Herr Schweppe, Sie haben mehr als zwei Jahre lang den Folgen der gefeierten Zeitenwende-Rede von Kanzler Olaf Scholz vom 27. Februar 2022 in Deutschland nachgespürt. Sie schildern in Ihrem Buch, wie aus der Zeitenwende „Zeiten ohne Wende“ – so der Titel – werden. Wie desillusioniert sind Sie?
Christian Schweppe: Nach mehr als zwei Jahren Recherche sehe ich, dass einfach viel zu wenig umgesetzt wurde von der groß angekündigten Zeitenwende des Kanzlers. Die Rede war ein historisches Momentum. Doch dieses Momentum ist leider auf allen Ebenen verloren gegangen.
Sie haben mit Soldaten, Generälen, aber auch Ministerinnen und Ministern gesprochen. Wie schlecht ist die Stimmung bei der Truppe?
Schweppe: Beim Bundestagswahlkampf 2021, kurz vor Krieg und Zeitenwende, ging es fast nie um Bundeswehr-Themen. Danach war die Hoffnung groß bei vielen in der Truppe, dass sich jetzt endlich etwas ändert. Die Bundeswehr ist nicht ordentlich ausgestattet, es gibt viel zu wenig Geld aus dem Haushalt für die Streitkräfte. Das ist für die Frauen und Männer bei der Bundeswehr deshalb eine große Enttäuschung.
Viele Deutsche glauben, dass die Zeitenwende zwar wichtig und richtig ist. Allerdings wird sie als Aufgabe der Politik und der Bundeswehr gesehen. Nach dem Motto: Für mich persönlich soll sich nichts ändern. Wollen die Deutschen nicht aus ihrem Kokon?
Schweppe: Das ist eine gute Frage. Wir reden ja über eine Situation, die ernster ist als der Kalte Krieg. Wir reden über die größte sicherheitspolitische Gefahr unserer Zeit – für Europa, also auch für Deutschland. Man sollte dabei nicht vergessen, dass der Ukraine-Krieg nicht weit weg ist, sondern bloß drei Flugstunden entfernt. In der Ukraine werden unsere europäischen Werte gerade nicht nur verhandelt, sondern sprichwörtlich ausgekämpft. Das sollten wir ernst nehmen - und ein wichtiger Punkt ist eben unsere Verteidigung. Das mag sich für viele ungewohnt anhören, aber dazu gehört zum Beispiel die Frage, wie die Bundeswehr im Ernstfall mit den Krankenhäusern zusammenarbeiten würde oder die Frage, ob wir Bunkeranlagen reaktivieren oder neue bauen sollten.
Als Ihr Buch veröffentlicht wurde, war Donald Trump Präsidentschaftskandidat, gewählt war er aber noch nicht. Was bedeutet die zweite Amtszeit des 78-Jährigen für die europäische Sicherheitspolitik?
Schweppe: Donald Trumps Wahl ist eine große Herausforderung für Europa. Gerade Länder wie Deutschland müssen jetzt umso mehr für die Verteidigung ausgeben. Schon vor seinem Wahlerfolg 2016 hat Trump in Richtung Deutschland klar gesagt: Ihr müsst euren Beitrag jetzt endlich bezahlen. Und da hat er nicht Unrecht, weil Deutschland seit Jahrzehnten unter dem Schutzschirm der Nato steht, sich an den Kosten dafür aber lange nicht wirklich beteiligte. Trump sagt also nun, Berlin müsse seinen Beitrag jetzt endlich leisten. Der Schutz der USA steht also unter Vorbehalt und wenn Amerika bald seinen Fokus auf die Lage im Indopazifik verlegen sollte, muss Deutschland umso mehr tun.
Glauben Sie, dass Trump die Nato aus der Bahn wirft?
Schweppe: Es droht nicht über Nacht der Bruch mit der Nato. Aber es kommt eine Zeit auf die Allianz zu, die schwierig werden könnte. Vielleicht kann es ein heilsamer Schock sein, also eine Chance, endlich sicherheitspolitisch erwachsener zu werden, mehr Verantwortung zu übernehmen für die kollektive Sicherheit. Trumps Wahlkampfversprechen ist, dass andere Staaten für den Schutz durch die USA bezahlen müssen. Was Trump dabei spielt, ist – etwas zugespitzt – eigentlich nichts anderes als die Rolle eines Schutzgelderpressers.
Als derzeit sehr wahrscheinlich gilt, dass der CDU-Politiker Friedrich Merz als Bundeskanzler aus den Winterwahlen hervorgehen wird. Welche Hoffnungen kann man an einen Scholz-Nachfolger haben?
Schweppe: Egal, wie diese Wahl ausgeht – die Zeitenwende muss viel ernster genommen werden. Was mein Buch zeigt ist, dass in keinem Politikbereich die Blockaden der aktuellen Bundesregierung derartig groß waren wie in der Ukraine- und Sicherheitspolitik.
Welche Schritte müsste eine neue Regierung gehen, um die von Ihnen diagnostizierte weitgehende militärische Wehrlosigkeit des Landes zu beenden?
Schweppe: Das Gute ist: Wir sollten keine Angst haben. Doch wir brauchen Realismus: Es geht um mehr Geld, aber auch um bessere Strukturen, etwa, wie bestimmte Rüstungsprojekte beschafft werden. Das alles muss viel schneller gehen. Beim Blick auf die Bundeswehr ist das größte Problem das Personal. Wir haben die paradoxe Situation, dass der Kanzler eine Zeitenwende ausgerufen hat und die Bundeswehr seitdem dennoch bis heute nicht verteidigungsfähig ist. Sie ist geschrumpft.
