So einen Auftritt hat es lange nicht gegeben. Ganz kurzfristig hatte das Weiße Haus den Auftritt des Präsidenten angesetzt, und als dieser um 17 Uhr Ortszeit am Donnerstag im festlichen East Room vor die Kameras trat, hatte er nur ein Thema: „Wir können nicht zulassen, dass sich ausländische Mächte ungestraft in unseren demokratischen Prozess einmischen“, erklärte Joe Biden und verhängte eine Reihe neuer Sanktionen gegen Russland.
Das war ein scharfer Kontrast zur Politik von Vorgänger Donald Trump, der bei vielen Gelegenheiten offen Sympathien für den russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigte und jegliche Kritik am Kreml unterließ. Biden wirkte ernst und entschlossen, aber er vermied feindselige Attacken auf seinen Gegenspieler. „Offen und respektvoll“ habe er am Dienstag mit Putin am Telefon gesprochen. Dem sei klar, dass Washington härter reagieren könnte: „Aber ich habe mich entschlossen, das nicht zu tun. Ich möchte verhältnismäßig sein.“
US-Präsident Joe Biden warnt Moskau vor Einmischung
Tatsächlich werden die nun verhängten Sanktionen in den USA allgemein als maßvoll eingestuft. Das wirtschaftsnahe "Wall Street Journal" findet sie angemessen, während die eher linksliberale Washington Post sie sogar für unzureichend hält. Schon bald, glaubt das Blatt, könne Biden gezwungen sein, neue Strafmaßnahmen zu verhängen, „die mehr beißen als bellen“.
Der Präsident selber drohte das in seiner Rede für den Fall an, dass Moskau sich weiter in demokratische Prozesse der USA einmische. Er betonte aber ausdrücklich: „Die Vereinigten Staaten wollen keinen neuen Kreislauf der Gewalt und des Konfliktes mit Russland anstoßen.“
US-Sanktionen gegen Russland gab es bereits im März
Bereits im März hatte Biden als Reaktion auf den Nervengasangriff und die spätere Inhaftierung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny Strafen gegen Moskau erlassen. Dieses Mal ging es um die russische Einmischung in die US-Wahl sowie die Affäre Solarwinds, bei der sich mutmaßlich russische Geheimdienste im Oktober 2019 über gehackte Netzsoftware Zugang zu amerikanischen Regierungsnetzen verschafften. Washington sanktionierte 16 Personen und Institutionen, die durch die Verbreitung von Falschinformationen versucht haben sollen, die Wahl zu manipulieren. Es wies zehn russische Diplomaten – mehrheitlich mutmaßliche Spione – aus. Und die US-Regierung untersagte amerikanischen Banken, neue russische Staatsanleihen zu kaufen.
Interessant ist allerdings auch, was die Biden-Regierung nicht getan hat. Auffällig war zunächst, dass der Präsident die Kopfgelder, die Moskau angeblich auf amerikanische Soldaten in Afghanistan ausgelobt hat, nicht erwähnte. Die Geheimdienstinformationen dazu basieren auf Aussagen krimineller afghanischer Gefangener und konnten bislang nicht belegt werden.
Doch auch die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die kurz vor der Fertigstellung steht, erwähnte Biden mit keinem Wort. US-Banken dürfen sich weiter am Sekundärmarkt mit russischen Staatstiteln eindecken und mit diesen handeln. Schließlich verhängte Washington weder Sanktionen gegen den so wichtigen russischen Energiesektor noch gegen Oligarchen.
Was hat Biden in Bezug auf "Nord Stream 2" vor?
Es gibt also durchaus Raum für eine Steigerung des Drucks. Auch hatte Biden dieses Mal Putin offenbar vorab über die drohenden Sanktionen informiert und zugleich ein Gipfeltreffen im Sommer in Europa vorgeschlagen. Dies sei „eine kluge Strategie“, glaubt Michael McFaul, der zu Obamas Zeiten als US-Botschafter in Moskau arbeitete: Einerseits mache Biden klar, dass es mit ihm kein „business as usual“ gebe. Andererseits locke er Putin mit der Aussicht auf ein prestigeträchtiges Zweiertreffen und behält mögliche Druckmittel in der Hinterhand.
Ob das Putin beeindruckt und von weiteren militärischen Abenteuern in der Ukraine abhält, ist allerdings völlig unklar. Falls nicht, müsste Biden doch einen größeren Knüppel herausholen. Und der könnte die Aufschrift „Nord Stream2“ tragen. Nach Informationen der Nachrichtenseite Politico hatte das Justizministerium bereits im vergangenen Monat grünes Licht für Sanktionen gegen die Pipeline gegeben, auf die beide Parteien im Kongress massiv drängen. Nach regierungsinternen Diskussionen sei dann aber darauf verzichtet worden. Ein Grund könnte sein, dass Biden zu Beginn seiner Amtszeit das beschädigte Verhältnis zu Deutschland möglichst nicht weiter belasten möchte.
„Das ist eine komplizierte Sache, die unsere Verbündeten in Europa betrifft“, sagte der Präsident am Donnerstag. Zugleich erklärte er jedoch, dass er „von Anfang an“ gegen das Gas-Projekt gewesen sei. Und die Sanktionen? „Die liegen weiter auf dem Tisch“, betonte Biden ausdrücklich.
Polen unterstützt Washington demonstrativ
Demonstrative Unterstützung für Washington kam aus Warschau. Polens Regierung erklärte sich solidarisch, indem sie ihrerseits drei russische Diplomaten des Landes verwies. Der russische Botschafter erhielt eine Note, in der drei Mitarbeiter der Botschaft in Warschau zu unerwünschten Personen erklärt wurden. Die Botschaftsmitarbeiter hätten gegen die geltenden Bedingungen für Diplomaten verstoßen und zum Schaden Polens gehandelt, hieß es zur Begründung. „Gemeinsam getroffene und abgestimmte Entscheidungen der Bündnispartner sind die angemessene Antwort auf die unfreundlichen Handlungen der Russischen Föderation“, teilte das Außenministerium mit Blick auf die Ausweisungen in den USA mit. Ganz anders wird aus Moskau kommentiert: Der Außenpolitiker Leonid Sluzki verurteilt die Ausweisungen in Polen als „neue russophobe Geste“.
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