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Verteidigungsministerium: Boris Pistorius: Der rote Sheriff wird Chef der Bundeswehr

Verteidigungsministerium

Boris Pistorius: Der rote Sheriff wird Chef der Bundeswehr

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    Boris Pistorius folgt auf Christine Lambrecht und wird künftig das Verteidigungsministerium leiten.
    Boris Pistorius folgt auf Christine Lambrecht und wird künftig das Verteidigungsministerium leiten. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Aus dem niedersächsischen Innenministerium in den Bendlerblock: Mit der Berufung von Boris Pistorius zum Nachfolger von Christine Lambrecht, die als Verteidigungsministerin hingeworfen hatte, überrascht Kanzler Olaf Scholz nur auf den ersten Blick. Seine Botschaft ist offenkundig: Die Aufgabe, eine über Jahrzehnte kaputt gesparte Bundeswehr schnell wieder flottzumachen, ist wichtiger als die sonstigen Gepflogenheiten der Ministerauswahl. 

    Zu normalen Zeiten, da werden Kabinettsposten nach ungeschriebenen, aber komplizierten Abwägungen vergeben. Eine ganze Reihe von Faktoren muss passen, darunter die innerparteiliche Flügelzugehörigkeit, die Herkunft aus einem bestimmten Bundesland, aber auch Alter und Geschlecht. Gute Beziehungen zu den Entscheidern schaden natürlich nicht. Diese Matrix hat Olaf Scholz benutzt, als er vor gut einem Jahr den SPD-Teil seines Kabinetts besetzte. 

    Lambrecht wurde mit Truppe nicht warm

    Dass die fachliche Eignung nicht unbedingt im Vordergrund stand, das wurde immer wieder kritisiert. Etwa im Fall von Pistorius, der als heißer Kandidat für das Innenministerium gehandelt worden war, das dann die Hessin Nancy Faeser bekam. Aber auch im Fall der Juristin Lambrecht trifft das zu, die mit der Truppe nicht warm wurde. Für sie übernimmt mit Pistorius zwar kein ausgewiesener Wehrexperte die Befehls- und Kommandogewalt, weshalb ihn kaum ein Beobachter auf der Rechnung hatte. Dennoch ist das Kalkül des Kanzlers klar. Denn Pistorius ist einer, der auch außerhalb seiner niedersächsischen Heimat den Ruf eines zupackenden Praktikers genießt und über großen Rückhalt in den Sicherheitsbehörden verfügt. 

    Dass Ministerpräsident Stephan Weil in Niedersachsen so fest im Sattel sitzt, das hat er auch seinem Innenminister zu verdanken. Weil und Pistorius bilden seit 2013 ein sozialdemokratisches Duo, das als bodenständig und volksnah gilt. Weniger mit den ideologischen Feinheiten beschäftigt, die für andere in der SPD zählen, dafür näher am Ohr der Menschen, das hat sich zuletzt bei den Landtagswahlen 2022 als Erfolgsrezept erwiesen. Olaf Scholz, der in den Umfragen schwächelt, ist das nicht entgangen. Jetzt holt er Pistorius nach Berlin, um seine wichtigste Baustelle in Ordnung zu bringen. Der Kaufmann und Jurist, der mit 17 Jahren der SPD beigetreten war, machte als Innenminister immer wieder mit Positionen von sich reden, die für manche in den eigenen Reihen etwas zu sehr nach "Law and Order" klangen. 

    Pistorius kämpft gegen extremistische Gewalt

    Militanten Islamisten hat Pistorius den Kampf angesagt, entsprechende Organisationen verboten. Zwei Gefährder ließ er abschieben, obwohl diese noch keine Straftat begangen hatten. Der 62-Jährige warnte allerdings davor, die Extremisten mit der Masse der friedlich in Deutschland lebenden Muslime in einen Topf zu werfen: "Da müssen wir höllisch aufpassen! Es darf nicht dazu kommen, dass wir dadurch die vielen friedlichen Moslems isolieren und stigmatisieren, sodass sie sich am Ende möglicherweise von unserer Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, denn sie gehören dazu." Das Thema Kriminalität von Flüchtlingen dürfe weder tabuisiert noch dramatisiert werden, warnte er. 

    Klare Kante zeigt Pistorius aber auch gegen Extremisten von links wie rechts. Er gilt als einer der schärfsten Verfechter eines NPD-Verbots und stieß eine Debatte um mögliche Verbote linksextremistischer Gruppen an. Dass Angriffe auf Polizeibeamte und Rettungskräfte seit 2017 bundesweit strenger bestraft werden können, geht auf seine Initiative zurück. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges forderte er zuletzt deutlich stärkere Anstrengungen im Bereich des Zivilschutzes. 

