitspäckchen geworden sei. In die Migrationsdebatte kommt daher neue politische Unruhe – und das längst nicht nur in Deutschland.

    In Albanien werden an diesem Mittwoch die ersten Migranten erwartet, die eigentlich nach Italien flüchten wollten. Das Balkan-Land richtet Migrationszentren für Italien ein. Es ist ein politisches Experiment. Die Ersten, die dort „einziehen“, sind 16 Männer aus Ägypten und Bangladesch, sie hatten sich auf den Weg über das Mittelmeer nach Europa gemacht und wurden von den italienischen Behörden auf offener See an Bord genommen. Italienischen Boden dürfen sie nicht betreten. In Polen wiederum bereitet die Regierung die Aussetzung des Rechts auf Asyl vor – durchgesetzt wird es ausgerechnet vom früheren EU-Ratspräsidenten und heutigen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Was die EU dazu sagt, wird sich spätestens am Donnerstag zeigen, dann tagen nämlich die Regierungschefs in Brüssel. Und auch hier geht es um das Mega-Thema Migration.

    In Deutschland dreht sich die Debatte vornehmlich um den Umgang mit Asylbewerbern. „Vor lauter Ausnahmen kann man jetzt die ursprünglich vorgesehene Rechtsverschärfung gar nicht mehr sehen“, sagte CDU/CSU-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei dem Tagesspiegel. Tatsächlich fällt das geplante Vorhaben kleiner aus als es die Ankündigungen sowohl von Innenministerin Nancy Faeser als auch Bundeskanzler Olaf Scholz erwarten ließen. Nicht alle Versprechen, die im Angesicht der Gewalttaten von Solingen und Mannheim gegeben wurden, scheinen rechtssicher oder innerparteilich durchsetzbar gewesen zu sein. In der SPD kursiert inzwischen ein Brief, in dem dazu aufgefordert wird, die Zustimmung zum Sicherheitspaket zu verweigern. „‘Eine Brot, Bett und Seife‘-Politik ist eine Politik gegen die Menschenwürde und darf nicht durch Sozialdemokrat*innen beschlossen werden“, heißt es darin, wie der Spiegel zitiert.

    Der Umgang mit Dublin-Flüchtlingen in der EU wird strenger

    Vor allem der finanzielle Umgang mit Asylbewerbern, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, sollte sich eigentlich grundlegend ändern. Denn die müssten laut den so genannten Dublin-Regeln eigentlich zurück in das Land, in dem sie zuerst Asyl beantragt haben. Wer dem nicht nachkommt, sollte von staatlichen Leistungen ausgeschlossen werden. So will die Regierung Ausreisen vorantreiben. Nun aber müssen künftig wohl doch nicht alle Dublin-Flüchtlinge einen solchen Schritt fürchten, die Regelung gilt nur für jene, bei denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Ausreise für „rechtlich und tatsächlich möglich“ hält. Wie das zu interpretieren ist, bleibt offen. Faktisch dürfte es den Kreis der Betroffenen aber erheblich einschränken, da sich viele EU-Länder schlicht weigern, Migranten zurückzunehmen. Allein im ersten Halbjahr 2024 versuchte Deutschland 36.795 Geflüchtete zurückzuführen in jene europäischen Mitgliedstaaten, in denen sie zuerst Asyl beantragt hatten. Dem standen aber nur 3043 tatsächlich durchgeführte Überstellungen gegenüber. Betroffen wären vor allem Asylbewerber, die sich selbst der Rückführung in ein sicheres EU-Land entziehen und untertauchen. Das war beim Attentäter von Solingen der Fall.

    Ausnahmen geben soll es zudem im Umgang mit Flüchtlingen, die vorübergehend in ihr Heimatland zurückreisen, etwa um dort ihre Familie zu besuchen. Wer das macht, verliert künftig seinen Schutzstatus – es sei denn, es gäbe humanitäre Gründe für eine solche Reise. Dazu zählt etwa die Beerdigung eines Elternteils. Auch biometrische Daten im Internet, also Gesichter und Stimmen, sollen für kriminalistische Ermittlungen weiter nur begrenzt genutzt werden können - der Richterbund läuft deswegen Sturm. Er fordert mehr Mut.

