In hektischen Zeiten sind ruhige Orte selten. Für seine Reihe „Kanzlergespräch“, die ihn schon quer durchs ganze Land führte, hat sich Olaf Scholz diesmal die Ufa-Fabrik in Berlin-Tempelhof ausgesucht. Das ehemalige Film-Kopierwerk ist laut Eigenwerbung „ein Ort für friedliebende, große und kleine Menschen aller Nationalitäten, Religionen und Berufe“ heißt. Frieden, Liebe. Das sind Wörter, die im politischen Alltag des Kanzlers nicht vorkommen. Geliebt wird er den Umfragen zufolge nicht wirklich. Und Frieden gibt es gerade weder in der Welt noch in der Ampel und der eigenen Partei. Scholz scheint davon nicht beeindruckt, er federt förmlich durch sein „Kanzlergespräch“ und am Ende auch dieses Termins wird klar: Da redet keiner, der bald nicht mehr Kanzler sein will.
Scholz kommt pünktlich um 19 Uhr, den Tag über war er noch im schleswig-holsteinischen Bundeswehrstandort Todendorf. Zusammen mit Verteidigungsminister Boris Pistorius hat er dort das hochmoderne Luftverteidigungssystem IRIS-T n den Dienst gestellt. Die Raketenabwehr soll der europäischen Sicherheit dienen und eine Antwort auf den russischen Aggressor sein. Wladimir Putin, sagt Scholz, habe Abrüstungsverträge gebrochen, habe Raketen bis nach Kaliningrad verlegt, 530 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt. „Darauf nicht angemessen zu reagieren, wäre fahrlässig. Ja, durch Nichthandeln geriete der Frieden auch bei uns in Gefahr“, sagt Scholz, macht eine kurze Pause und betont: „Das lasse ich nicht zu.“
Olaf scholz agiert besonnen auf seinem Ukraine-Kurs
So ein Satz sagt viel über das Selbstbild des Kanzlers. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, der Bundestag entscheidet über Einsätze und Ausrüstung. Aber der Kanzler der Zeitenwende stellt sich an die Spitze. Das hat er zum Ausbruch des Ukraine-Krieges bereits getan, als er Rufen nach einer schnellen Lieferung schwerer Waffen an Kiew widerstand. Seinen Weg verfolgt er weiter und klar ist auch: wer etwas nicht zulassen will, kann nicht einfach zwischendurch aufhören.
„Ich bleibe bei meinem besonnenen Kurs“, bekräftigt er bei seinem Termin in Tempelhof, als es auch dort um die Unterstützung der Ukraine geht. Deutschland sei deren größter Unterstützer in Europa und der zweitgrößte in der Welt, sagt er und beschreibt die Linien, zwischen denen er sich dabei bewegt: Manche beklagen, dass zu wenig geliefert werde – andere hingegen würden den kompletten Stopp der Waffenlieferungen fordern. Das Wichtigste sei: „Keine Entscheidungen zu treffen, die die Gefahr vergrößert, dass der Krieg noch weiter eskaliert.“
Debatten um Migration: Scholz nimmt Flüchtlinge in Schutz
Als ein Gast meint, die hohen Flüchtlingszahlen würden auf den Wohnungsmarkt drücken, wird Scholz ernst. „Leider muss ich Sie in einer Hinsicht enttäuschen“, sagt er, „die großen Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt sind schon länger da und haben auch nichts zu tun mit den Flüchtlingsbewegungen“. Der Regierungschef bekommt dafür viel Beifall.
Scholz kann den Zuspruch gebrauchen. Seine Sozialdemokraten schafften es bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. Seine Koalitionspartner Grüne und FDP traf es noch schlimmer, die Stimmung in der Ampel ist gedrückt. Er hätte sich schon mehr Stimmen für seine SPD gewünscht, sagt Scholz, der drei Gründe für eine Verunsicherung im Land ausmacht: Zukunftsängste, den Flüchtlingszuzug und den Krieg in der Ukraine.
Vorwurf: Ampel wie kleine Kinder?
