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Warum sind unsere Politiker immer so wütend?

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Aufgeregte Zeiten: Was ist da gerade los in der Politik?

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    Die Politik wird gerade von Emotionen geflutet.
    Die Politik wird gerade von Emotionen geflutet. Foto: Adobe Stock (Symbolbild)

    Überall Wut. Die Wirtschaft ist wütend. Die Bauern sind wütend. Die Lokführer immer mal wieder. Die Wähler sowieso. Die Amerikaner wählen aus lauter Wut den wütenden Donald Trump zum US-Präsidenten. Ein regelrechter Furor liegt in der Luft, Wüteriche, die sich nicht etwa schämen für ihre überschäumenden Gefühle, sondern sie stolz vor sich hertragen. Und jetzt hält auch noch Olaf Scholz eine Wutrede auf das Ende der Ampel, die er – so viel Ordnung muss sein - vom Teleprompter abliest. Ausgerechnet in der Politik, diesem mit kaum greifbaren, mit Sprechblasen gefüllten Raum, menschelt es. Der Rosenkrieg der politischen Zwangsvermählten SPD und FDP wird öffentlich zelebriert. Er wirkt befremdlich, passt nicht zum Bild, das die Beteiligten sonst so gerne von sich zeichnen. Hier der Hanseat Scholz, der vom Scholzomat zum – wie ihn der Spiegel nennt - Gefühlomat mutiert. Dort der kühl rechnende Christian Lindner, der klagt: „Ich habe gelitten, es hat mich menschlich aufgerieben.“

    Politik ist kein Geschäft wie jedes andere. Emotionen sind wichtig, um Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren – Wut, aber auch Sympathien können Wahlen entscheiden. Der Brexit gilt bis heute als Entscheidung aus dem Bauch heraus. Doch die Hauptdarsteller selbst halten sich und ihr Innenleben normalerweise zurück. Wenn sie Gefühle zeigen, dann höchstens in einem unbeherrschten Moment - meist aber mit einem Kalkül. „Politiker stehen in der Öffentlichkeit unter ständiger Beobachtung“, sagt der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth, Autor des Buches „Gefühle machen Politik“. „Sie sind deshalb häufig sehr vorsichtig und zurückhaltend in dem, was sie sagen.“ Sie weichen Fragen aus, vermeiden klare Antworten, auf die sie später festgenagelt werden könnten. „Politiker wollen sich üblicherweise nicht in die Karten schauen lassen, weil ein unbedachtes spontanes Wort, das ja eher fällt, wenn man emotional bewegt ist, sie festlegt“, sagt Wirth. „Bei Olaf Scholz war das in der Vergangenheit besonders deutlich zu sehen.“

    Bundeskanzler Olaf Scholz liest seine Wutrede vom Teleprompter ab

    Was also ist in ihn gefahren? Oder wirkt sein Auftritt nur deshalb so stark nach, weil der Kontrast so groß ist zum „Alltags-Scholz“? „Scholz hat zwar in seiner Ansprache scharfe aggressive Attacken gegen Lindner geritten, aber sein ganzes Auftreten war doch meilenweit entfernt von dem, wie etwa Donald Trump seinen Gefühlen freien Lauf lässt“, bremst Wirth. „Der Kanzler war auch in dieser Ansprache letztlich sehr kontrolliert, er hat seine Rede fehlerfrei vom Teleprompter abgelesen.“ So entstehe der Eindruck, dass selbst der ungewohnt aggressive Ton klar kalkuliert gewesen sei und vor allem die Funktion hatte, Lindner die Schuld an dem Bruch der Koalition zuzuweisen. Eigene Fehler kamen auch seither nicht zur Sprache. „Das lässt einen daran zweifeln, ob Scholz zu einer selbstkritischen Sicht auf sich und seine Rolle in der Lage ist“, sagt der Experte.

    Sind genervt voneinander: Christian Lindner, FDP-Parteivorsitzender, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
    Sind genervt voneinander: Christian Lindner, FDP-Parteivorsitzender, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Foto: Michael Kappeler, dpa

    Gekriselt hat es zwischen Scholz, Lindner und auch Robert Habeck schon lange. Der Eskalation ging auch hier ein weiter Weg voraus. Viele Beobachter sehen neben dem Inhaltlichen auch die Persönlichkeiten der Männer als Grund. „Dass alle drei Führungspersonen von ihren eigenen Ansichten überzeugt sind und auch glauben, dass sie ziemlich klug und vielleicht klüger als die anderen sind, ist wohl zutreffend“, sagt der Psychoanalytiker. Aber das müsse nichts Schlechtes oder gar Koalitionssprengendes sein. „In einer solchen Führungsposition benötigt man ein gutes Maß an Selbstbewusstsein und muss zu seinen Überzeugungen stehen“, sagt Wirth. „Das schließt allerdings nicht aus, dass man auch sich selbst kritisch betrachtet und seine eigene Bedeutung relativieren kann.“ Dies ist vor allem Scholz und Lindner nicht mehr gelungen.