    Noch schwerer im Magen liegen dürfte vielen Sozialdemokraten, was EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Ringen gegen die illegale Migration vorschlägt. Leyen legte den 27 Staats- und Regierungschefs kurz vor dem EU-Gipfel einen Zehn-Punkte-Plan vor – ihr Vorbild: die italienischen Abschiebezentren in Albanien. Von der Leyen fordert die Mitgliedsstaaten auf, die Einrichtung von sogenannten „return hubs“ in Betracht zu ziehen. Man solle „mögliche Wege für die Entwicklung von Rückkehrzentren außerhalb der EU prüfen“, verlangte die Deutsche und kündigte an, das Konzept der sicheren Drittländer im nächsten Jahr rechtlich neu zu regeln, „um unsere Handlungsfähigkeit zu verbessern“. Ihre Kritik: Nur etwa jeder fünfte abgelehnte Asylbewerber habe Europa auch verlassen.

    Polen will das Asylrecht aussetzen

    Vergangene Woche noch hatte die scheidende Innenkommissarin Ylva Johansson die Aussicht auf Abschiebelager heruntergespielt, immerhin hatte die Brüsseler Behörde in der Vergangenheit solche Ideen stets abgelehnt. Jetzt verweist von der Leyen dagegen explizit auf Italiens Albanien-Modell als eine Möglichkeit, „Lehren aus dieser Erfahrung für die Praxis zu ziehen“. Ist der Deal eine Blaupause für die gesamte Union? Tatsächlich geht selbst diese Initiative etlichen Politikern noch nicht weit genug. Sie wünschen sich eine Auslagerung an afrikanische Staaten wie Ruanda. Das weckt Erinnerungen an den Flüchtlingsdeal zwischen London und Kigali, der im Sommer unter anderem an rechtlichen Hürden gescheitert war.

    Welche Haltung vertritt die Bundesregierung bei der umstrittenen Frage? Aus Berlin war am Dienstag zu hören, dass man von der Leyens Brief vom Montag erst „noch lesen und analysieren“ müsse. Die Antwort aus dem Kanzleramt überraschte insofern, weil die Forderung, Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU auszulagern, seit Monaten die Debatten in der europäischen Flüchtlingspolitik dominiert.

    Andere Länder versuchen dagegen, auszuscheren. Am Wochenende kündigte Polens Regierungschef Donald Tusk an, das Asylrecht teilweise aussetzen zu wollen. Schon seit 2021 schickt sein Nachbar, der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko, gezielt Flüchtlinge über die Grenze. Zuvor hatten schon Ungarn und die Niederlande sogenannte Opt-outs verlangt. In Brüssel sorgte die jüngste Forderung aus Warschau nach einer Ausnahmeregelung für Missmut. Zum einen, weil es eine EU-Vertragsänderung erfordert, wenn einzelne Staaten den Pausenknopf drücken wollen. Dieser müssten alle 27 Partner zustimmen. Zum anderen verweisen EU-Vertreter unermüdlich auf die im Frühjahr beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die strengere Regeln, Asylverfahren an den Außengrenzen sowie einen obligatorischen Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedstaaten vorsieht. Bundeskanzler Olaf Scholz will beim Gipfel am Donnerstag dafür werben, den Pakt zumindest schneller umzusetzen. Eigentlich gilt eine Frist von zwei Jahren. Das Recht würde demnach erst ab Juni 2026 zur Anwendung kommen. „Aus unserer Sicht kann man das beschleunigen“, hieß es aus dem Kanzleramt. Auch von der Leyen plädierte in ihrem Schreiben dafür, Teile der Reform vorzuziehen. Dann wäre es in Deutschland beispielsweise schon bald möglich, an den Flughäfen beschleunigte Verfahren durchzuführen.

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    11 Kommentare
    Gerold Rainer

    Der SPD würde ich gerne eines sagen: Nicht nur der Flüchtling, sondern auch der zahlende Gastgeber und Steuerzehler hat eine Menschenwürde. Der Missbrauch des Asyls und das unberechtigte Beanspruchen kostenloser Leistungen ist menschenverachtend gegenüber allen, die tatsächlich auf Sozialleistungen oder politischen Schutz angewiesen sind. Wenn es darum ginge, das Wohlstandsgefälle auszugleichen, müsste mehr in die armen Länder investiert werden, anstatt die Menschen, die zu Recht nach einem besseren Leben suchen, auf eine lebensgefährliche Reise zu schicken und die Schlepper reich zu machen.

