Vielleicht liegt es ihm in den Genen, vielleicht nutzt er auch nur die Gunst, die ihm das Schicksal in diesem Moment wie ein besonders schön verpacktes Geschenk in die Hände legt. Als Larry Hogan an jenem warmen Septemberabend im Tagungssaal des Hotels in der Kleinstadt College Park ankommt, drängen sich die Menschen um ihn. Er schüttelt Hände, klopft auf Schultern, richtet seine Krawatte. Hogan wirkt wie ein freundlicher älterer Herr, doch eigentlich ist er so etwas wie ein Polit-Wunder. Acht Jahre lang war er Gouverneur von Maryland, ausgerechnet er, der Republikaner, in einem zutiefst demokratischen Bundesstaat. Eine seltene Spezies, beäugt und bewundert. Hogan gilt als Mann der Mitte und nach der Mitte sehnen sie sich hier. Erst recht in einem Wahlkampf, der die politische Polarisierung in eine neue Dimension gehoben hat.
„Ich habe von meinem Vater gelernt, dass jeder Einzelne einen Unterschied machen kann“, sagt Hogan als er die Bühne betritt. Schon weht ein Hauch von Geschichte durch den Saal. Denn die Anekdote, die der 68-Jährige da erzählt, ist nicht eine dieser abgegriffenen Mein-Vater-hat-mir-beigebracht-Geschichten, die in Wahlkämpfen besonders gerne ausgepackt werden und meist von gesundem Menschenverstand oder Lebensweisheiten früherer Zeiten handeln. Larry Hogan junior ist der Sohn von Lawrence „Larry“ Hogan senior, jenes Mannes, der als erster republikanischer Kongressabgeordneter die Amtsenthebung von Richard Nixon im Zuge der Watergate-Affäre gefordert hatte. Genau 50 Jahre ist der Skandal um den Machtmissbrauch des damaligen US-Präsidenten her. Der Leitspruch jener Tage hallt bis heute nach: Niemand steht über dem Gesetz – noch nicht einmal ein Präsident.
Auch bei den Republikanern gibt es Trump-Gegner
Man muss ein halbes Jahrhundert später nicht viel zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, dass sich in die Bedeutungsschwere von Hogans Worten eine gewisse Hoffnung mischt: Hogan senior ist in die Geschichtsbücher eingegangen, Hogan junior würde ihm nur zu gerne folgen – als der Mann, der den von ihm so verachteten Präsidentschaftskandidaten seiner eigenen Partei, Donald Trump, zu Fall bringt. Als einer der wenigen Republikaner kritisiert er Trump öffentlich, bezeichnet dessen Politik als toxisch. Es ist ein wilder Sommer im politischen Betrieb. „Amerika steht an einer gefährlichen Weggabelung“, warnt Hogan. Jeder im Saal versteht, was er meint. „Im Gegensatz zu vielen Republikanern habe ich nie gezögert und nie aufgrund von Umfragen oder öffentlichen Angriffen oder aus Angst vor politischer Vergeltung einen Rückzieher gemacht, und das werde ich auch nie tun.“ Die Zuhörer danken es ihm mit stehenden Ovationen.
Die Männer und Frauen, die Alten und Jungen, die hier sitzen, sind so etwas wie die letzten Rebellen in den Reihen der Republikaner: Konservativ, aber bekennende, ja glühende Trump-Gegner. Viele sind sogar fest entschlossen, im November ihre Stimme an Trumps demokratische Herausforderin Kamala Harris zu geben. Sie glauben, wenn Trump ein zweites Mal verliert, wird ihn die Partei endgültig fallen lassen. Vier Jahre hätten sie dann Zeit eine neue republikanische Mitte zu formen, wo auch immer die dann liegen mag. Es ist ein Strohhalm. Vielleicht sogar ein besonders dünner. Nicht mehr. Denn nicht nur, dass Trump mit seinem Vize-Kandidaten J.D. Vance längst damit begonnen hat, einen politischen Erben aufzubauen – die Chancen, dass Trump am 5. November als Sieger aus dem Präsidentschaftsrennen hervorgehen wird, sind deutlich größer als viele in Europa so gerne glauben möchten. Die Welle der Begeisterung für Harris ist abgeflacht. Und das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem die ersten Briefwahlunterlagen verschickt wurden.