    Boris Pistorius war knapp sieben Jahre Oberbürgermeister in Osnabrück

    Vor seiner Zeit als Innenminister hatte Pistorius als Oberbürgermeister seiner Geburtsstadt Osnabrück von 2006 bis 2013 sein Gespür für die Sorgen und Nöte der Menschen geschärft. Dass Sicherheit eines der Grundbedürfnisse aller Bürgerinnen und Bürger ist, ob reich oder arm, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, wurde zu seinem Credo. Jetzt ist er nicht mehr länger für die innere Sicherheit seines Bundeslandes zuständig, sondern für die äußere Sicherheit der ganzen Republik. In einer Zeit, in der im Osten Europas ein brutaler Krieg tobt, in der die ganze Misere der Bundeswehr besonders schmerzlich wirkt, in der die Bündnispartner auf ein stärkeres deutsches Engagement pochen, hat er die wohl anspruchsvollste Aufgabe im Kabinett des Kanzlers zu lösen. 

    Bundespolitische Ambitionen hatte Pistorius zuvor schon mehrfach gezeigt. Im "Schattenkabinett" des 2017 krachend gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz war er für die innere Sicherheit zuständig. 2019 bewarb er sich im Duo mit der sächsischen Landespolitikerin Petra Köpping um den SPD-Vorsitz – unter anderem gegen die heutige Parteichefin Saskia Esken, aber auch gegen den heutigen Kanzler Scholz. So kann bei Pistorius zumindest niemand behaupten, er habe sein Amt bekommen, weil die Mächtigen in der Partei ihm noch einen Gefallen schulden. Mit Esken war Pistorius 2020 sogar heftig aneinandergeraten. Nachdem diese von einem angeblichen "latenten Rassismus" bei den Sicherheitsbehörden gesprochen hatte, wies er dies als falsch zurück. Seine Parteichefin setze damit die mehr als 300.000 Polizisten im Land "einem ungerechtfertigten Generalverdacht" aus. 

    Scholz verstößt mit Besetzung gegen Prinzip der Geschlechter-Parität im Kabinett

    Einen Minister, der sich vor seine Leute stellt, das wünschen sich auch die gut 183.000 Soldaten der Bundeswehr. Gerade in Zeiten, in denen die Aufgabe der Landesverteidigung wieder in den Vordergrund rückt. Indem er Lambrecht durch Pistorius ersetzt, sendet Olaf Scholz also auch ein Signal in eine Truppe, die lange darunter litt, von der Politik zu wenig Wertschätzung zu erfahren. Der Kanzler verstößt mit der Besetzung sogar gegen das Prinzip der Geschlechter-Parität im Kabinett, das er ziemlich hoch gehängt hat. Will er wieder gleich viele Männer und Frauen im Kabinett, käme er an weiteren Neubesetzungen nicht vorbei. 

    Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius soll die Bundeswehr nun auf Vordermann bringen.
    Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius soll die Bundeswehr nun auf Vordermann bringen. Foto: Sina Schuldt, dpa (Symbolbild)

    Pistorius, das scheint dem Kanzler wichtig zu sein und das will er offenbar auch nach außen zeigen, ist schlichtweg die Person, der er am ehesten zutraut, die Bundeswehr in diesen krisenhaften Zeiten auf Vordermann zu bringen. Für Durchsetzungsstärke und Pragmatismus ist Pistorius schon jetzt bekannt, dass er zur Truppe einen ähnlich guten Draht entwickeln kann wie zur Polizei, davon scheint Scholz überzeugt zu sein. Zwar ist der 62-Jährige bislang in der Verteidigungspolitik kaum aktiv gewesen, doch im Gegensatz zu seinen drei Amtsvorgängerinnen Lambrecht, Annegret Kramp-Karrenbauer und Ursula von der Leyen kennt er die Bundeswehr zum Amtsantritt auch aus eigenem Erleben. Seinen Wehrdienst leistete in der Steuben-Kaserne in Achim bei Bremen. Welche Dienstgrade es gibt und an welchen Abzeichen auf der Uniform sie zu erkennen sind, das muss ihm jedenfalls keiner erklären. Für die Glaubwürdigkeit und den Umgang ist dieser "Stallgeruch" ein unschätzbarer Vorteil. 

    Privater Schicksalsschlag: Ehefrau von Pistorius starb an Krebs

    Privat musste Pistorius einen großen Schicksalsschlag verkraften. Seine Ehefrau Sabine, mit der er zwei Töchter hat, erlag 2015 einer Krebserkrankung. Später war er einige Jahre mit der Politikerin Doris Schröder-Köpf liiert. Die frühere Frau von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ist niedersächsische Landtagsabgeordnete und war zeitweise Beauftragte für Migration und Teilhabe. Vor rund einem Jahr trennten sie und der Innenminister sich, "in Frieden und Freundschaft", wie es hieß. 

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