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    Maria Reichenauer

    Wo genau wird IHRE Menschenwürde verletzt, wenn jemand hier Asyl beantragt? Oder einfach ein sicheres Leben sucht? Oder vor Hunger und Krieg flieht? Wenn Menschen in Internierungslager gesteckt werden, weil ihr Anblick nicht in unser Weltbild passt? Wissen Sie eigentlich, was diese Menschen alles hinter sich haben, was unter der Menschenwürde war, während Sie bequem Zeit auf dem Sofa verbracht haben? Wenn Sie mehr wissen möchten, engagieren Sie sich in einer Helfergruppe, Sie würden staunen, was man da alles lernen kann.

    Gerold Rainer

    Bleiben wir realistisch. Die Leute die wirklich hungern, schaffen erst gar nicht den Weg in die EU, weil sie die 5000€ oder mehr für die lebensgefährliche Schlauchbootfahrt nicht bezahlen können. Und in den meisten Fällen dürfen die Frauen und Kinder, also die schwächsten, zurückbleiben. Was in Ihr Weltbild nicht passt ist, dass man Elend nur lindern kann, wenn man die armen Länder wirtschaftlich aufbaut, anstatt nur wenigen auserwählten zu helfen und das menschenverachtende Geschäft mit den Schleppern am Leben zu halten. Am besten klappt das mit Microkrediten an Frauen. Das Asylrecht, so wie es auch im Grundgesetz steht, war ursprünglich für politische Flüchtlinge gedacht, die nach Schutz suchen.

    Maria Reichenauer

    Und so ist das Asylrecht auch heute gedacht. Und kein Politiker sollte auf Druck von rechten Gesellen daran rütteln. Ihr Satz zum Hunger ist zynisch bis menschenverachtend. Wenn Sie "arme Länder" aufbauen wollen, dann müssen Sie z.B. mit einem gerechten Preis für Erzeugnisse aus diesen Ländern rechnen. Also denken Sie bitte bei der nächsten Tasse Kaffee, beim nächsten Artikel, der Palmöl enthält, bei der nächsten exotischen Frucht und beim nächsten Kleidungsstück daran, wieviel den Produzenten bleibt und wieviel Gewinn die Importeure machen. Dann wird das Problem ganz schnell UNSER Problem, nur mit den Kollateralschäden wollen wir natürlich nichts zu tun haben. Da setzt man sich aufs hohe Ross und polemisiert, wenn es z. B. um Hunger geht.

    Martin Goller

    Keine Angst: Bei der Förderung für arme Länder (Entwicklungshilfe) setzen rechte Parteien gerne als erstes die Axt an - danach ist dann meistens die Hilfe für die hiesige Bevölkerung dran.

    Gerold Rainer

    Das wirklich zynische ist, wer sich den Schlepper leisten kann, ist nicht arm. Wer 5000€ hat, könnte sich genau so gut in seiner Heimat eine Existenz davon aufbauen. Wenn es darum geht, den Hunger zu bekämpfen, wäre es weitaus effektiver Lebensmittel und Medikamente zu schicken, als eine Massenwanderung zuzulassen. Letzeres ist menschenverachtend für die 99%, die sich die Reise nicht leisten können! Die gerechtene Preis für die Erzeuger die Sie zu Recht forden bedürfen einer enormen politischen Anstrengung, das Erzeugerland müsste Mindestpreis bzw. Mindestlöhne beschließen.

    Maria Reichenauer

    Schon wieder versuchen Sie die Sache umzudrehen. Man kann beispielsweise Kaffee und viele andere Dinge aus dem fairen Handel kaufen – warum jagt der gute Deutsche trotzdem jedem Schnäppchen der großen Marken nach? Hauptsache billig? Warum ist das Lieferkettengesetz so schwierig umzusetzen, wenn es um die Arbeitsbedingungen und Entlohnung der Ursprungsländer geht, eigentlich eine gute Sache? Warum ist das Gesetz für viele ein No Go?

