Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Vizekanzler: Robert Habeck stellt Olaf Scholz als Politik-Erklärer in den Schatten

Vizekanzler

Robert Habeck stellt Olaf Scholz als Politik-Erklärer in den Schatten

    • |
    SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz (links) und sein Vize von den Grünen, Robert Habeck, im Bundestag.
    SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz (links) und sein Vize von den Grünen, Robert Habeck, im Bundestag. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Für Robert Habeck schließt sich in diesen kalten Kriegstagen der Kreis. Damals, Mitte der 80er Jahre, hat ihn die Politik gepackt. In der Ukraine war ein Atomkraftwerk in die Luft gegangen. Tschernobyl. In Deutschland sollte man deshalb nicht im Regen laufen, weil die Tropfen radioaktiv waren. Der junge Habeck wollte aber mit Mädchen durch Pfützen steigen und im Regen knutschen. Er fühlte sich um seine Freiheit betrogen.

    Dreieinhalb Jahrzehnte später ist Tschernobyl zurück im Leben des Robert Habeck. Er ist jetzt 52 Jahre alt und Bundesminister für Wirtschaft und Energie. Russen und Ukrainer kämpfen an der Ruine des Kraftwerks. Und sofort sind die alten Ängste wieder da, die Habecks Partei, Bündnis 90/Die Grünen, großgemacht haben. Kann da noch was passieren? Und was ist, wenn die Russen eines der anderen aktiven Kernkraftwerke beschießen?

    Beim Abwägen kann der Grünen-Minister Habeck eigentlich nur verlieren

    Für die Deutschen ist Habeck der Mann in der Bundesregierung, der die Antworten gibt. Wobei „geben“ eigentlich das falsche Wort ist. Er sucht öffentlich nach Antworten, wenn er vor den Kameras steht. Aus seinem Mund fließen keine druckreifen Sätze, keine rundgelutschten Passagen, manchmal wirkt es wie ein Stammeln.

    Neulich zum Beispiel ging es um russisches Öl, das wegen der Gräuel an der Kriegsfront ersetzt werden soll. „Ich sagte es ja bereits, die Kapazitäten kommen vor allem über Westdeutschland. Sie müssten dann nach Ostdeutschland, nach Berlin, kommen und so weiter und verteilt werden. Ähhm, ähhhh, so würde sich die Wirklichkeit zunächst als, ähhh, anfällig erweisen.“ So lauten Habeck-Sätze in diesen Tagen. Jedes seiner Worte kann dabei das Leben in Deutschland teurer machen: Wenn die Finanzmärkte binnen Minuten reagieren, wenn Öl und Gas im Preis steigen. Autofahren und Heizen werden dann noch teurer, Strom auch.

    Habecks Antworten sind vor allem ein Herantasten an die schmerzende Frage, welches Opfer man selbst bringt, um den Bedrängten in der Ukraine in ihrer Not zu helfen. Kalte Wohnungen, geschlossene Fabriken, tiefe Wirtschaftskrise, hohe Inflation. Doch was ist all das gegen das gerettete Leben eines Kindes, sollte der russische Präsident Wladimir Putin aufgrund von Sanktionen seine Soldaten zurückziehen?

    Das sind die Abwägungen, die der Politiker Habeck treffen muss. Es sind Abwägungen, bei denen ein Minister im Grunde immer verliert. Ist er dem deutschen Volke verpflichtet, wie er es gelobt hat im Bundestag? Oder der Menschlichkeit? Einer Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft, die die Deutschen gerade erfasst – in einem Ausmaß, das sich von dem der Kriege in Afghanistan, Irak oder Afrika doch spürbar unterscheidet.

    Habecks Auftritt bei Lanz: eine Sternstunde der politischen Kommunikation?

    Der Wirtschaftsminister entscheidet sich bislang für die Wirtschaft. Deutschland verbrennt weniger Öl, Gas und Kohle. Über Nacht darauf zu verzichten, lehnt er ab. Er fürchtet Schäden „schwersten Ausmaßes“, sollte sich Deutschland selbst den Hahn zudrehen.

