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Thüringen: Kommende Landtagswahl in Thüringen: im Schatten der Wartburg

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Kommende Landtagswahl in Thüringen: im Schatten der Wartburg

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    Fast 300.000 Touristen haben sich vergangenes Jahr zur Wartburg aufgemacht, zu deren Füßen Eisenach liegt. Doch statt mit Martin Luther, der in ihr die Bibel übersetzte, wird mit der Stadt inzwischen auch anderes verbunden: ein „Nazi-Problem“.
    Fast 300.000 Touristen haben sich vergangenes Jahr zur Wartburg aufgemacht, zu deren Füßen Eisenach liegt. Doch statt mit Martin Luther, der in ihr die Bibel übersetzte, wird mit der Stadt inzwischen auch anderes verbunden: ein „Nazi-Problem“. Foto: Martin Schutt, dpa

    Eisenach ist, wenn ein Mitarbeiter des Bach-Hauses drei japanische Musik-Studentinnen in ihrer Muttersprache begrüßt. Eisenach ist, wenn der örtliche NPD-Chef im Knast sitzt und gegen die örtliche Neonazi-Kampfsportgruppe ein bundesweit beachteter Prozess läuft. Über allem die hohe Luft der Kultur und die Größe der Geschichte. Luther natürlich und Bach, Telemann, Goethe auch. Die Heilige Elisabeth speiste vor 800 Jahren die Armen und vollbrachte das sogenannte Rosenwunder. Ach ja, und die SPD wurde hier auch noch gegründet im Gasthaus Goldener Löwe.

    Dazwischen das normale Leben im Tal unterhalb der bewaldeten Hügel, was am Fuße der Wartburg ins Politische übersetzt heißt: Die Oberbürgermeisterin ist zur neuen Wagenknecht-Partei gewechselt und nicht nur die AfD sitzt im Stadtrat, sondern auch die NPD, die sich jetzt „Die Heimat“ nennt. Thüringen ist die köchelnde, dampfende Hexenküche des politischen Systems und die Wartburgstadt ist keine Ausnahme: Keiner weiß, was bei den anstehenden Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen herauskommt. AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke jedenfalls will in Thüringen Ministerpräsident werden – und die Schockwellen, die durch die Republik rasen würden, wären gewaltig, sollte er sein Ziel erreichen.

    Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf: 31 Jahre lang machte sie Politik für die Linke, seit Mitte März ist sie Ko-Chefin des Thüringer Landesverbands von Sahra Wagenknechts neuer Partei BSW.
    Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf: 31 Jahre lang machte sie Politik für die Linke, seit Mitte März ist sie Ko-Chefin des Thüringer Landesverbands von Sahra Wagenknechts neuer Partei BSW. Foto: Christian Grimm

    Dass die Unberechenbarkeit in Thüringen derart groß ist, hat auch mit Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf zu tun. 31 Jahre hat sie Politik für die Linke gemacht, seit Mitte März ist sie Ko-Chefin des Thüringer Landesverbands von Sahra Wagenknechts neuer Partei BSW. Die ist noch eine Kraft mehr im unübersichtlich gewordenen Gefüge der Macht. Sie bietet eine in Deutschland bislang unbekannte Mischung aus linken Positionen (Ausbau des Sozialstaats, hohe Steuern für Reiche, Friedenspolitik) und konservativen Überzeugungen (Zuwanderung begrenzen, maßvolle Klimapolitik). Katja Wolf soll das Bündnis Sahra Wagenknecht im Herbst in den Landtag führen.

    Sie empfängt an einem großen runden Tisch in ihrem Büro im alten Rathaus im Renaissance-Stil, das am Markt liegt. Der Frühling hat Einzug gehalten in der Stadt, Bäume und Büsche blühen. Die alten Mauern leuchten in der Sonne. Doch Wolf wird Eisenach verlassen, nach zwölf Jahren als Oberbürgermeisterin. Ende Mai wählen die Eisenacher einen Nachfolger. Die 48-Jährige tritt nicht wieder an, obwohl sie gute Chancen auf eine dritte Amtszeit gehabt hätte.