    Raimund Kamm

    >>Der Streit über den Umgang mit Migration kommt nicht zur Ruhe<< Wie auch? Mit dem Schüren von Angst vor Ausländern kann man emotionalisieren und von wichtigen politischen Aufgaben ablenken: 1. Klimaschutz, 2. Gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen, 3. Kampf gegen die massive Vernichtung von Tier- und Pflanzenarten, 4. Industriepolitik für zukunftsfähige Produkte und Unternehmen, 5. Sicherheitspolitik in einer Zeit mit kriegstreibenden Autokraten und Diktatoren, 6. Effizientere Verwaltung mit transparenter persönlicher Führungsverantwortung, 7. Voranbringen der Atommüllentsorgung. Schlimm, dass die Opposition im Bundestag hierzu keine Antworten bringt.

    Marianne Böhm

    Deutschland und Europa verteilen ja keine Migranten, Flüchtlinge, sondern bezahlen Einrichtungen in anderen Ländern, damit diese nicht zu uns oder in europäische, reiche Länder kommen. Wir machen es wie bei allen.. wir lösen keine Probleme sondern wir verschieben sie nur.. Und jedes Land in diesen Multilateralen, festgeeinten, zusammenhaltigen Europa, nimmt sich seine eigenen Rechte heraus.. Gerold Rainer@ ich gebe ihnen völlig recht, warum geben wir die Milliarden Euro, die wir in Deal's mit korrupten Länder stecken, nicht in deren Herkunftsländer, dir wir ja eh schon unterstützen. Aus dem ganzen Handeln heraus kann man sehen, dass der, die Deutsche/n regeln sämtliche Probleme nur mit Geld.. Von der Leyen ist ja bekannt dafür dass sie bei Geld ein loses Händchen hat.. Und ich möchte nicht wissen was Gelder in die Ukraine transferiert werden, aus geheimen Töpfen, gell Fr. v. d. Leyen. Vor der Bundeswahl 2025 ist plötzlich alles möglich, wie bei wünsch dir was ein Geldregen.!

    Maria Reichenauer

    Es ist schlimm, dass die AfD mittlerweile die Themen dieses Landes bestimmt und die übrigen EU-Länder mehrheitlich von Rechtsextremisten gekapert wurden. Hinunterzutreten auf Menschen, die aus vielfältigen Gründen ihre Heimat verlassen haben, ist keine Lösung. Die Menschenrechte unter die Räder kommen lassen ist ekelhaft. Dass es nun einen Überbietungswettbewerb gibt, um die rechtsextremen Gelüste zu befriedigen, das ist erst recht zum Kotzen. Ich frage konkret: Wem werden Leistungen entzogen, damit die Geflüchteten versorgt werden? Niemand. Wer wird konkret von Geflüchteten bedroht? Niemand. Es gibt ja auch deutsche Gewalttäter. Gewalt ist nicht von Nationalität abhängig. Wer muss konkret auf etwas verzichten wegen der Geflüchteten? Niemand. Wem könnten integrierte Geflüchtete helfen? Der Wirtschaft und der Gesellschaft. Und damit uns allen. Warum fallen dann so viele Menschen auf die ständige Angstmacherei herein? Fragen Sie mich was Leichtees.

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    Walter Koenig

    Eine beliebte Formulierung lautet, dass die Politiker angeblich nicht mehr dem Volk aufs Maul schauen, also nicht mehr wissen, was die Leute wirklich wollen. Gestern erst wieder bei der Sendung über Wagenknecht, da zeichnet die ein Szenario vom letzten Laden auf dem Dorf, der schließt, von der letzten Arztpraxis, die schließt und vom schlechten ÖPNV. Und schuld daran ist natürlich die Politik. Aber wenn der Laden nur noch aufgesucht wird, wenn man was im Supermarkt vergessen hat, dann sollte man bedenken, dass davon kein Laden dauerhaft leben kann. Das selbe gilt für den ÖPNV, es bringt rein gar nichts, wenn der Bus nur heiße Luft durch die Gegend fährt. Denn auch der Busunternehmer will leben. Aber das interessiert die Protagonisten weniger, Hauptsache, man kann gegen die Politiker wettern. Nur sind die Dinge nicht so einfach, wie sie von Protagonisten gern dargestellt werden. Das gilt insbesondere beim Thema Migration.

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