Ferber: Der Wind in der Handelspolitik wird rauer
Einer, der an diesem Abend im Konferenzsaal in Maryland Platz genommen hat und ganz genau hinhört, wie in den USA diskutiert wird, ist Markus Ferber. Der EU-Parlamentarier und Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung hat gerade eine politische Druckbetankung hinter sich: zweieinhalb Tage Washington, 14 Termine. „Ich muss ehrlich sagen: Nach den Zwischenwahlen vor zwei Jahren war ich der festen Überzeugung, dass das Thema Trump ausgestanden ist – seine Kandidaten sind damals durchgefallen“, sagt er. „Aber jetzt sehen wir, dass es nach wie vor eine große Wählerschaft gibt, die er mobilisieren kann.“ Meinungsforscher sprechen von 40 bis 45 Prozent der Wählerschaft, die Trump bedingungslos folgen. Ferber weiß: Diese Wahl wird ihre Schockwellen in die ganze Welt schicken. Und das womöglich sogar unabhängig davon, wie sie ausgeht. „Der Wind in der Handelspolitik wird rauer werden, darauf müssen sich Deutschland und Europa einrichten“, sagt der CSU-Politiker. „Selbst unter einer Präsidentin Kamala Harris würde es nicht wieder zu einem regelbasierten Handel kommen.“ Die Demokratin ist freundlicher im Ton, doch das Ziel unterscheidet sich kaum von dem von Trump: China gilt als der Rivale, dem Einhalt geboten werden soll.
Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch hat Peking in den vergangenen Jahren massiv aufgeholt. Zu weit, für den Geschmack des Weißen Hauses. Die Sorge, dass sich die Machtzentren verschieben und sich eine neue Weltordnung formt, ist eine treibende Kraft. Genauso wie die Angst, dass das mit der Globalisierung womöglich doch keine so gute Idee war, zumindest aus der Perspektive der amerikanischen Arbeiterschaft heraus betrachtet. Trump überlegt inzwischen laut, einen Mindestzoll von zehn Prozent für Importe aus allen Ländern und für chinesische Einfuhren sogar von 60 Prozent zu erheben. Besonders für deutsche Unternehmen, die in die USA exportieren, wäre das ein schwerer Schlag. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat ausgerechnet: Die Zollerhöhungen könnten die deutsche Wirtschaft voraussichtlich 120 Milliarden Euro kosten - und da ist der Dämpfer, den der Welthandel insgesamt erleiden würde, noch gar nicht eingerechnet. Und dies in Zeiten der wirtschaftlichen Krise. „Wir sehen ja auch, dass China mit seiner subventionierten Überproduktion auch Europa massiv unter Druck setzt“, sagt Ferber. „Wir werden uns deshalb überlegen müssen, wie wir uns stärker diversifizieren können, damit wir die Abhängigkeit von einem einzigen großen Markt reduzieren.“
Sich vor Trump zu fürchten, ist leicht. Fast schon traumatisch sitzen den Europäern die Erlebnisse der ersten Amtszeit in den Knochen. Doch wer Gesprächspartner in den USA fragt, was von Kamala Harris zu erwarten ist, erntet nicht selten ein Schulterzucken. Bewusst unkonkret hält sie ihre Wahlkampagne, bietet damit wenig Angriffsfläche, aber auch wenig, aus dem sich eine politische Vision herauslesen lässt. Vielleicht ist Kamala Harris die derzeit bekannteste Unbekannte, die die Vereinigten Staaten aufzubieten haben. Die Frau, in die jeder das hineinlesen kann, was er will. Es ist Chance und Risiko zugleich für sie. Am Ende könnten die Etiketten hängen bleiben, die Trump ihr aufklebt: Kamala Harris die Linksextreme, Kamala Harris die Kommunistin.
Alles entscheidet sich in den Swing States
Ruy Teixeira sitzt in seinem Büro in der Massachusetts Avenue, es liegt keine Meile vom Weißen Haus entfernt. Teixeira ist nicht nur Politikwissenschaftler und Meinungsforscher am „American Enterprise Institute“, sondern auch ein liberaler Kopf. Wen wählt er am 5. November? Der 72-Jährige verzieht das Gesicht. „Harris“, sagt er und fügt hinzu: „Aber ohne großen Enthusiasmus. Sie ist nicht Trump, sie ist nicht Biden – vielleicht reicht das ja.“ Am Ende könnten einzelne Landkreise in den Swing States die Entscheidung bringen, besonders auf Pennsylvania ruhen die Blicke. 2020 konnte sich hier noch Joe Biden durchsetzen – mit einem Vorsprung von 1,16 Prozent. Diesmal sind die Umfragen noch enger als vor vier Jahren, schon minimale Verschiebungen könnten den Ausschlag geben. Weder bei den Frauen noch bei den Zuwanderern liegt Harris vorn. „Wenn Trump in Pennsylvania gewinnt, ist er der nächste Präsident“, prognostiziert Teixeira. Am Ende werde es die Arbeiterklasse sein, auf die es ankommt. Und die kann mit Harris Schlagworten von Freiheit und Anti-Trump nur bedingt etwas anfangen.
