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Comeback der Wehrpflicht in Deutschland? Was "Zeitenwende" wirklich bedeutet

Kommentar

Comeback der Wehrpflicht: Was "Zeitenwende" wirklich bedeutet

Michael Stifter
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    Die CDU hat sich auf ihrem Parteitag dafür ausgesprochen, die Wehrpflicht wieder in Kraft zu setzen.
    Die CDU hat sich auf ihrem Parteitag dafür ausgesprochen, die Wehrpflicht wieder in Kraft zu setzen. Foto: Stefan Sauer, dpa

    Es gibt diesen einen Moment, in dem Olaf Scholz als Kanzler alles richtig gemacht hat. Es ist jene Rede, zu der ihm sogar Oppositionschef Friedrich Merz gratulierte. In der er den Begriff prägte, der von seiner Kanzlerschaft bleiben wird: Zeitenwende. 

    Alles war plötzlich anders, nachdem Russland einen Krieg mitten in Europa begonnen hatte. Die meisten Menschen haben das so empfunden – doch nur wenige hatten auch nur eine vage Ahnung davon, wie tiefgreifend sich die Zeiten ändern werden. 

    Das muss man zumindest annehmen, wenn man sieht, wie brüskiert oder jedenfalls genervt viele Bürgerinnen und Bürger reagieren, sobald konkrete Antworten auf die neuen Herausforderungen gegeben und echte Konsequenzen gezogen werden. Ob es um den Abbruch der lukrativen wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland geht, um die teure Energiewende, um Waffenlieferungen an die Ukraine e oder nun auch noch um die Wiedereinführung der Wehrpflicht – so hatten sich die Deutschen diese Zeitenwende dann doch nicht vorgestellt. 

    Wladimir Putin gönnt uns keine Verschnaufpause

    Damit wächst die Versuchung, unpopuläre Entscheidungen aufzuschieben, zumal für eine Regierung, deren Uhr ohnehin tickt. Nur: Putin gönnt uns keine Verschnaufpause. Und im Übrigen war es ja genau diese Mentalität des Aufschiebens, die dazu geführt hat, dass unser Land in vielerlei Hinsicht derart in die Defensive geraten ist. 

    Die CDU erhöht mit ihrem Plan, die Wehrpflicht schrittweise wieder in Kraft zu setzen, den Druck auf Scholz und dessen Regierung. Dabei spiegelt der Beschluss des Parteitags eigentlich nur das wider, was Zeitenwende in Wahrheit meint. Wer die Bundeswehr verteidigungsfähig machen will, muss die Lücken in der Ausrüstung schließen, braucht aber eben auch mehr Soldatinnen und Soldaten.

    Wehrpflicht: Verteidigungsminister Boris Pistorius dürfte offen für CDU-Idee sein

    Den Verteidigungsminister von der SPD dürften CDU und CSU auf ihrer Seite haben. Doch Boris Pistorius weiß besser, wie schwierig es wird, ein abgewickeltes System wieder in Gang zu setzen – nicht nur, was die Akzeptanz in der Bevölkerung angeht, sondern auch organisatorisch und finanziell. 

    Hinzu kommen all jene Bedenken, die einst zum Entschluss beigetragen hatten, die Wehrpflicht auszusetzen. Allen voran die Frage der Wehrgerechtigkeit. Ist es vertretbar, wenn nur ein Bruchteil der Männer eingezogen wird und was ist mit den Frauen? Kehrt im Zuge der Wehrpflicht auch der Zivildienst zurück oder gibt es andere Möglichkeiten, junge Menschen für den Dienst an der Gesellschaft zu gewinnen? Was soll es bringen, wenn Wehrpflichtige nur ein paar Monate bei der Truppe verbringen? Bekommt die Bundeswehr wirklich die dringend benötigten Spezialisten, indem sie weitgehend wahllos Nachwuchs rekrutiert?

    Woher sollen die Milliarden für die Wehrpflicht kommen

    Und: Woher soll all das Geld für den Wiederaufbau der Infrastruktur kommen – von der Musterung über die Ausbildung bis zur Unterbringung in Kasernen? Nicht umsonst fordert Pistorius, die Schuldenbremse dürfe nicht für die Bundeswehr-Ausgaben gelten.

    Eine Wehrpflicht kostet zig Milliarden. Das ist die Sollbruchstelle des CDU-Konzeptes: In Wahrheit atmet es den Geist einer guten, alten, übersichtlichen Zeit, die selbst unter einem Retro-Kanzler Friedrich Merz nicht zurückkommt. Sollte die Union tatsächlich nach der nächsten Bundestagswahl wieder regieren, müsste sie selbst die Zeiten wenden. Und sich fragen, ob man die vielen Milliarden nicht besser investieren sollte, um die Bundeswehr attraktiver für junge Leute zu machen, die dann freiwillig kommen – um zu bleiben.

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