Als die Nervosität in seiner Berliner Parteizentrale steigt, sitzt Olaf Scholz gerade im 23. Stock des Deutschen Hauses. 6400 Kilometer Luftlinie liegen zwischen ihm und dem Willy-Brandt-Haus. Es ist Mittag in New York, ein Essen mit den Staats- und Regierungschefs kleiner Inselstaaten steht in seinem Terminkalender. In der amerikanischen Metropole treffen sich in diesen Tagen die Mächtigen zu ihrem „Zukunftsgipfel“. Das Motto des Gipfels: „Einen neuen internationalen Konsens darüber zu erzielen, wie wir eine bessere Gegenwart schaffen und die Zukunft sichern können.“ Es ist eines dieser Nur-noch-kurz-die-Welt-retten-Projekte.
Dabei geht es für die SPD doch gerade darum, wie sie sich selbst retten kann. Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, aber auch die Europawahl haben ihr mächtig zugesetzt, am Sonntagabend kann sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder freuen: In Brandenburg lief es deutlich besser als befürchtet. Die Sozialdemokraten haben für sich das Amt des Ministerpräsidenten gerettet. Aber über die durchwachsene Stimmung in der Kanzlerpartei sollte das nicht hinwegtäuschen. Der Jubel in Potsdam an diesem Abend mag laut gewesen sein, die größte Herausforderung steht der SPD erst bevor: Denn der Startschuss für den Bundestagswahlkampf ist in dieser Nacht gefallen.
Schlechtes Ergebnis für die CDU bei den Landtagswahlen in Brandenburg
So kurios es klingen mag: Der größte Hoffnungsträger der SPD ist derzeit Friedrich Merz. Ausgerechnet bei der ersten Wahl seit seiner Kandidatur in der vergangenen Woche hat die CDU das schlechteste Ergebnis überhaupt in Brandenburg eingefahren. Das Kalkül der Sozialdemokraten ist denkbar einfach. Da der CDU-Mann offenbar selbst bei vielen Unionsanhängern nicht punkten kann, würden sich am Ende auch bei der Bundestagswahl die Deutschen – vielleicht zähneknirschend - doch wieder für Scholz entscheiden. Wie zum Beweis, lieferte das Meinungsforschungsinstitut Insa schon am Wochenende die passenden Umfrage-Ergebnisse. Nach der Bekanntgabe, dass Merz der Kanzlerkandidat der Union wird, legten die Umfragewerte für Scholz um satte neun Prozentpunkte zu. Könnten sich die Wählerinnen und Wähler direkt für einen Kanzler entscheiden, kämen beide auf 30 Prozent. Rund 35 Prozent der Wähler würden sich weder für Scholz noch für Merz entscheiden. Es ist das Duell der Ungeliebten. Der Wettkampf zweier Männer, die in die Geschichtsbücher eingehen wollen. Der eine, weil er nicht schon nach einer Amtszeit aus dem Kanzleramt gejagt werden möchte. Der andere, weil er wenigstens einmal am Schalthebel der Macht Platz nehmen will – und weil er weg muss vom ewigen Makel des Unvollendeten.
Es ist ein verregneter Julitag im Sommer 2020 als Friedrich Merz in einem Berliner Restaurant sitzt und ganz offen und noch dazu laut über den Wahlkampf eines möglichen Kanzlerkandidaten Merz nachdenkt. Damals hofft er noch, dass seine Partei sich für ihn als neuen Vorsitzenden entscheidet. Sie tut es nicht, Merz muss warten. „Natürlich werde ich polemisch angegriffen werden“, sagt Merz damals im Gespräch mit unserer Redaktion. „Aber dann werde ich antworten: Wollt Ihr in der Politik nur noch Leute wie Kevin Kühnert, die ohne Ausbildung und Examen ihr ganzes Leben aus öffentlichen Kassen gelebt haben?“ Für sein Berufsleben außerhalb der Politik müsse er sich nicht rechtfertigen, fügt Merz hinzu. Und weiter: „Es klingt vielleicht etwas pathetisch, aber ich habe das Gefühl, dass ich diesem Land auch noch etwas zurückgeben kann für die Chancen, die es mir geboten hat.“
Scholz wird zum Kanzler auf Bewährung
Würde er nun doch noch Kanzler, wofür im Moment vieles, wenn nicht alles spricht, es wäre ihm, das darf man annehmen, eine späte Genugtuung nach den quälend langen Jahren mit Angela Merkel und zwei vergeblichen Anläufen, CDU-Chef zu werden. Als Merz 1994 nach fünf Jahren im Europaparlament in den Bundestag einzieht, ist Helmut Kohl noch Kanzler und er selbst nur einer unter vielen neuen Abgeordneten – Obmann der Fraktion im Finanzausschuss, ein Amt mit Einfluss, aber keines für die ganz große Bühne. Die erklimmt er jetzt.
