Das Manöver ist beispiellos in der Geschichte der US-Justiz: Nur eine Woche vor der Präsidentenwahl setzten die Republikaner am Dienstag die Konservative Amy Coney Barrett als Richterin am Obersten Gericht der Vereinigten Staaten durch. Damit ist der Plan von Präsident Donald Trump aufgegangen, die konservative Mehrheit am Supreme Court zu zementieren. Mit der Berufung von Barrett, die ja lebenslang gilt, ist diese Mehrheit erdrückend: Von neun Richtern sind nun sechs eindeutig politisch konservativ.
Die Folgen für die Politik im noch immer mächtigsten Staat der Erde sind in ihrer Tragweite gar nicht hoch genug zu bewerten: Das Oberste Gericht könnte regelmäßig das letzte Wort haben, wenn es um so konfliktträchtige Themen wie Abtreibung, Krankenversicherung oder Klimaschutz geht. Es wäre auch zuständig, wenn Trump – was er bereits angedeutet hat – im Falle einer Wahlniederlage gegen Herausforderer Joe Biden das Ergebnis anfechten sollte. Doch auch wenn Biden ins Weiße Haus einzieht und seine Demokraten im Senat die Mehrheit erringen – am Supreme Court könnten viele Reformen scheitern.
Liberale Politiker und Medien in den USA sind nach Coney-Entscheidung alarmiert
Lange trösteten sich liberale Politiker und Medien damit, dass auch als stockkonservativ geltende Richter bisweilen überraschend mit ihren liberalen Kollegen stimmen. Dass solche „Ausreißer“ am Ende Urteile des Obersten Gerichtes in eine neue Richtung drehen, wird bei einer konservativen Übermacht von 6:3 in Zukunft noch weit unwahrscheinlicher.
Für die linksliberale New York Times Anlass genug, zu fordern, dass die Gerichte nicht in der Lage sein dürften, die größten politischen Debatten in den USA an den gewählten Vertretern des Volkes vorbei zu entscheiden. Wenn eine Mehrheit der Amerikaner dies verhindern wolle, müsste eine Möglichkeit geschaffen werden, die Mechanismen so zu verändern, dass die Macht des Obersten Gerichtes eingeschränkt wird, kommentiert die Times.
Linke Demokraten spielen mit dem Gedanken, den Supreme Court zu erweitern
Eine Überlegung, die im Raume steht, ist die Erweiterung des Richterkollegiums am Supreme Court. Joe Biden hat sich von dieser Idee, die bei linken Demokraten sehr populär ist, bisher distanziert. Im gleichen Atemzug kündigte er eine große Justizreform im Falle seines Wahlsieges an. Denn das Problem liegt tiefer: Die Berufungen von Konservativen Juristen wie Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und jetzt Amy Coney Barrett an das Oberste Gericht finden weltweit Beachtung. Oft übersehen wird hingegen, dass Trump in seiner Amtszeit sagenhafte 200 vakante Richterstellen an Bundesgerichten der USA mit konservativen, meist männlichen, weißen Juristen besetzt hat. In diesem Fall hat der Präsident geliefert und die Hoffnungen streng religiöser Wähler auf eine strikt konservative Rechtsprechung übererfüllt.
Biden wiederum hofft, dass ihm am Dienstag noch mehr Wähler ihre Stimme geben, die die Rechte von Frauen, Homosexuellen und Minderheiten in Gefahr sehen.
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