Ihr Blick fällt in den eigenen Geldbeutel und der ist deutlich leerer als noch vor einigen Jahren. So gut die allgemeinen Wirtschaftszahlen der USA sind, so massiv ist die allgemeine Teuerung im Alltag der Amerikaner zu spüren. Benzin, Lebensmittel, alles kostet immer mehr. Die Hoffnung der Demokraten liegt auf Entwicklungen, auf die sie selbst keinen Einfluss haben: Vielleicht sinke ja der Ölpreis weiter, so hört man, und die Stimmung im Land verbessere sich von allein. Läuft es gut an der Tankstelle, läuft es gut für Harris. Der Haken: Trump braucht keine Ölscheichs, dem Unternehmer trauen nicht wenige Amerikaner auch so zu, die Wirtschaft und auch den privaten Konsum wieder in Schwung zu bringen. „Die Wahrheit ist: Trump hat immer noch die Nase vorn“, sagt Teixeira und wagt gleich noch einen weiteren Blick in seine Glaskugel: Gerade, weil das Rennen so eng ist, könne es Wochen dauern, bis das Land ein belastbares Wahlergebnis habe. Auf ungemütliche November-Tage stellen sie sich ein, nicht nur in Washington. Schon jetzt haben sich Heerscharen von Anwälten in den Bundesstaaten in Stellung gebracht – und das auf beiden politischen Seiten. Die Versuchung, den Ausgang anzuzweifeln, ist groß. „Unterschätzen Sie nicht die Verrücktheit der Demokraten, auch sie werden sagen, dass es gar nicht sein könne, dass sie verloren haben“, sagt Teixeira. Eine lange Phase der Unsicherheit könnte bevorstehen und das in aufgeheizten Zeiten – es gab schon einmal bessere Aussichten.
Und was mit Trumps Lügen?
Und was ist mit all den Lügen, den politischen Rüpeleien, den Ausfälligkeiten, die sich Trump seit Jahren leistet? Charles Lane beobachtet die amerikanische Politik seit Jahrzehnten. Der 63-Jährige ist Meinungsredakteur bei der liberalen Washington Post und regelmäßiger Gast im konservativen Fox News Channel. Dass der aktuelle Wahlkampf und das Niveau der Debatte ihn nerven, daraus macht er kein Geheimnis. Lane schimpft und ärgert sich, verpackt seinen Unmut in Zynismus und ertränkt ihn ausgiebig in Kaffee. Nur eines macht er nicht: die Dinge schönreden. „Viele in Europa - und auch in Amerika - finden es unmöglich zu glauben, dass ein so großer Teil des Landes jemanden unterstützen kann, der ständig lügt - neben seinen vielen anderen sehr schlechten Charaktereigenschaften“, sagt Lane. „Es ist ja auch schwer zu erklären, aber wir sollten uns alle daran erinnern, wie oft dem amerikanischen Volk von politischen Führern und vermeintlichen Experten, die nicht Trump hießen, Dinge erzählt wurden, die nicht wahr sind.“
George W. Bush, die CIA und das Pentagon hätten gesagt, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen. „Die Food and Drug Administration, das medizinische Establishment und die Pharmaindustrie versicherten uns, dass bei der routinemäßigen Verschreibung von Opioiden kaum ein Suchtrisiko bestehe“, erinnert Lane. Wall-Street-Firmen, Rating-Agenturen und die Federal Reserve hätten die Finanzkrise von 2008 durch Unwahrheiten mit verursacht. Und das gesamte Establishment, angefangen bei Bill Clinton und Al Gore, habe behauptet, dass ein freierer Handel mit China dazu führen würde, dass sich das Land zu einem liberaleren, regelkonformen Partner auf der Weltbühne entwickeln würde. „Jede dieser Unwahrheiten, ob absichtlich oder nicht, war mit einer Krise oder einem Schock für das amerikanische System verbunden“, sagt der Journalist. Die Öffentlichkeit habe so den Glauben an die Legitimität dieses Systems verloren. Trumps Lügen würden zwar auch nicht geglaubt, aber sie erscheinen im Vergleich fast harmlos. Er behauptet, dass illegale Einwanderer Haustiere essen? So what!
Und jetzt? „In 20 Jahren werden wir auf diese Zeit als eine Periode des Wandels im Weltgeschehen zurückblicken und wir werden anerkennen, dass Donald Trump dabei eine zentrale Rolle gespielt hat“, sagt Charles Lane. „Er ist in vielerlei Hinsicht eine gefährliche und zerstörerische Figur, aber wir müssen anerkennen, dass er auch eine historische Figur ist, die unsere Gesellschaft und die ganze Welt tief geprägt hat.“
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