Unmittelbar vor dem Wahlsonntag tritt Merz noch mal in Brandenburg auf, er wirkt wie ausgewechselt. Der 68-Jährige ist nicht nur wild entschlossen. Er ist auch durch und durch davon überzeugt, dass das Bild einer unionsgeführten, also von ihm geführten Regierung schon jetzt fest in den Köpfen der Menschen verankert ist. Scholz sei von allen Gegenkandidaten der denkbar einfachste, glaubt Merz. Der Kanzler wiederum sieht das ganz genauso, nur eben durch die SPD-Brille. Als ihm bei seinem Besuch in den zentralasiatischen Staaten Kasachstan und Usbekistan „aus gegebenem Anlass“ die Frage gestellt wird, was er denn von einem Kanzlerkandidaten Merz halte, muss er nur kurz überlegen. Er sage ja schon seit langer Zeit: „Es ist mir recht, wenn Herr Merz der Kanzlerkandidat der Union ist.“ Scholz sagt das mit einem Lächeln, er hat sich innerlich auf einen Wahlkampf im Stil der 90er-Jahre eingestellt. Einer, der hauptsächlich auf Marktplätzen und nur zum kleinsten Teil auf Instagram und TikTok ausgetragen wird. Das kann er, da wähnt er sich so sicher, wie es Merz auf der anderen Seite tut. Wer auf die Umfragewerte von Merz und Scholz schaut, sich bei Union und SPD umhört, kann das Selbstbewusstsein der beiden Herren indes nur bewundern.
Scholz ist angezählt, bei den Wählerinnen und Wählern, aber auch in seiner Partei und seiner Bundestagsfraktion. Spätestens seit man etwas neidisch auf die USA blickt, wo die Auswechslung eines unbeliebten Regierungschefs als Spitzenkandidat den Demokraten ein ungeahntes Momentum beschert hat. SPD-Chef Lars Klingbeil erklärt im ZDF, sein Job sei es, einen Sieg bei der Bundestagswahl zu organisieren. Gleichzeitig legt er nach: „Und da habe ich eine Erwartung an alle, die mithelfen, und da habe ich auch eine Erwartung an den Bundeskanzler.“
Wird die Ampel noch ein Jahr durchhalten?
Scholz reagiert schnell. Bei einem Bürgergespräch im brandenburgischen Niedergörsdorf sagt der Wahl-Potsdamer, nun sei die Zeit gekommen, „wo man klare Worte finden kann“. Scholz geht davon aus, dass die Ampel weitermacht. „Ob die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode hält? Ich glaube schon – ja“, sagt er und zeigt sich zugleich optimistisch, dass seine Partei wie schon bei der Wahl 2021 stärkste Kraft werden könne. „Das ist das, wofür ich mich einsetze“, sagte er. „Ich bin da nicht so ängstlich wie andere.“ Die Frage ist, ob er das überhaupt noch in der eigenen Hand hat. Sein Koalitionspartner FDP hadert schon lange mit der eigenen Rolle. Wie lange wird es Christian Lindner noch aushalten, dass seine Partei inzwischen unter den „Sonstigen“ aufgeht in den Bundesländern?
Merz versucht, schon am Wahlabend einen Strich unter Brandenburg zu machen. Seine Christdemokraten haben dort noch nie einen Ministerpräsidenten gestellt, dass das Ergebnis so schlecht ausfällt, dürfte ihn dennoch schmerzen. Im März wird in Hamburg gewählt, es ist die letzte regionale Wahl vor der Bundestagswahl. Der Stadtstaat ist fest in roter Hand, auch dort rechnet niemand mit einem CDU-Sieg. Merz muss sich voll auf den 28. September des nächsten Jahres konzentrieren.
