Herr Professor Jäger, vor einer Woche wurde auf Donald Trump geschossen. Nun wurde er auf dem Republikaner-Parteitag mit großer Geschlossenheit als Präsidentschaftskandidat inthronisiert. Wie sehr haben diese Tage Amerikas Politik verändert?
THOMAS JÄGER: In der Öffentlichkeit entstand nach dem Attentat der Eindruck, Donald Trump habe die Wahl schon gewonnen. Ähnlich war es nach dem TV-Duell mit US-Präsident Joe Biden. Mit ein paar Tagen Abstand muss man sagen, dieser Eindruck stimmt nicht. In den Umfragen gibt es kaum Bewegung. Wir sehen immer noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit nur leichten Vorteilen für Trump in den sogenannten Swing-States, wo die Mehrheit für die nötigen Wahlmänner umkämpft ist. Doch es steht alles Spitz auf Knopf.
Das heißt, auch nach dem Attentat auf Donald Trump scheint die US–Wahl nicht entschieden?
JÄGER: Nein, die US-Wahl ist noch nicht gelaufen. Man sollte Joe Biden nicht abschreiben, aber er hat einen schweren Weg vor sich. Das Attentat auf Trump hat unterschiedliche Wirkungen entfaltet: Bei den Republikanern hat es dazu geführt, dass sich die Partei durch und durch zu einem „Bündnis Donald Trump“ verwandelt hat. Es gibt keine innerparteiliche Opposition mehr. Auch die einst 20 Prozent Unterstützer seiner Vorwahl-Konkurrentin Nikki Haley scharen sich jetzt hinter Trump. Doch auf der anderen Seite hat das Attentat bei Trumps politischen Gegnern klar das Bewusstsein dafür geschärft, wie stark Trump in den vergangenen Jahren selbst dazu beigetragen hat, dass sich Gewalt in der Sprache und auch in den Taten im politischen System Amerikas ausgebreitet hat.
Ist Donald Trump damit ein Opfer der Saat politischer Verrohung geworden, die er selbst gesät hat?
JÄGER: Niemand sollte Täter-Opfer-Umkehr betreiben. Man weiß kaum etwas über die Motive des Schützen. Die wenigen Hinweise, die über den 20-Jährigen vorliegen, ergeben bislang kein rundes Bild. Fakt ist aber eine sehr bedenkliche Entwicklung in der amerikanischen Gesellschaft: 20 Prozent der Amerikaner halten inzwischen Gewalt für ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Zu diesem Ergebnis hat Trump mit seiner Verrohung der Sprache beigetragen, wenn er etwa beim Thema Einwanderung von Schädlingen spricht, die das Blut des Volkes vergiften würden. Und ebenso mit seinem Handeln, wenn wir uns an den blutigen Sturm seiner Anhänger aufs Kapitol erinnern. Deshalb überstrahlen die wirkmächtigen Bilder von Trump nach dem Attentat für viele Amerikaner nicht diesen Schatten. In der Vergangenheit sammelten sich die Wähler in Umfragen um Anschlagsopfer, etwa, als 1981 Ronald Reagan angeschossen wurde. Diesen sogenannten Rallye-Effekt sehen wir bislang bei Trump nicht.
Was bedeutet das für Joe Biden? Er steht nach seinen schlechten Auftritten in der Debatte um sein Alter auch parteiintern weiter unter Druck. Werden ihn die Demokraten noch auswechseln
JÄGER: Der Druck war bislang sehr hoch, Biden hat ihm standgehalten. Eine Lösung für einen Rückzug kann man nur im Einvernehmen finden. Mit einem Putsch gegen Biden würden die Demokraten die Wahl von vornherein verlieren. Und gegen einen nun erstarkt wirkenden Trump drängt es keinen der gehandelten Ersatzkandidaten in den Wahlkampf. Wenn Biden weitere schlimme Patzer unterlaufen, würde der Druck enorm hoch, dass er dann ganz als Präsident zurücktreten müsste. Damit würde er den Weg für seine Vize Kamala Harris freimachen, damit sie noch mit einem Amtsbonus in die Wahl im November starten konnte. Doch Biden wird alles dafür tun, damit es nicht so weit kommt. Dafür hat er sein Leben lang zu hart um das Präsidentenamt gekämpft. Ich gehe, Stand heute, davon aus, dass Joe Biden der Kandidat bleibt und auch bis zur Wahl durchhalten wird.
Wird es für Biden nun schwieriger, gegen Trump Wahlkampf zu machen? Der will nach dem Attentat versöhnlicher auftreten und seine Strategen werben um die Wählerschaft der Mitte.
JÄGER: Man wird sehen, ob die Menschen in Amerika Trumps Parteitagsrede tatsächlich so auffassen. Die Wahl seines Vizepräsidentschaftskandidaten J. D. Vance, der sich als Scharfmacher einen Namen gemacht hat, zeigt jedoch, dass Trump nicht im Geringsten einen Versöhnungskurs ansteuert. Auch Biden hatte nach dem Attentat als Präsident keine andere Wahl, als versöhnliche Töne anzustimmen. Für Biden wird es aber schwieriger, weil er Trump nicht mehr so hart angehen kann, wie es seine Strategen für die kommenden Wochen geplant hatten. Dennoch werden die Demokraten versuchen zu entlarven, was Trump in den kommenden Jahren vorhat, und dass seine Pläne eine Gefahr für das politische System der USA wären.
Sind Trumps Pläne aus Ihrer Sicht als Politikwissenschaftler tatsächlich eine Gefahr für die Demokratie der Vereinigten Staaten?