    Donald Trump als Gegenbild des nüchternen Politikers

    Was in der deutschen Politik als bühnenreifes Drama gilt, hätte in den USA höchstens das Zeug zur Vorabend-Seifenoper. Unkontrollierte Emotionen sind geradezu zum Markenzeichen des eben erst zum Präsidenten wiedergewählten Donald Trump geworden. Er setzt seine Gegner herab, wirft mit Schimpfworten um sich, scheut keine moralischen Untiefen. Und gewinnt gerade deshalb Wählerinnen und Wähler für sich. Die Inszenierung des Anti-Politikers verfängt, wirkt auf viele Menschen authentisch. Und das, obwohl – oder muss es heißen: weil - seine Gegner, die Medien und viele Experten seit Jahren ausdauernd vor dem Populisten warnen. „Weil er so emotional ist, so wütend ist, so bösartig und hasserfüllt formuliert, glaubt man ihm, dass er das auch wirklich so empfindet, wie er es rausbrüllt“, sagt Wirth. „Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube, sondern lässt seinen Gefühlen freien Lauf und verführt damit seine Anhänger, ihre Affekte genauso hemmungslos auszuleben, wie er das vormacht.“

    Hans-Jürgen Wirth, Jahrgang 1951, ist Psychoanalytiker, Herausgeber der Zeitschrift „Psychosozial“, Autor und veröffentlichte unter anderem das Buch „Gefühle machen Politik. Populismus, Ressentiments und die Chancen der Verletzlichkeit“.
    Hans-Jürgen Wirth, Jahrgang 1951, ist Psychoanalytiker, Herausgeber der Zeitschrift „Psychosozial“, Autor und veröffentlichte unter anderem das Buch „Gefühle machen Politik. Populismus, Ressentiments und die Chancen der Verletzlichkeit“. Foto: Harald Krichel

    Für einen Psychoanalytiker ist Trump so etwas wie eine Wundertüte, ein politisches Faszinosum – weit entfernt von dem, was man unter einem „Staatsmann“ versteht. „Er ist in vielerlei Hinsicht das direkte Gegenteil von dem, wie man sich im Allgemeinen einen seriösen Politiker vorstellt“, sagt Wirth. „Er ist sprunghaft, hat eine gering ausgeprägte Kontrolle über seine Affekte, er neigt zu spontanen Affektausbrüchen von Wut, gar von Hass, Verachtung und Rache.“ Selbst bei öffentlichen Auftritten und politischen Entscheidungen lasse er sich stark von spontanen Affekten leiten. Dies führe dazu, dass sein politisches Handeln inkonsistent, sprunghaft und vor allem unberechenbar sei. Seit Wochen spekulieren Politik-Experten über die Frage, wie die Politik von Trump aussehen wird. Wird er die Ukraine ins Verderben führen? Wird er die Zölle in den Himmel wachsen lassen? Ausländer deportieren? Eine Antwort hat niemand. „Diese Unberechenbarkeit ist für viele europäische Politiker das größte Problem, denn man weiß nicht, wie man sich auf ihn einstellen soll. Problematisch ist auch seine leichte Kränkbarkeit“, sagt Wirth. Wenn er sich gekränkt, schlecht behandelt, und entwertet fühle, schwöre er Rache und zögere auch nicht, diese auszuführen, sobald er über die Macht dazu verfügt.

    Wie soll man mit Trump umgehen?

    Das sei zumindest die eine Seite seiner Persönlichkeit. „Auf der anderen Seite ist er durch einen unbedingten Machtwillen und eine Größenfantasie angetrieben, die er mit großem Einsatz und mit großer Konsequenz verfolgt“, sagt der Psychoanalytiker. Er wolle nicht nur Amerika wieder „great“ machen, sondern sehe sich selbst als den mächtigsten und erfolgreichsten Präsidenten in der Geschichte Amerikas. Weitergedacht hat das durchaus etwas Weltbeherrschendes, Gigantisches: Wer die USA als das mächtigste Imperium betrachtet und sich selbst als dessen kompetentesten und erfolgreichster Machthaber, der je existiert hat, lasse nach oben nicht mehr viel Luft. „Das ist schon eine ganz veritable Allmachtsvorstellung“, so Wirth.

    Für seine europäischen Partner stellt sich in erster Linie die Frage, wie sie mit einem solchen Mann umgehen können. Strategien gab es bereits in der Vergangenheit. Angela Merkel soll stundenlang Trump-Videos studiert haben, Freunde wurden die beiden dennoch nicht. Der französische Präsident Emmanuel Macron versuchte, ihn mit großen Paraden zu beeindrucken. „Wahrscheinlich ist Trump für Schmeicheleien anfällig, allerdings nicht von Personen, die wenig Macht haben“, sagt Wirth. Letztlich imponiere ihm nur Stärke, Macht und Autorität. „Er bewundert autoritäre Führer wie Putin“, sagt der Psychoanalytiker. „Man hat ja manchmal den Eindruck, dass er sich bei Diktaturen selbst einschmeichelt und es genießt, wenn sie ihm Anerkennung zollen, wie das in seinem Kontakt mit Putin und dem Diktator Nordkoreas Kim Jong-Un zu beobachten war.“

    Wie also lässt sich das Dilemma lösen? „Falsch wäre es, sich in eine Anti-Trump- oder gar Anti-Amerika-Haltung hineinzusteigern, nur weil man Trump unsympathisch findet“, rät Psychoanalytiker Wirth. Denn selbst die würde Trump eher nützen – er fühle sich durch die Ablehnung, die er von der etablieren Politik erfährt, regelrecht bestätigt. „Deshalb muss man eher auf ihn zu gehen, ihn in gewisser Weise umarmen und Kooperation anbieten“, sagt Wirth. „Das aber muss mit angemessenem Selbstbewusstsein erfolgen.“

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