    Robert Habeck trägt schwer an seiner Haltung. In den Polit-Talks von „Anne Will“ oder „Markus Lanz“ ist er sichtlich mitgenommen, wenn es um die Ukraine geht. Doch als er kürzlich zu Lanz zugeschaltet wurde und nach Antworten rang, brachte ihm das Lobeshymnen ein. Er habe den Moderator und dessen Gäste „Mores“ gelehrt und „Deppenargumente wie jenes, dass längere Laufzeiten für Atomkraftwerke irgendetwas bringen könnten“, filetiert, befand ein Kommentator. Ein anderer nannte den Auftritt des Wirtschaftsministers und Vize-Kanzlers eine „Sternstunde der politischen Kommunikation“. Er könne sich nicht erinnern, schon einmal einen so hochrangigen Politiker in einer solchen Offenheit und Präzision in einer Talkshow sprechen gehört zu haben.

    Gefeierter Auftritt: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Ende März in der Talkshow „Markus Lanz“.
    Gefeierter Auftritt: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Ende März in der Talkshow „Markus Lanz“. Foto: Cornelia Lehmann, ZDF

    Als Putin seinen Truppen den Marschbefehl erteilt hatte, traf Habeck den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk. Der Diplomat ist seit Kriegsbeginn das personifizierte schlechte Gewissen der Deutschen und als Ankläger unterwegs. Er greift in harschen Worten den Bundespräsidenten an, was ein Affront ist. Er spricht über das „höfliche Lächeln“ von FDP-Finanzminister Christian Lindner, der im Gespräch die Ukraine angeblich schon verloren gegeben habe. Er sagt, dass sich SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hauptsächlich um ihr Außenbild sorge. Nur über Habeck spricht er gut. Der sei auf dem grünen Ledersofa in der ukrainischen Botschaft gesessen und „am Boden zerstört“ gewesen, berichtet Melnyk. Habeck kommt an.

    Nur eine Minderheit in Deutschland glaubte, dass Putin ernst machen würde

    Das war nicht immer so. Im vergangenen Jahr hatte er etwas gewagt – und verloren. Im Mai forderte er nach einem Besuch in der Ukraine, dem Land Waffen zur Abwehr zu liefern. Das Wort „Defensivwaffen“ geisterte als Begriff mehrere Tage durch die Kommentarspalten. Habeck war damals zweiter Mann der Grünen, Annalena Baerbock wollte das Kanzleramt erobern. Sie pfiff ihren Parteifreund zurück.

    Seinerzeit galt noch die alte Lehre, dass Deutschland kein Kriegsgerät dorthin liefert, wo ein Krieg ausbrechen könnte. Das vertraten nicht nur die Grünen, sondern das war offizielle Haltung der Bundesregierung. In Deutschland glaubte nur eine Minderheit, dass Putin tatsächlich Ernst machen würde. Und oberstes Prinzip war, den russischen Präsidenten nicht zu provozieren. Habeck grämte es bitterlich, dass er die Unterstützung der Ukraine mit Waffen nicht durchkämpfen konnte. Nicht den Zynismus von Medien und Politikbetrieb übernehmen und emotional empfindsam bleiben, das nahm er sich vor langem vor.

    In keinem Politiker spiegelt sich dieser Tage eindrücklicher, welche Lehren Deutschland gerade ziehen muss. Es spiegelt sich in Habecks Gesicht, das zeitweise so blass, stoppelig und durchfurcht war, dass einem bange werden konnte. Aber es zeigt sich auch in den erschütterten Grundfesten, auf denen Politik bis zum russischen Überfall auf die Ukraine stattfand: der in hohem Ton vorgetragene Pazifismus, die Ablehnung des Militärs, die romantische Fehleinschätzung der russischen Seele, der Handel mit jeglichen Diktatoren, Autokraten und Potentaten dieser Welt völlig ungeachtet der eigenen Überzeugung.

