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Ukrainischer Botschafter: Andrij Melnyks merkwürdiger Abgang

Ukrainischer Botschafter

Andrij Melnyks merkwürdiger Abgang

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    Ob bei Parteiveranstaltungen oder Talkshows: Andrij Melnyk war in den vergangenen Monaten der bekannteste und lauteste ausländische Diplomat in Berlin.
    Ob bei Parteiveranstaltungen oder Talkshows: Andrij Melnyk war in den vergangenen Monaten der bekannteste und lauteste ausländische Diplomat in Berlin. Foto: M. Popow, Imago

    Diplomaten brauchen viel Fingerspitzengefühl, müssen sich für ihre Heimat auch mal verbiegen und sich allzu offene Worte zugunsten eines Hauchs von nichtssagenden Worthülsen verkneifen. Auch Andrij Melnyk beherrscht die Kunst der Diplomatie perfekt, sonst hätte er niemals einen der wichtigsten Botschafterposten der Ukraine bekommen. Doch davon ließ er sich in den vergangenen Monaten immer weniger anmerken: Der „Undiplomat“ – so lauten zahllose Porträttitel über den streitbaren Ukrainer aus Lemberg.

    Seit 15 Jahren lebt und arbeitet Melnyk mit kurzer Unterbrechung in Deutschland, erst als Generalkonsul in Hamburg, dann nach einer Station in Kiew ab 2015 als Botschafter in Berlin. Seit dem Wochenende ist Schluss: Präsident Wolodymyr Selenskyj entließ ihn mit einem sechszeiligen Dekret am Samstag. Auch Melnyks Kollegen in Norwegen, Tschechien, Ungarn und Indien müssen ihre Posten abgeben. Selenskyj sprach von einem normalen Vorgang. „Diese Frage der Rotation ist ein üblicher Teil der diplomatischen Praxis“, sagte der Präsident, ohne einen der Botschafter namentlich zu nennen.

    Umstrittene Äußerungen von Botschafter Melnyk auch in Ukraine Thema

    Über Melnyks Ablösung wurde seit Tagen spekuliert. Es hieß, der Botschafter könnte zum stellvertretenden Außenminister aufsteigen. Davon war in Kiew zunächst keine Rede. Ukrainische Medien spekulierten, Selenskyj habe Melnyk wegen dessen umstrittenen Äußerungen gefeuert, andere verwiesen auf dessen ohnehin schon ungewöhnlich lange Amtszeit.

    Auch in der Ukraine wurde Notiz davon genommen, dass Melnyks Wortwahl immer drastischer wurde. Etwa als er zuletzt deutsche Prominente um den Philosophen Richard David Precht und den Fernsehmoderator Ranga Yogeshwar wegen deren Appell zu einem „Waffenstillstand jetzt!“ angriff, sie sollten „endlich mit euren defätistischen ‚Ratschlägen‘ zur Hölle fahren“. Dagegen wirkte es fast harmlos, dass er zuvor den deutschen Bundeskanzler als „beleidigte Leberwurst“ titulierte, als Olaf Scholz wegen der Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zunächst nicht nach Kiew reisen wollte.

    Nationalist Bandera wird in der Ukraine verehrt

    Unklar ist, ob Melnyks jüngster diplomatischer Eklat mit Polen und Israel eine entscheidende Rolle gespielt haben könnte. Melnyk verteidigte in der Internet-Interview-Reihe „Jung & Naiv“ den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera, der in der Ukraine als antisowjetischer Held und Freiheitskämpfer mit zahlreichen Denkmälern verehrt wird. Bandera wurde von den Nazis im KZ Sachsenhausen interniert, gleichwohl galten seine Anhänger als Kollaborateure der Deutschen beim Holocaust in der Ukraine und den Morden an Polen.

    Bandera galt als Antisemit und Anhänger des Faschismus. Doch seit den Maidan-Protesten wird seine Organisation als Wegbereiter der Unabhängigkeit der Ukraine gefeiert. Das ukrainische Außenministerium hatte sich von Melnyks Aussagen über Bandera vorsichtig distanziert.

    Grüne und Union loben Melnyks Einsatz

    In Berlin würdigen trotz des vielen Wirbels parteiübergreifend Politiker Melnyk. „Er ist eine unüberhörbare und unermüdliche Stimme für eine freie Ukraine“, sagt Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. „Was die Person Bandera betrifft, sind wir uns nicht einig“, fügt die Grüne hinzu. „Unabhängig davon wünsche ich ihm alles Beste für ihn persönlich, für seinen künftigen Dienst und vor allem für sein Land.“

    Auch der Union-Außenexperte Roderich Kiesewetter bescheinigt dem Diplomaten große Verdienste. „Botschafter Melnyk hat in dieser schwierigen Zeit für sein Volk gekämpft“, sagt der CDU-Politiker. Lange vor dem Krieg habe Melnyk auf die russische Bedrohung hingewiesen und um Unterstützung geworben. „Dass er hier nicht immer den diplomatischen Ton traf, ist, angesichts der unfassbaren Kriegsverbrechen und des Leids für das ukrainische Volk, mehr als verständlich.“

    Für Melnyks Abberufung könnte es auch andere Gründe geben

    Kiesewetter glaubt nicht, dass dies der Grund für Selenskyjs Entscheidung ist. „Die Abberufung von Botschafter Melnyk ist aus meiner Sicht ein normaler Vorgang, zumal der Botschafter außergewöhnlich lange in Deutschland war, fast acht statt normal vier Jahre.“ Beim Blick auf die Geschichte werde die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine vielfach nicht erfasst, betont der CDU-Politiker. „Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg Verbrechen und Leid über das Land gebracht, hierzulande wird jedoch meist über eine besondere Beziehung zu Russland gesprochen“, sagt Kiesewetter.

    Dies verkenne, dass die Ukraine, wie auch viele osteuropäische und nordeuropäische Länder in der Geschichte, Russland wie auch Deutschland als imperiale Mächte erlebt hätten. „Gerade deshalb ruft das zögerliche Verhalten Deutschlands für viele Länder ein Misstrauen hervor“, mahnt Kiesewetter. „Botschafter Melnyk hat hier den Finger zu Recht in die Wunde gelegt. Gerade Deutschland sollte aus einer historischen Verantwortung heraus deutlich entschiedener und entschlossener die Ukraine unterstützen.“

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