Die SPD-Spitze will an diesem Montag ein Aufbruchssignal in die Bevölkerung und die eigene Partei senden: Um halb zwei Uhr nachmittags will das Parteiführungsduo Saskia Esken und Lars Klingbeil mit Kanzler Olaf Scholz im Willy-Brandt-Haus vor die Presse treten und das Ergebnis ihrer Vorstandssitzung verkünden: Scholz soll als Kanzlerkandidat die SPD in die vorgezogene Wahlschlacht führen. Aller Voraussicht nach wird ihn der Vorstand offen und nicht etwa in geheimer Abstimmung nominieren. Zu groß dürfte den versammelten Parteiprofis das Risiko sein, dass ein paar Nein-Stimmen auch noch die Stimmung an diesem Tag trüben.
Jusos blaffen Parteispitze an: „Shit-Show“ und „fucking Job“
Doch auch am Wochenende war der SPD quälende Selbstbeschäftigung angesagt. Teile der Parteispitze rückten beim lange zuvor terminierten Bundeskongress der Jusos in Halle an und mussten sich vom Parteinachwuchs rhetorisch abwatschen lassen. „Was war das eigentlich für eine Shit-Show in den letzten Wochen?“, formulierte es Juso-Chef Philipp Türmer. Ihn plagen gar Existenzsorgen für die Mutterpartei: „Hier sitzen 500 Jusos, die wollen, dass es auch in Zukunft noch eine starke Sozialdemokratie gibt.“
Von Aufbruch schien die Stimmung dort sehr weit entfernt. „Wir werden keinen Wahlkampf machen, dass es so weitergeht wie bisher“, drohte ein Delegierter. „Statt Klarheit gab es Chaos“, sagte eine andere junge Jungsozialistin unter großem Applaus. Und eine Delegierte blaffte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch nach dessen Appell zur Geschlossenheit angesichts der tagelangen Kanzlerkandidatendebatte an: „Warum wart ihr so unvorbereitet auf diese Debatte? Es ist euer fucking Job, Dynamiken in dieser Partei zu erkennen und dann tatsächlich auch Angebote zu machen.“
Der Kanzler machte seinen wütenden jungen Genossinnen und Genossen erst gar nicht erst die Aufwartung, obwohl diese als engagierte Plakatkleber eigentlich zur Wahlkampfbasis zählen. Stattdessen musste sich Parteichefin Esken vor den Jusos in Selbstkritik üben: „Nein, wir haben kein wirkliches gutes Bild abgegeben bei der Nominierung unseres Kanzlerkandidaten.“
Später gab sich Esken vor Journalisten optimistisch: „Wir gehen aus dieser Debatte nicht beschädigt, sondern auch gestärkt hervor, weil wir eben große Einigkeit jetzt erzielt haben“, sagte sie. „So eine geschlossene Partei, die sich jetzt auch hinter dem Spitzenpersonal versammelt und gemeinsam losläuft, ist die Stärke der SPD. So werden wir die Wahl gewinnen.“
Doch in den Umfragen ist für die Noch-Kanzlerpartei kein Genosse Trend am Horizont zu erkennen. Im Gegenteil. Seit dem erklärten Verzicht des beim Wahlvolk außerordentlich beliebten SPD-Verteidigungsministers Boris Pistorius ging es für die Partei erstmal richtig bergab: Wie schon das für die ARD aktive Umfrage-Institut Infratest Dimap taxieren auch die Meinungsforscher von Insa im Auftrag der Bild am Sonntag die Sozialdemokraten gegenwärtig auf nur noch 14 Prozent. Das ist nur einen Punkt vom historischen Negativwerten der Kanzlerpartei in Ampelzeiten entfernt. Die Stimmung für die SPD ist im Umfragekeller.
Mit Sorge dürften sich die Parteistrategen an die Europawahl vor fünf Monaten erinnern: Damals schnitt die SPD mit mageren 13,9 Prozent am unteren Rand der Prognosen der Meinungsforscher ab. Und nicht nur das: Auch im Juni setzte die SPD, obwohl es um das Europaparlament ging, im Plakatwahlkampf voll auf Scholz.
„Klarer Kurs in stürmischen Zeiten“, auf den „Kanzler kommt es an“, „Wir sichern Frieden und Arbeitsplätze“: Die damaligen Wahlslogans spiegelten exakt die gleichen Themen, die Parteichef Klingbeil als Strategie für den Bundestagswahlkampf angekündigt hat. Auch die Werbeagentur der SPD heißt wieder Brinkertlück. Sie kreierte einst den erfolgreichen Bundestagswahlkampf 2021 mit der „Respekt“-Kampagne
Meinungsforscher warnt SPD vor „Katastrophe für die Partei“
Kann der Kanzler als erfahrener Wahlkämpfer den Trend in der Zustimmung der Bevölkerung noch einmal drehen? „Ich glaube nicht, dass Olaf Scholz das gelingen kann“, sagte der Chef des Umfrageinstituts Forsa, Manfred Güllner in einem Interview mit Focus online. „Dafür sind seine Werte zu schlecht und die Unzufriedenheit mit der Regierungszeit der Ampel, für die er Verantwortung trägt, ist zu groß“, erklärte Güllner. „Ich glaube nicht, dass die Kandidatur von Scholz etwas an seiner Unbeliebtheit ändern wird.“
Güllner rechnet damit, dass die Absage von Pistorius der Partei noch mehr schaden wird: „Bei Anhängern der Sozialdemokraten wird es Frust wegen der Scholz-Kandidatur geben, weshalb sich manche abwenden dürften. Die SPD könnte dann sogar auf den vierten Platz hinter Union, AfD und Grüne abrutschen – eine Katastrophe für die Partei.“ (mit dpa)
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