Wer neu ist im politischen Berlin und sich zurechtfinden will, greift zum Kürschner. Das kleine Handbuch mit dem rot-weiß gestreiften Einband enthält die Biografien aller Abgeordneten. Wie lange er (oder sie) schon dem Bundestag angehört, zeigen kleine Sterne vor den jeweiligen Namen, einer für jede Wahlperiode. Fünf, sechs Sterne sind im Kürschner keine Seltenheit. Auf neun Sterne allerdings kommen nur zwei der gegenwärtig 733 Parlamentarier: Gregor Gysi von der Linkspartei und der CSU-Mann Peter Ramsauer.
Der sitzt an einem windigen Wintervormittag in seinem Büro mit Blick auf den Reichstag und lässt erst gar keinen Zweifel aufkommen, dass er von beiden der Abgeordnete mit der längeren Dienstzeit ist - schließlich hat Gysi den Bundestag zwischenzeitlich für drei Jahre verlassen, um Wirtschaftssenator in Berlin zu werden. Peter Ramsauer dagegen, Spitzname wahlweise „Schwarzer Peter“ oder „Ramses“, ist seit dem Einheitsjahr 1990 durchgehend dabei. Dem neuen Parlament wird er allerdings nicht mehr angehören, er hat sich schon lange vor dem Ampel-Aus gegen eine weitere Kandidatur entschieden und eine klare Vorstellung davon, wie er die so gewonnene Zeit künftig nutzt: „Zwei Stunden Sport am Tag und zwei Stunden Klavier.“
Peter Ramsauer ist Müllermeister und promovierter Ökonom
Den Berufswunsch, Konzertpianist zu werden, hat der aus einer alten Müllerfamilie stammende Ramsauer früh zugunsten einer Ausbildung zum Müller samt Meisterbrief und eines Ökonomiestudiums samt Promotion aufgegeben - zu seinen besten Zeiten aber, erinnert er sich, habe er gleichwohl die Partituren für zehn Stunden Klavierspiel auswendig im Kopf gehabt. Seiner Karriere in Bonn und Berlin war das durchaus dienlich. Wie in der Musik, sagt Ramsauer, als er nach der Wahl 2009 Verkehrsminister wird, komme es auch in der Politik auf drei Tugenden an: „Geduld, Zielstrebigkeit und eiserne Selbstdisziplin.“
Damit hat er sich vom einfachen Abgeordneten aus dem Landkreis Traunstein über den Posten des Parlamentarischen Geschäftsführers und den Vorsitz der CSU-Landesgruppe bis in ein Ministeramt vorgearbeitet - ein kerniger Konservativer, deutlich in seinen Botschaften, kommunikativ im Umgang und keinem Konflikt aus dem Wege gehend, sei es wegen seines Engagements für bessere Wirtschaftsbeziehungen zu Saudi-Arabien, sei es wegen seiner zahlreichen Nebentätigkeiten, sei es wegen seiner kritischen Haltung dem politisch erzwungenen Klimaschutz gegenüber, den er schon mal als „Anleitung zu Bevormundung und Umerziehung“ verhöhnt. Und auf dem Höhepunkt der Finanzkrise warnt er an die Adresse der Kanzlerin: „Es ist dem Bürger nicht vermittelbar, dass der Regierung 2,5 Milliarden für die Pendlerpauschale fehlen, aber 26 Milliarden im Notfall zur Rettung einer Bank bereitstehen.“
Seine Abschiedsrede hat Ramsauer bereits am Nikolaustag gehalten und darin Fairness, Toleranz und Zusammenhalt als wichtigste Ingredienzien des parlamentarischen Betriebes beschrieben. „Wahr ist dies und jenes, wahr ist aber auch dies und jenes andere,“ zitiert er zunächst Helmut Kohl - und später dann Wolfgang Schäuble, der bis zu seinem Tod mit unerreichten 14 Sternen im Kürschner der dienstälteste Abgeordnete war: „Wir müssen uns gegenseitig ertragen können.“ Die Parlamentsstenografen protokollieren anschließend: „Beifall im ganzen Haus.“
Peter Ramsauer: Mit mir gäbe es die Pkw-Maut längst
Aus seiner Zeit als Minister wird Ramsauer ein besonderes Andenken mit nach Hause nehmen - ein Glas mit der Asche des Vulkans Eyjafjallajökull, das ihm der isländische Botschafter geschenkt hat. Kaum im Amt musste der neue Verkehrsminister nach dem Ausbruch des Vulkans im April 2010 ein mehrtägiges Flugverbot über Deutschland verhängen, für das Ramsauer damals heftig kritisiert wurde, das er aber heute noch als alternativlos verteidigt. „Mir blieb gar nichts anderes übrig.“ Ähnlich geht es ihm mit der Pkw-Maut, die in Deutschland nach dem Willen der CSU nur ausländische Autofahrer bezahlen sollten, nicht aber die deutschen. Hätte man ihn nur machen lassen, versichert Ramsauer, „gäbe es diese Maut schon seit dem 1. Januar 2016.“ Am Ende aber sei es Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen, die seinen Gesetzentwurf an einer entscheidenden Stelle verändert und damit angreifbar gemacht habe. Seine Nachfolger als Minister, Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer, haben dafür gleichwohl jede Menge öffentlicher Prügel bezogen.
Gerne wäre Ramsauer nach der Wahl 2013 Minister geblieben - das aber verhinderte der damalige Parteichef Horst Seehofer, mit dem er deswegen bis heute über Kreuz liegt und auf den man ihn tunlichst nicht ansprechen sollte, wenn das Gespräch weiter einen ruhigen Verlauf nehmen soll. Viel lieber erinnert der 70-Jährige sich an die vier Jahre als Landesgruppenvorsitzender, in denen er mit den Fraktionsvorsitzenden von SPD und Union, Peter Struck und Volker Kauder, so manchen Konflikt in diskreter Pendeldiplomatie entschärfte. Die Büros der drei waren durch eine etwas abgelegene, wenig frequentierte Treppe miteinander verbunden, so dass es im Bundestagsbetrieb kaum jemand mitbekam, wenn sie sich zu ihren Krisensitzungen trafen. Wie Pech und Schwefel habe dieses ungleiche Trio zusammengehalten, sagt Ramsauer stolz. Und ist sich sicher: „Ohne uns hätte es in der Großen Koalition ständig gekracht.“
Wenige sind so weit gereist wie Peter Ramsauer
Zum Gespräch mit unserer Redaktion kommt er direkt aus dem Auswärtigen Ausschuss, in dem es mal wieder um die Ukraine geht. Die Mitgliedschaft dort, findet Ramsauer, rundet seine politische Karriere durchaus ab, nachdem er zuvor auch schon Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung war: „Ich habe immer sehr international gedacht.“ Nicht nur wegen seiner vielen Dienstjahre ist er vermutlich einer der weitgereistesten Abgeordneten überhaupt. Dabei liegt das Gute doch so nah. Zuhause, im Chiemgau, sagt Peter Ramsauer, „lebe ich im Paradies.“ Und in diesem Paradies steht auch ein Flügel, der gespielt werden will.
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