Als die Staats- und Regierungschefs in der vergangenen Woche das Signal der Geschlossenheit sowohl an die Welt als auch in die EU hinein aussenden wollten, scherte einmal wieder der übliche Aus-der-Reihe-Tänzer aus. Ausgerechnet während des EU-Sondergipfels, wo die Staatenlenker eine gemeinsame Linie zum Nahostkonflikt finden wollten, traf der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in Peking den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Der Ärger im Kreis der Gemeinschaft war groß. Doch noch mehr treibt die EU derzeit die Blockade Ungarns bezüglich der weiteren Ukraine-Hilfen um. Orbán will der geplanten Erhöhung des EU-Haushalts erst zustimmen, wenn im Gegenzug eingefrorene EU-Milliarden für Ungarn freigegeben werden. Zeigen seine Erpressungsversuche Wirkung?
Hinter den Kulissen wird gemunkelt, dass die EU-Kommission schon bald jene Gelder an Budapest überweisen will, die derzeit wegen rechtsstaatlicher Defizite in dem Land eingefroren sind. „Sollte die EU-Kommission nun in dieser Situation einen Deal mit Orbán erwägen, würde sie sich selbst auf rechtsstaatliches Glatteis begeben“, warnt der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. Ein solcher Schritt käme „einem Ausverkauf europäischer Werte gleich“, für den die Brüsseler Behördenchefin Ursula von der Leyen „die volle politische Verantwortung“ tragen würde.
"Kuhhandel" mit Orbán? Im EU-Parlament regt sich Widerstand
Insgesamt geht es um mehr als 27 Milliarden Euro, die derzeit wegen Korruption und Rechtsstaatlichkeitsverstößen gesperrt sind. Im Fokus der aktuellen Verhandlungen stehen rund 13 Milliarden Euro an Mitteln, die an die Erfüllung von vier sogenannten Meilensteinen im Zusammenhang mit der Reform des Justizwesens gebunden sind. Hat Orbán geliefert? Umso mehr das Gerücht einer baldigen Einigung zwischen Ungarn und der EU-Kommission die Runde macht, desto lauter wird der Widerstand aus dem EU-Parlament.
Die für das Thema zuständigen Abgeordneten der Fraktionen der Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen haben sich zusammengetan und mithilfe von Rechtswissenschaftlern und Experten eine eigene Bewertung der ungarischen Justizreformen vorgenommen. So will man feststellen, ob die Orbán-Regierung die notwendigen Meilensteine für die Freigabe von EU-Mitteln tatsächlich erfüllt hat. Ihre Antwort klang am Montag eindeutig: Das Geld dürfe nicht fließen. Die Rede war von kosmetischen Korrekturen, von „Kuhhandel“ und politischen Spielchen. „Ungarn hat auf dem Papier Reformen beschlossen, in der Praxis arbeitet das Land weiter an der Zersetzung des Rechtsstaats“, sagte der FDP-Europaparlamentarier Moritz Körner. Auch Daniel Freund sieht die Bedingungen für eine Freigabe der EU-Gelder nicht erfüllt. „Orbán hat den Rechtsstaat in den vergangenen zehn Jahren systematisch kaputt gemacht, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass er ihn reparieren möchte“, so der Grüne.
Hat Ungarn die Bedingungen aus Brüssel wirklich erfüllt?
In Budapest verweist man dagegen auf jüngste Reformen. Zu ihnen gehört unter anderem, dass das ungarische Parlament eine Gesetzesänderung verabschiedete, die die Eigenständigkeit der Justiz stärken soll, indem sie dem unabhängigen Nationalen Justizrat die meisten Befugnisse zurückgibt. Diese waren zuvor der von der Regierung unterstützten Nationalen Justizbehörde übertragen worden. Es handelte sich um eine der Reformen der Fidesz-Regierung, die bei der EU Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit ausgelöst hatte.
„Als reinstes Minimum sollte die Kommission die Ergebnisse abwarten“, forderte deshalb der Grünen-Politiker Freund. Diese würden sichtbar machen, ob der Justizrat künftig tatsächlich als „unabhängige Stelle“ seine Aufgaben wahrnehmen könne – oder „eine politische Marionette“ sei.