    Vize-Kanzler Habeck kommuniziert so anders als SPD-Kanzler Olaf Scholz

    „Zeitenwende“ hat das Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD genannt. Eigentlich wäre es seine Aufgabe, diesen Epochenwechsel auszubuchstabieren, zu erklären, was das heißt. Dass sich die Bundesrepublik künftig nicht mehr so leicht einen schlanken Fuß in der schmutzigen Arena der Außenpolitik machen kann. Frei nach dem Motto: Wir bauen Schulen und die anderen kämpfen. Es wäre an Scholz zu erklären, dass der schöne Titel „Exportweltmeister“ bedroht ist, wenn das China-Geschäft neu bewertet wird. Und dass Energie in den nächsten Jahren wahrscheinlich teurer wird, weil billiges Gas aus Russland fehlt. Doch der Kanzler nimmt diese Rolle nicht an. Er kommuniziert nur, wenn er muss und regelt die Dinge lieber aus seinem Büro im Kanzleramt. Das ist sein Stil.

    Wenn er vor die Presse tritt, dann sind seine Sätze suchend wie die seines Wirtschaftsministers. Sie fangen an, winden sich und finden kein richtiges Ende. Doch anders als Habeck kommuniziert Scholz im klassischen Modus: Er räumt seine Zweifel nicht ein. Er versucht, den Eindruck zu vermitteln zu wissen, was das Richtige ist – auch wenn sich alles fundamental ändert. In gewisser Weise bleibt er damit der Linie seiner Vorgängerin Angela Merkel treu, die den Deutschen meist die größten Zumutungen erspart hat.

    Der SPD-Mann an der Spitze der Regierung setzt auf Arbeitsteilung: Er kümmert sich um Krieg und Frieden. In Gesprächen mit Putin, mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, mit dem US-Präsidenten Joe Biden. Was daraus ökonomisch für die größte Wirtschaftsmacht Europas folgt, darum muss sich sein Vize Habeck kümmern.

    Habeck muss weltweit um Gas und Öl betteln

    Für den heißt das, dass er in der Welt um Gas und Öl zu betteln hat. In Norwegen ist das leichter für einen Minister der Grünen als in Katar. Das Emirat ist eine absolute Monarchie, in der Frauenrechte mit Füßen getreten und Arbeiter aus anderen Ländern ausgepresst werden. Katar wird immer wieder vorgeworfen, mit seinen Gas-Milliarden islamistische Mördertruppen zu finanzieren. Vor dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde in Deutschland über einen Boykott der Fußball-WM debattiert, die dort im Winter ausgetragen wird. Seit dem russischen Einmarsch ist der Emir wieder Partner, der seine Spiele in der Wüste bekommen soll.

    Bei seinem Besuch am Golf war Habeck dennoch ganz euphorisiert, als die Scheichs zusagten, Flüssiggas nach Deutschland zu liefern. Von der Reise gibt es ein Foto, auf dem er den Rücken beugt, als er einem weißgewandeten Mitglied der Herrscherfamilie die Hand reicht. Vor dem Krieg wäre er dafür öffentlich verprügelt worden – nun ist das anders. Habecks Popularität hat sogar leicht zugelegt.

    Bereits vor mehr als zehn Jahren war er der Meinung, dass seine Partei aus der Nische der „Öko-Besserwisser“ heraus müsse, wenn sie eine Konkurrenz für SPD und CDU sein wolle. Er entwickelte die Idee in einem Buch, in dem er Patriotismus und Heimatliebe für das linke Spektrum zu erschließen suchte. Er, der einst überzeugte Zivildienstleistende, kann sich auch vorstellen, dass er sich heute für die Bundeswehr melden würde. Robert Habeck, muss man sagen, hat seine persönliche Zeitenwende schon hinter sich.

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden