Nach nicht einmal einer Woche war die Geduld aufgebraucht. Immerhin ein paar Tage lang ist es Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Jens Spahn gelungen, sich zusammenzureißen. Doch mit jedem Tag, an dem die CDU unter Armin Laschet dem Machtverlust entgegentaumelt, wird der Unmut in der Partei größer – und die Frage nach neuen Köpfen dringlicher. Nahezu zeitgleich gingen am Wochenende alle drei möglichen Kandidaten in die Offensive. Das sind die Strategien, mit den sie im zweiten oder sogar dritten Anlauf doch noch an die Parteispitze kommen könnten:
Friedrich Merz inszeniert sich als Mann der CDU-Basis
Der Sauerländer gab sich nie viel Mühe, um zu verbergen, dass er sich selbst für den besten Parteichef hält, den die CDU nie hatte. Jahrzehntelang beschränkte er sich darauf, seine Kränkung darüber, dass er in den 90ern von Angela Merkel auf ein Nebengleis geschoben wurde, ab und zu in Interviews durchklingen zu lassen. Doch seit die Kanzlerin 2018 ihren Rückzug angekündigt hat, macht Merz Dauerwahlkampf in eigener Sache. Er wähnt dabei die „überwältigende Mehrheit“ der CDU-Mitglieder auf seiner Seite und mutmaßt, das „Establishment“ der Partei habe seinen Aufstieg verhindert. Solches Geraune brachte ihm schon mal das Etikett „Sauerland-Trump“ ein.
Doch es ist etwas dran, dass Merz an der Basis mehr Unterstützung hat als in den Gremien oder bei den Delegierten, die ihn nun schon auf zwei Parteitagen durchfallen ließen. Erst verlor Merz gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, dann gegen Armin Laschet. Wie damals, als Angela Merkel ihm seine Grenzen aufzeigte, blieb Merz den endgültigen Beweis dafür schuldig, ein guter Verlierer zu sein. Nun will er womöglich zum dritten Mal einen letzten Anlauf starten.
Dass gerade die Bild seine Ambitionen kolportierte, ist kein Zufall. Das Boulevardblatt spielte schon oft im Team Merz. Nachdem ihn die Delegierten partout nicht zum Chef machen wollten, soll nun die Basis entscheiden. Die Strategie: Der 65-Jährige inszeniert sich als Mann der einfachen Parteimitglieder, der den Eliten den Kampf ansagt. Gegen seine beiden potenziellen Rivalen hat er übrigens schon einmal gewonnen. Jens Spahn landete beim Parteitag im Dezember 2018 hinter ihm auf dem dritten Platz. Genau wie Norbert Röttgen Anfang dieses Jahres.
Jens Spahn verkörpert der Generationswechsel
Im Gegensatz zu Merz verkörpert der Gesundheitsminister mit seinen 41 Jahren schon vom Alter her die Zukunft. Abgesehen davon gibt es durchaus Ähnlichkeiten zwischen den beiden. Auch Spahn betont die konservativen Wurzeln in der Union und echauffiert sich schon mal öffentlich, wenn er in Berlin von einem Kellner auf englisch angesprochen wird. Auch er gehört zu den Merkel-Kritikern und sprach in der Flüchtlingskrise von „Staatsversagen“.
Was viele fast vergessen haben: Die Kanzlerin holte den ebenso ehrgeizigen wie aufmüpfigen jungen Politiker auch deshalb ins Kabinett, um seine regelmäßigen Querschüsse von außen zu unterbinden. Das hat funktioniert – auch weil Spahn in den vergangenen Jahren mit Corona so ausgelastet war, dass keine Zeit für sonstige Profilierung blieb.
Anders als Merz hat er nun Regierungserfahrung vorzuweisen. Als Vorteil könnte es sich zudem erweisen, dass er im Gegensatz zu Merz zumindest eine Runde bei den inzwischen ja regelmäßig stattfindenden Parteichefwahlen ausgesetzt hat. Beim letzten Mal unterstützte er Armin Laschet, hielt sich in der Folge allerdings immer weit genug vom glücklosen Kanzlerkandidaten fern, als dass man ihm nun die Wahlniederlage anlasten könnte. Doch auch das sagt etwas über Spahn. Man schätzt sein Talent in der CDU, traut ihm aber nicht so recht über den Weg.
Rechtzeitig zum neuen Machtkampf bringt er sich nun wieder als strammer Konservativer in Position, spricht über innere Sicherheit und kritisiert, dass seine Partei die Flüchtlingspolitik seit 2015 weitgehend ignoriert habe. „Jeden Tag kommen tausende in die EU, und wenn sie dort sind, sehr oft nach Deutschland. Was auch mit unserem Sozialsystem zu tun hat.“
Die Strategie hinter solchen Aussagen ist klar: Spahn will demonstrieren, dass man nicht Merz wählen muss, wenn man die CDU gerne wieder konservativer hätte. Beide bedienen ein ähnliches Publikum, doch der 24 Jahre jüngere Spahn ist hier im Vorteil: Ihm wird man nicht vorwerfen, er wolle zurück in die 90er Jahre. Anders als Merz, der eine Mitgliederbefragung vorzieht, will er den Neuanfang auf einem Parteitag vollziehen. Spahn weiß, dass ihm die Herzen der Mitglieder nicht gerade zufliegen. „Bekannt bin ich schon, beliebt muss ich erst noch werden“, sagte er vor einigen Jahren einmal selbstironisch.
Norbert Röttgen fordert Inhalte statt leere Slogans
Der frühere Umweltminister verkörpert eine andere CDU als die beiden Kontrahenten – liberaler, inhaltlich und im Stil näher an Angela Merkel. Seine Kandidatur für den Parteivorsitz Anfang des Jahres war die frischeste und brachte ihm, der eigentlich keine großen Truppen in der Union hat, mehr Zuspruch ein als erwartet. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Röttgen wurde nur Dritter hinter Laschet und Merz. Dennoch glaubt er noch immer an seine Chance – und die liegt in den Inhalten.
Der 56-Jährige hat eine hohe Talkshow-Präsenz. Während sich Leute wie Spahn oder Merz dort vor allem durch kernige Aussagen profilieren wollen und Laschet bewiesen hat, dass er für Live-Formate nicht geschaffen ist, geht Röttgen fast immer in die Tiefe. Seine analytische Stärke wird auch über die Parteigrenzen hinaus geschätzt. Kein Wunder also, dass er nun fordert, die CDU müsse „weg von der Schlagwortebene, von Modernisierung und Entfesselung und Ökonomie plus Ökologie“. Das ist auch eine Abrechnung mit Laschet, der diese Schlagworte auf Nachfrage selten mit konkreten Inhalten zu füllen vermochte.
Röttgen wäre auch dieses Mal wieder der Außenseiter. Aber seine Strategie ist nicht automatisch zum Scheitern verurteilt. Seine Botschaft: Während es anderen um sich selbst, um Flügelkämpfe und Eitelkeiten geht, geht es mir um politische Inhalte. Mit einer ähnlichen Ausrichtung hat sich Angela Merkel immerhin 18 Jahre lang an der CDU-Spitze gehalten.