JÄGER: Ganz nüchtern betrachtet ist diese Gefahr tatsächlich groß. Das politische System der Vereinigten Staaten lebt von gegenseitiger Kontrolle und Machtbalance. Man nennt diese politische Gewaltenteilung in den USA auch „Checks and Balances“. Dabei spielt die Unabhängigkeit der Justiz eine entscheidende Rolle. Und hier erleben wir heute, wie Trump in seiner ersten Zeit den Obersten Gerichtshof, den Supreme Court, zu seinen Gunsten mit sehr rechts ausgerichteten Richtern besetzt hat und nun von deren Entscheidungen profitiert. Diese politische Aufladung der Justiz auch auf anderen Ebenen ist ein ernsthaftes Problem für die USA. Würde Trump mit seiner Partei auch noch eine Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat erringen, könnte er als unangefochtener Anführer das politische System tatsächlich umbauen. Und das stellt eine Gefahr für die Demokratie dar.
Joe Biden ist vor vier Jahren mit dem Ziel angetreten, die politische Spaltung Amerikas überwinden zu wollen. Warum ist ihm das nicht gelungen?
JÄGER: Joe Bidens Idee war, man könne den Kulturkampf mit einer erfolgreichen Wirtschafts- und Sozialpolitik überwinden. Dann würden sich die Menschen um andere Dinge kümmern. Diese Idee konnte nicht aufgehen, weil Biden mit Trump in all den Jahren einen Gegenspieler hatte, der die ganze Zeit die kulturelle Spaltung weiter vorangetrieben hat. Trump lebt von der Spaltung und ist ohne sie politisch gar nicht handlungsfähig. Hier spielen die Sozialen Medien eine enorme Rolle. Trump war der erste Politiker, der seine Karriere auf den Sozialen Medien aufgebaut hat. Sein damaliger Twitter-Account war ein Hebel, über den er Massen erreicht hat und in die anderen Medien gedrungen ist. Die professionellen Medien nahmen seine Aussagen oft begierig auf und lieferten Trump noch einen Verstärkungseffekt.
Warum spielen Fakten eine so geringe Rolle? Andere Länder, auch Deutschland, würden sich über Bidens Wirtschafts- und Arbeitsmarktzahlen glücklich schätzen.
JÄGER: Diesen Effekt kann man inzwischen auch in Deutschland beobachten. Die Unterscheidung zwischen Fakten und deren Bewertung rückt immer weiter in den Hintergrund. Dadurch wird die Meinung zum Faktum. Es wird nicht mehr über Fakten, sondern nur noch über Meinungen debattiert. Ein Beispiel: Im Wahlkampf 2016 hatte Trumps Vertrauter, der frühere New Yorker Bürgermeiste Rudy Giuliani, erklärt, die USA würden immer unsicherer. Als man ihm die Zahlen der Kriminalitätsstatistik entgegenhielt, wonach Mord- und andere Verbrechenszahlen deutlich gesunken seien, erwiderte er: Das seien nur Zahlen, entscheidend sei aber die gefühlte Sicherheit. Genau das ist das Prinzip Trump: Faktisch geht die Einwanderung in die USA gerade erheblich zurück, die Grenzen sind jetzt besser unter Kontrolle als in den Jahren zuvor. Doch Trump entfacht das gegenteilige Gefühl. Da hilft es nicht, mit Zahlen zu kontern, das erreicht die Menschen nicht mehr.
Wie muss sich Europa auf die US-Wahlen vorbereiten?
JÄGER: Wenn es auf Trump zuläuft, kommen auf Europa wirtschaftlich und sicherheitspolitisch schwerere Zeiten zu. Trump will seine Steuersenkungen finanzieren, indem er alle Zölle um zehn Prozent anhebt und für chinesische Waren generell 100 Prozent Strafzoll verlangen will. Die USA sind Europas wichtigster Handelspartner beim Export. Danach folgt China. Hier brächte ein Handelskrieg mit den USA negative Folgen auch für die europäische Wirtschaft. Beim Krieg in der Ukraine würde Trump alle damit verbundenen Kosten auf die Europäer abwälzen, egal ob es ihm gelänge, Russland und die Ukraine an den Verhandlungstisch zu bringen. All das bedeutet, dass ein Sieg Donald Trumps bei den US-Wahlen auch für Deutschland sehr teuer werden könnte. Darauf sollte man sich jetzt schon einstellen.
Zur Person Thomas Jäger ist Professor für internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Der 64-Jährige gilt als gefragter USA-Experte. In einem Interview mit unserer Redaktion sagte er im Sommer 2016 anders als viele Fachleute einen Sieg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen voraus.
Gnade uns Gott, wenn Trump die Wahl gewinnt, er wird sich aus dem gemachten "Problem Ukraine" zurückziehen und Deutschland muss seine abgegeben Garantien für Aufbau und Rüstung erfüllen. Dann kann Scholz die "Neue Zeitenwende" ausrufen.
Das sehe ich nicht so kritisch; die Beistandsverpflichtungen in den bilateralen Verträgen sind sehr vage gehalten und die finanz. Verpflichtungen nur als grobe Zieldaten definiert. Die EU kann uns in Zweifelsfall gleichgültig oder am Mond besuchen - mehr als vereinbart wird nicht eingezahlt.
"... Deutschland muss seine abgegeben Garantien für Aufbau und Rüstung erfüllen. " Fürchten Sie, dass DEU seine gegebenen Verpflichtungen auch einhalten müsse? Dass nicht leere Worte, sondern Taten dann erforderlich wären? Dass DEU dann Verantwortung und daraus ergebend, Handeln erforderlich wäre. Dass man sich nicht mehr nur auf andere Staaten verlässt, sondern selbständig und eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen hat? Dass man für seine Entscheidungen auch eintreten muss?
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