Schon die Europawahl Anfang Juni war ein Test für die Kampagnenfähigkeit des Konrad-Adenauer-Hauses. Er fiel zur Zufriedenheit aller aus, die CDU sieht sich gewappnet. In der Parteispitze geht kaum jemand davon aus, dass die Koalition vor der Zeit platzt. Man nimmt sich also Zeit, um sich auf den Gegner einzustellen. Neben Scholz wird die CDU den Grünen Robert Habeck ins Visier nehmen. „Olaf Scholz und Robert Habeck sind dabei unsere Wunschgegner“, hat CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn bereits erklärt. Das Ziel sei klar, sagt Spahn: „Wir wollen beide in die Opposition schicken.“ Doch so einfach ist die Sache nicht.
Friedrich Merz schließt Koalition mit Grünen nicht aus
Während Politiker wie Spahn und CSU-Chef Markus Söder eine Koalition der Union mit den Grünen im Bund ablehnen, macht Merz für sich eine andere Rechnung auf. Das Institut für Demoskopie Allensbach sieht CDU und CSU derzeit zwar bei 35,5 Prozent, aber mindestens einen Koalitionspartner wird Merz brauchen. Niemand wird von ihm deshalb hören, dass er die Grünen als Partner ausschließt.
Es ist auch ein taktischer Vorstoß in Richtung der schwarz-grünen Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Deren Ministerpräsidenten Daniel Günther und Hendrik Wüst (beide CDU) regieren mit den Grünen zusammen, sie haben politisches Gewicht in der CDU, Merz darf sie nicht brüskieren, er braucht beide als Rückhalt: Im Bundesrat, in der Ministerpräsidentenkonferenz, aber auch in der eigenen Partei.
Obwohl Merz mit seinen Talenten und seinen klaren politischen Positionen einerseits in den Augen vieler Parteileute der nahezu perfekte Kanzlerkandidat ist, biete er seinen Kritikern im Wahlkampf doch reichlich Verhetzungspotenzial, wie einem CDU-Präsidiumsmitglied schon früh schwante. Millionär, Privatflugzeug, Blackrock: In den USA würde man vermutlich sagen, dieser Mann hat es zu etwas gebracht, dem kann man auch das Land anvertrauen. In Deutschland allerdings ist ein Politiker mit der Biografie eines Friedrich Merz für viele schon per se suspekt. Während die persönlichen Umfragewerte von Olaf Scholz bei der Kanzlerpräferenz weiterhin klar über den Werten seiner Partei liegen, sind die persönlichen Werte von Friedrich Merz niedriger als die der Union. Hinter vorgehaltener Hand heißt es längst, dass die Union viel zu wenig von der Wut auf die Ampel profitiere. Liegt es an Merz? Als die Einigung von Söder und Merz bekannt wird, bleibt die Schar der Gratulanten in den eigenen Reihen bemerkenswert überschaubar.
Merz und Scholz wissen um ihre Verantwortung
Merz und seinen Kontrahent Olaf Scholz verbindet noch etwas: Sie machen unbeirrt weiter und weichen wichtigen Fragen aus. Wie wollen sie die jüngere Wählerschaft ansprechen und davon abhalten, in Scharen zur AfD abzuwandern? Beide haben einst angekündigt, die AfD halbieren zu wollen. Haltbar ist das, sie haben es inzwischen eingesehen, schon lange nicht mehr. Die Rechtspartei hat ihr Ergebnis in Brandenburg sogar noch einmal gesteigert im Vergleich zu 2019. Im Bund steht sie den Umfragen zufolge im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 sogar doppelt so gut da. Die beiden Spitzenkandidaten wollen das Thema Migration aus dem Wahlkampf heraushalten. Das aber kann nur gelingen, wenn die irreguläre Migration bis dahin im Griff ist. Wenn nicht, wird die AfD dem Land einen schmutzigen Wahlkampf bescheren.
Beide, Merz genauso wie Scholz, wissen um ihre Verantwortung. Als Opposition „könnten wir klammheimlich Freude haben an einem so erbärmlichen Zustand der Regierung“, sagt Merz. Schadenfreude sei nicht seins. Das führe nur dazu, dass „das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen insgesamt schwindet“. Die Frage wird sein, ob das Nervenflattern der beiden Volksparteien am Ende nicht doch zu stark wird. Übertriebene Attacken auf das jeweils andere Lager wolle man vermeiden, heißt es zwar sowohl bei der Union als auch bei der SPD. Es ist eine Hoffnung. Mehr nicht.
