Gut 13 Jahre nach der Aussetzung der Wehrpflicht sollen junge Männer in Deutschland wieder stärker zum Dienst an der Waffe herangezogen werden. Das neue Wehrpflichtmodell von Verteidigungsminister Boris Pistorius sieht eine Mischung aus Zwang und Freiwilligkeit vor. Es werde eine Wehrerfassung per Fragebogen sowie eine Musterung unter ausgewählten Männern ab 18 Jahren geben, erklärte der SPD-Politiker am Mittwoch in Berlin. Beides sei verpflichtend, der eigentliche Wehrdienst hingegen bleibe vorerst freiwillig. Frauen sind ausgenommen. Die Wehrbeauftragte Eva Högl lobte den Vorschlag, forderte aber eine perspektivische Ausdehnung des Modells "auf alle Geschlechter".
Die Bedrohungslage, begründete Pistorius die Neuerungen, sei eine "völlig andere als noch vor wenigen Jahren". Der russische Präsident Wladimir Putin lasse keinen Zweifel daran, "dass es ihm nicht nur um die Ukraine geht". Moskau werde nach übereinstimmenden Einschätzungen ab 2029 in der Lage sein, einen Nato-Staat anzugreifen. Die Bundeswehr ist darauf, machte Pistorius deutlich, nicht eingestellt.
Voraussichtlich ab 2025 sollen 18-Jährige einen Musterungsfragebogen erhalten
Geplant ist, jeden Jahrgang der 18-Jährigen anzuschreiben. Sie bekommen einen Musterungsfragebogen, der Qualifikation und Interessen abfragt. Auf einer Skala sollen sie zudem angeben, ob sie freiwillig Dienst in der Truppe leisten würden. Frauen bekommen den Fragebogen auch, für sie ist die Beantwortung aber nicht verpflichtend. Hintergrund sind die einschlägigen Regelungen im Grundgesetz, die sich ausschließlich auf Männer beziehen.
Auf dieser Grundlage sollen 40.000 bis 50.000 Männer zur Musterung eingeladen werden. Die Teilnahme daran ist ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben. Ziel ist es, auf diesem Weg pro Jahrgang 5000 zusätzliche Soldaten für die Aufstockung der bestehenden Truppe zu finden. Am Ende soll eine Armee von 203.000 Aktiven und 260.000 Reservisten stehen.
Geplant ist ein sechsmonatiger Grundwehrdienst mit der Option auf eine Verlängerung um zwölf oder 17 Monate. Pistorius geht davon aus, dass sein Vorschlag ab 2025 zu Kosten von 1,4 Milliarden Euro jährlich umgesetzt werden kann.
DRK fordert Recht auf Freiwilligendienst
Der Minister machte keinen Hehl daraus, dass er weitaus mehr Soldaten bräuchte. "Die Kapazitäten sind nicht da, die Zahlen auszubilden, um die es irgendwann wieder gehen wird", erklärte er. Kasernen wurden abgebaut, Kreiswehrersatzämter, Munitionsdepots. Er betrachte sein Modell als Einstieg, er tue jetzt, was in der kurzen Zeit zu schaffen sei, erklärte der SPD-Politiker. In der nächsten Legislaturperiode werde dann über eine Wehrpflicht für Frauen und eine Dienstpflicht geredet werden müssen. Hintergrund sind zum einen kontroverse Debatten in der Ampelregierung. Darüber hinaus wären für weitergehende Schritte komplizierte Grundgesetzänderungen notwendig, die in der noch verbleibenden Regierungszeit kaum zu schaffen sein würden.
Das Deutsche Rote Kreuz kritisierte den alleinigen Blick auf die Bundeswehr. "Es braucht ein attraktives Angebot an alle, die sich zum Wohle der Gesellschaft einbringen wollen", sagte der Leiter Jugend und Wohlfahrtspflege, Joß Steinke, unserer Redaktion. Das DRK fordere "einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst, um Gemeinwohl und Engagement zu stärken".
Der Unionsverteidigungsexperte Florian Hahn warf Pistorius vor, das vorgestellte Wehrdienstmodell besiegele "das Zeitenende der Zeitenwende". Der Minister schiebe dringend notwendige Entscheidungen in die nächste Wahlperiode. Besser wäre es gewesen, "jetzt alle Voraussetzungen für den personellen Aufwuchs der Streitkräfte und die Einführung einer Wehrpflicht zu schaffen", sagte der CSU-Politiker.