Und was ist mit dem Erscheinungsbild seiner Regierung? Warum tritt die nicht einheitlich auf? Die Ampel wirke auf ihn wie ein „kleiner Haufen von Kindern“, sagt einer im Publikum. Scholz schlage was vor, FDP-Chef Christian Lindner behaupte anschließend „genau das Gegenteil“. Scholz grinst, fragt selbst „für einen Freund“ nach einem Patentrezept und gibt am Ende zu: „Ich wollte nur sagen: Sie haben Recht.“
Aber wenn dem so ist, warum macht er dann weiter? Ständig muss er sich Spekulationen über die Zukunft der Koalition anhören. Wenn einer so schlecht dastehe und seine Regierung ständig streite, dann könne das doch nur Neuwahlen bedeuten, ist eine der gängigsten. Aber Scholz will nicht nur nicht früher abtreten – es ein Ziel ist es, über diese Legislaturperiode Kanzler zu bleiben.
Brandenburg macht nichts aus
Der Ausgang der Landtagswahl in Brandenburg am 22. September dürfte daran nichts ändern. Die Umfragen sagen zwar Verluste voraus, Amtsinhaber Dietmar Woidke wird mit seiner SPD wohl hinter der AfD landen. Aber das ist Brandenburg, ein kleines Bundesland. Scholz hingegen ist für die gesamte Bundesrepublik zuständig, er ist Kanzler, Regierungschef, er vertritt die großen Linien. Womöglich fängt Amtsinhaber Woidke die AfD sogar noch ab. Dann ist die Sache ohnehin schnell vergessen.
Wichtigen Rückhalt erfährt für Scholz in seiner Bundestagsfraktion. Die muss ihm gegen Grüne und FDP den Rücken freihalten und beispielsweise bei den anstehenden Haushaltsberatungen genügend Geld für die Umsetzung seiner „Zeitenwende“ mobilisieren. Einerseits würden sich seine Leute wünschen, dass er die Lockerheit beim „Kanzlergespräch“ auch im Parlament zeigt. Doch am Ende stehen sie zu ihm, und das auch, weil Fraktionschef Rolf Mützenich es so will.
Mützenich hält zum Kanzler
In Mützenich hat Scholz einen Weggefährten, der ihm nie nach dem Mund redet, gleichwohl aber loyal zu ihm steht. „Der Rückhalt für den Bundeskanzler ist bei mir absolut“, betont Mützenich am Donnerstag zu Beginn der SPD-Fraktionsklausur im brandenburgischen Nauen. Der Fraktionsvorsitzende denkt ebenfalls nicht an vorzeitige Neuwahlen, er will weitermachen und handelt da aus dem gleichen Pflichtgefühl wie der Kanzler: Das Volk habe bei der letzten Bundestagswahl nur wenige Koalitionsoptionen zugelassen und die Ampel war eine davon. Sich ihrer jetzt zu entledigen, würde bedeuten, den Willen des Souveräns zu missachten.
Umgekehrt bedeutet das, dass Scholz abtritt, wenn es an Stimmen nicht mehr reicht. Diese Entscheidung steht aus seiner Sicht aber erst bei der nächsten Bundestagswahl an. Am 28. September 2025 also. Keinen Trag früher.
Sollte unser Kanzler immer noch nicht begriffen haben, dass er versagt hat? Hat er tatsächlich noch nicht realisiert, dass er der Schwachpunkt ist? Stoisches Beharren im Tunnel, verhilft nicht zur Helligkeit. Schade..
Solange die Regierung arbeitet und das tut sie, gibt es keinen Grund für Neuwahlen oder personelle Änderungen. Die Union müsste erst einmal zeigen, dass sie es besser kann. Einen Großteil der heutigen Probleme hat die Ampel nämlich von der Vorgängerregierung geerbt und es dauert eben, bis Maßnahmen - insbesondere in der Wirtschaftspolitik - greifen und zu messbaren Erfolgen führen.
Die Scholz'sche Macht ist so lange stabil, wie seine Regierung eine stabile Mehrheit im Parlament hat. Und die hat sie. Ich bin zwar nicht mit allem einverstanden was diese Regierung so "produziert" - aber sie produziert. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß eine andere Regierung/eine (ganz) andere Koalition, wie auch immer sie ausgesehen haben könnte, keinen Deut besser gewesen wäre trotz vielleicht anderer Schwerpunktsetzung. Die innen- und außenpolitischen Umstände der letzten Jahre haben/hatten es schon ganz besonders in sich.
Olaf Scholz kann ruhig schlafen, die Union hat keine Alphatiere als Konkurrenz. Merz & Söder hoffen auf eine GROKO und einem Ministerjob unter Olaf nächstes Jahr nach der Bundestagswahl. Unsere Wahlsystem braucht eine Reform
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