„Der größte Hoffnungsträger der SPD ist derzeit Friedrich Merz.“ | „Brandenburg braucht Größe“, wurde mit Anspielung auf Woidkes Körpergröße plakatiert. Körpergröße hat auch Merz (im Gegensatz zu Scholz). Merz fehlt aber Woidkes Volksnähe. Selbst seine unwahren Erzählungen von seinen wilden Motorrad-Rasereien mit schulterlangen Haaren haben daran nichts geändert. Stimmen soll aber, dass er als Vierzehnjähriger eine Klasse wiederholen musste und trotzdem als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung (siehe Armin Laschet) Rechtswissenschaften studierte. (Zur privaten Seite von Merz vgl. t-online.de; 07.12.2018) | Nur weil die CDU im Osten bei den jüngeren Wählern katastrophal abschnitt noch Folgendes: Sind die Entscheidungsträger der Union wirklich der Meinung, Merz wäre der geeignete Mann, das zu korrigieren? (Zu Merz‘ gröbsten Fehltritten vgl. stern.de; 29.09.2023; z. B. stimmte er in seiner ersten politischen Karriere für die Straffreiheit von Vergewaltigungen in der Ehe)
Mit diesen Kommentar zeigen sie nur dass Merz für sie ein völliges NO Go ist. Sie unterstellen ihn Unwahrheit .. wir waren alle jung haben Verrücktheiten und auch Fehler gemacht.. Ich denke nicht dass ihm Empathie fehlt .. er kann es vielleicht nicht so zeigen. Nicht jeder wo ständig lächelt ist empathisch.. und nicht alles was man sieht ist so.. Politiker, Stars usw. wachsen in eine öffentliche Stellung hinein die uns fremd ist. Er ist ein sehr erfolgreicher Mensch und hat auch Frau und Kinder.. und ins Kanzler werden muss er erst rein wachsen..
Dem Merz braucht man nix zu unterstellen, der is so. Gucken Sie einfach mal Die Anstalt vom 12. März 2024. Entweder denken Sie dann anders über ihn, andernfalls kann man Ihnen ein durchaus erhöhtes Ignoranzniveau unterstellen.
Frau Böhm, in meinem Kommentar unterstelle ich Merz rein gar nichts. Es waren seine Jugendfreunde, die behaupteten, Merz wäre in seiner Jugend alles andere als ein toller Hecht gewesen. (www.bz-berlin.de/archiv-artikel/ich-hatte-schulterlange-haare-bin-mit-dem-motorrad-durch-die-stadt-gerast-mein-stammplatz-war-die-pommesbude-auf-dem-marktplatz-ich-habe-angefangen-zu-rauchen-und-bier-zu-trinken; 14.12.2000) Und so groß sehe ich die Personalnot bei der CDU nun wirklich nicht, als dass man fürs Kanzleramt keinen anderen Mann hätte als einen dann Siebzigjährigen, der außerdem nach Ihrer Sicht ins Amt erst reinwachsen müsste. (Ich selbst bin nur ein wenig älter als Merz und musste das Loslassen auch erst lernen. Heute fühle ich mich im Ruhestand ganz wohl.)
Na so hat Scholz nicht die Merkel machen müssen und die Wahl wiederholen lassen müssen.. Wir vergessen bei dem AFD Bashing die BSW, die enorm stark wird und auch nicht gewollt ist. Die FDP, Grünen, Linken sind weg und die anderen Altparteien werden folgen, der Bürger hat die Macht seiner Wahlstimme erkannt und nutzt sie jetzt. Auch die AFD, BSW steht und fällt mit den Wählerstimmen. Wo ist die Demokratie mit der die Parteien auf die Straße gingen.. weil wir keine Demokratie hatten sondern eine Gewaltenteilung mit dem Recht des lauten und stärkeren.. Nach der Wahl gestern und dem Treffen aller Parteien konnte man erkennen.. SIE HABEN ES IMMER NOCH NICHT BEGRIFFEN... AFD, BSW brauchen nichts mehr tun.. können sich zurück lehnen, neue Mitglieder kommen von alleine. Kanzler Scholz kommentiert das Ergebnis mit einem lächeln, es ist ihm nicht klar dass er Kanzler für alle Bürger, für ein Land ist und nicht nur für die SPD. Außer er weiß was was wir nicht wissen, das wäre schlimm..
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