Der Abwehrkampf der Ukraine wird immer verzweifelter. Was würde eine Niederlage oder ein Diktatfrieden von Moskaus Gnaden geopolitisch bedeuten?
Schweppe: Wer immer noch denkt, dass man mit Putin verhandeln kann, der liegt falsch. Wenn die Ukraine ausgelöscht werden würde, dann wäre Polen plötzlich ein Frontstaat an der Grenze eines aggressiven russischen Reiches. Dann würde die Gefahr noch näher an uns heranrücken. Und ich glaube, das haben viele noch nicht verstanden. Das ist auch eine Motivation gewesen, dieses Buch zu schreiben. Es ist kein Fachbuch für Militärexperten, sondern soll erklären, dass eine echte Zeitenwende für uns alle die Maßgabe sein sollte, uns auf diese tatsächlich neuen Zeiten einzustellen.
Haben Sie die Hoffnung, dass ein weiteres Buch zur Sicherheitspolitik und Verteidigungsbereitschaft Deutschlands einen optimistischeren Tenor hätte, wenn es in vier Jahren erscheint?
Schweppe: Mir macht Hoffnung, dass sich inzwischen sehr viele junge Menschen mit Sicherheitspolitik beschäftigen. Ob das jetzt junge Abgeordnete sind oder junge Soldatinnen und Soldaten. Und das ist eine gute Sache. Sollte ich über dieses Thema irgendwann ein neues Buch schreiben, wäre es die interessanteste Frage, ob Deutschland sich endlich auf den richtigen Weg begeben hat. Wird es die SPD schaffen, die alte Nähe zu Russland zugunsten einer realistischeren Betrachtung zu verändern? Das Verständnis von Russland als friedlichem Partner und günstigem Energielieferanten ist überholt. Doch wann setzt sich die Einsicht, dass Wladimir Putin nichts anderes ist als ein Diktator und Kriegsverbrecher, auch beim Letzten durch? Meine Hoffnung wäre auch, dass Begriffe wie „Frieden“ noch einmal ernsthafter diskutiert werden würden. Frieden kann nicht „Unterwerfung“ bedeuten. Echter, stabiler Frieden und Freiheit sind nicht voneinander zu trennen.
Zur Person: Christian Schweppe ist Journalist, Autor und Experte für Sicherheitspolitik. Schweppe arbeitet für Medien wie Spiegel, Zeit aber auch ZDF und ARD. 2023 wurde er mit dem Medienpreis des Bundestages ausgezeichnet. Sein Buch „Zeiten ohne Wende - Anatomie eines Scheiterns“, 351 Seiten, ist im Verlag C.H. Beck erschienen.
Putin kann einfach 500.000 Männer ohne Kriegswaffen (die Grenze ist keine Messerverbotszone) und ohne formalen Kombattantenstatus über die offene Grenze schicken (erst mal ohne Hoheitszeichen, wie damals auf der Krim) - schießen darf man nicht (siehe Bundeswehr-Völkerrecht unten) und Deutschland ist schwuppdiwupp übernommen. Also warum viel Geld für komplexe Waffensysteme ausgeben? - https://www.bmvg.de/de/themen/friedenssicherung/humanitaeres-voelkerrecht
Und warum tut er's dann nicht, der Putin? Genau, weil es vielleicht doch nicht so ganz einfach ist, wie es sich der Pfleiderer vorstellt. Und Schweppe heischt mit seinem Buch erst mal um Aufmerksamkeit, mehr nicht. Man kann, muss aber nicht alles ernst nehmen, was so gedruckt wird.
Also auf den Rücken legen und nichts tun? Wer den großen Knüppel hat bestimmt?
Weil Polen dazwischen ist, die Amis keine Russen auf ihrem Flugzeugträger wollen und sich Deutschland aktuell weiter selbst schwächt, während sich in Teilen des Landes politische Mehrheiten finden, die Russland pazifistisch gegenüber stehen (Afd, BSW, Linke, Junggrüne, Jusos) und im Zweifelsfall auch die SPD selbst: https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/wahlkampf-spd-und-gruene-streiten-ueber-waffen-fuer-die-ukraine-103659011
Jahre der Sicherheit und Zufriedenheit hat Deutschland geprägt. Und insbesondere die Politik mit ihren Vertretern. Es war schon immer ein Problem. die Notwendigkeit einer funktionierenden Verteidigung DEU anzusprechen, denn mit Begründung der Geschichte wurde meist alles verharmlost bzw. als nicht bedeutungsvoll angesehen. Maßnahmen der Vergangenheit wurden meist primär mit Geldzahlungen abgedeckt, damit ein eigenes persönliches Eingreifen nicht erforderlich wahr bzw. man eine plausible Begründung hatte. Heute analog, man bekundet Zustimmung zu Notwendigkeiten aber erforderliche Maßnahmen kommen wenn denn nur zaghaft. Die deutsche Bevölkerung erkennt Notwendigkeiten und Maßnahmen nicht mehr, nicht mehr rechtzeitig bzw. ignoriert sie. Lange Zeit des Wohlstandes haben leider ihre Spuren hinterlassen.
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