Recep Tayyip Erdogan hat seine Worte mit Bedacht gewählt. Mit voller Kraft und ohne Unterlass arbeite er für den Erfolg seiner Partei AKP bei den Kommunalwahlen am 31. März, sagte der türkische Präsident in Istanbul. „Denn für mich ist dies das Finale“, fügte er hinzu. „Im Rahmen der Gesetze sind diese Wahlen meine letzten.“ Der 70-jährige Staatschef machte damit Schlagzeilen – auf die kam es ihm offenbar an. Erdogan denkt dabei weniger an seinen Ruhestand als an Wahltaktik, an sein Ziel einer neuen Verfassung und an eine Zementierung seiner Politik für die Zukunft.
Erdogan will bei den Kommunalwahlen in drei Wochen die Niederlage seiner AKP bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren wettmachen. Im Mittelpunkt steht die Metropole Istanbul mit ihren 16 Millionen Einwohnern, die 2019 an die Opposition fiel. Sollte der seit fünf Jahren regierende Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu am 31. März sein Amt verteidigen, stünde er als Oppositionsführer und Hauptgegner von Erdogan fest. Die meisten Umfragen sagen einen knappen Ausgang des Rennens zwischen Imamoglu und dem AKP-Bürgermeisterkandidaten Murat Kurum voraus.
Erdogan will die Wählerschaft in Istanbul motivieren
Erdogan, der bei den Wählern wesentlich beliebter ist als Kurum oder die AKP, will sich in der Endphase des Wahlkampfes ganz auf Istanbul konzentrieren. Mit seiner Äußerung über das „Finale“ macht der Präsident nun die Wahlen zur Volksabstimmung über sich selbst – in der Hoffnung, dass ihm die Türken folgen. Indem er öffentlich über seine „letzte Wahl“ spreche, wolle Erdogan die AKP-Basis motivieren, sagt Hüseyin Cicek, Türkei-Experte an der Universität Wien. „In erster Linie denke ich, dass Erdogan durch Auslösung von Emotionen unentschlossene und möglicherweise wahlmüde AKP-Wähler und andere Wähler mobilisieren will“, sagte Cicek unserer Redaktion.
Dass der Präsident nach dem 31. März in Rente geht, erwartet jedenfalls niemand. Die Oppositionszeitung Cumhuriyet erinnerte ihre Leser daran, dass Erdogan in den letzten 15 Jahren bei vier verschiedenen Wahlen gesagt habe, er trete zum letzten Mal an. Der Kolumnist Mehmet Yilmaz kommentierte auf der Nachrichtenplattform T24, es liege nicht in Erdogans Natur, sich zurückzuziehen. Imamoglu sagte, Erdogan wolle sich in den Mittelpunkt des Kommunalwahlkampfes stellen, obwohl er am 31. März nicht auf dem Wahlzettel stehe. „Ich weiß gar nicht mehr so richtig, wer jetzt mein Gegner ist“, spottete der Istanbuler Bürgermeister.
Nur zwei Amtszeiten als Präsident sind erlaubt
Erdogan hat aber mehr im Blick als die Kommunalwahlen. Bewusst verwies er auf die bestehenden Gesetze, die dem Präsidenten höchstens zwei Amtszeiten erlauben. Eine Mehrheit für eine Verfassungsänderung, um Erdogan eine dritte Amtszeit zu ermöglichen, sei nicht in Sicht, meint Howard Eissenstat von der Universität St. Lawrence in den USA. Mit dem lauten Nachdenken über das „Finale“ hat Erdogan eine Debatte über dieses Thema angestoßen. „Seine Äußerungen waren keine reine Taktik“, sagte Eissenstat.
Bekir Bozdag, Vizepräsident des türkischen Parlamentes und treuer Erdogan-Gefolgsmann, hat das Signal seines Chefs verstanden. Es gebe für Erdogan eine Möglichkeit, ohne Verfassungsänderung im Amt zu bleiben, schrieb Bozdag auf der Plattform X, früher Twitter. Er verwies darauf, dass Parlament und Präsident in der Türkei stets zugleich gewählt werden. Verfassungsartikel 116 bietet Erdogan eine Hintertür, wie Bozdag erläuterte: Wenn das Parlament in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten vorgezogene Neuwahlen ausruft und damit die Neuwahl des Präsidenten erzwingt, gilt die Obergrenze von zwei Amtszeiten für den Staatschef nicht. „Wer weiß, was morgen sein wird“, schrieb Bozdag.
Wer könnte Nachfolger von Erdogan werden?
Allerdings wären für eine Neuwahl-Entscheidung mindestens 360 Stimmen im Parlament erforderlich; die AKP und ihre Verbündeten in der Volksvertretung kommen zusammen auf nicht einmal 330 Sitze. Kolumnist Yilmaz von T24 erwartet, dass Erdogan und die AKP bald damit beginnen werden, Abgeordnete der Opposition abzuwerben, um auf die erforderliche Stimmenzahl zu kommen.
Der Präsident denkt unterdessen auch über Wege nach, die Macht in den kommenden Jahren an einen Vertrauten zu übergeben, wenn er seine Amtszeit nicht verlängern kann. Fachleute halten Erdogans Schwiegersohn, den Drohnenfabrikanten Selcuk Bayraktar, für den aussichtsreichsten Nachfolgekandidaten. Die Vorliebe des Präsidenten für den 44-jährigen Bayraktar sei offensichtlich, sagte Eissenstat. „Ob er den angestrebten Übergang an die nächste Generation hinbekommt, steht auf einem anderen Blatt.“