    Im Eisenacher Stadtparlament wird ruhig und sachlich Politik gemacht

    Ihr Blick ist offen, ihre Sprache auch. „Es wäre für mich richtig gewesen, noch mal Oberbürgermeisterin zu sein“, erzählt sie. „Aber will ich das unter einem AfD-Ministerpräsidenten? Nein, will ich nicht, und ich bin davon überzeugt, dass wir eine politische Alternative bieten müssen.“ Der Abschied von der Linken fiel ihr schwer, aber selbst das Angebot eines Ministerpostens im Kabinett des hart um die Verteidigung seiner Macht kämpfenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, ihr einstiger Parteifreund, konnte sie nicht halten. „Richtig finster“ sei es ihr vier Wochen lang gegangen wegen der Gewissensbisse und der Ahnung davon, welche Plackerei der Aufbau einer Partei ist. Und nein, Wagenknecht persönlich – selbst Jahrzehnte in der Linkspartei – habe nicht angerufen. „Es waren Freunde, die mich recht verzweifelt angesprochen haben, mit der Frage, wir müssen doch etwas machen in diesem Land“, erklärt Wolf. Nachts um eins vor der Verkündung des Wechsels habe sie die SMS mit dem Daumen hoch geschickt. "Okay, ich bin dabei." Die von ihr zurückgelassenen Genossen von der Linken nehmen ihr die Geschichte der quälend-langen Entscheidung nicht ab, die Kampagne für die Oberbürgermeisterwahl war bereits entworfen, Wolf hatte zuvor einen Wechsel ausgeschlossen.

    Es ist diese eine Lektion, die sie aus ihrer Zeit als Chefin des Rathauses mitnehmen will: Wie im Stadtrat sollen alle demokratischen Parteien von linksaußen bis konservativ zusammenarbeiten und die Probleme der Menschen lösen. „Die Eisenacher haben eine tiefe Sehnsucht danach. Wir zeigen in den Kommunen, dass es funktioniert, und damit will ich parteipolitische Unterschiede nicht wegreden“, sagt Wolf. Die Unterschiede würden aber im Landtag und im Bundestag oft wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Das etablierte Spiel, dass Regierung und Opposition ihre Rollen geben und deshalb automatisch die Vorschläge aus dem jeweils anderen Lager als doof und weltfremd ablehnen, frustriere die Leute. So sieht sie es.

    Ein paar Stunden später tritt das Eisenacher Stadtparlament am späten Nachmittag zusammen. Es ist der Anschauungsunterricht für Wolfs Vorstellung, wie Politik laufen kann. In einem weiten Saal prunken die Kronleuchter, an der Decke Stuck in Rosenform, vielleicht eine Reminiszenz an die Heilige Elisabeth. Viele Stadträtinnen und Stadträte haben Laptops vor sich aufgestellt. Eine Handvoll Bürger ist gekommen, um den Diskussionen zu folgen.

    Beschlüsse mit AfD und NPD durchzubringen, ist in Eisenach Normalität

    Katja Wolf führt fünf Minuten routiniert ein, es ist laut Kalender ihre vorletzte reguläre Sitzung. Es geht um befristete Stellen für das Klimamanagement der Stadt, eine Ausstellung im sanierten Marstall des Schlosses, Glasfaserleitungen und einen Festempfang in einem Ortsteil. Die SPD stellt einen Antrag, wonach das schöne deutsche Wort „Kindergarten“ verwendet werden soll statt der allerorts gebräuchlichen Abkürzung „Kita“. Eine Stadträtin der FDP piesackt die Oberbürgermeisterin ein wenig mit spitzen Fragen. Früher waren sie Verbündete, aber dann wurde es nichts mit dem versprochenen Beigeordneten-Posten für die Liberale. Ein Antrag auf ein Lärmschutzgutachten wird einstimmig in den Fachausschuss verwiesen. Ruhig, sachlich und ohne die Schaukämpfe für die Galerie tagt der Stadtrat.

    Martin Luther als Junker Jörg in Eisenach.
    Martin Luther als Junker Jörg in Eisenach. Foto: Christian Grimm

    Diese Einstimmigkeit wäre in anderen Städten in Deutschland ein Politikum. Denn in vielen Fällen stimmen die Fraktionen von AfD und NPD mit den anderen Parteien. In Eisenach sitzen weit-rechts und ultra-rechts im Stadtrat. Zusammen verfügen sie über acht der 37 Mandate. Eine Brandmauer, über die auf Bundes- und Landesebene heftige Debatten geführt werden, gibt es hier nicht. Wenn Beschlüsse mit der AfD und NPD durchgebracht werden, ist das in Eisenach Normalität. „Da gibt’s kein Schamgefühl mehr, und es wird vorher nicht gerechnet, ob es eine demokratische Mehrheit gibt“, sagt die Oberbürgermeisterin. Sie wünscht sich, es wäre anders, aber das ist vorbei. „Man hat nicht die Kraft, das immer zu bekämpfen.“

    Es ist ganz und gar nicht so, dass Wolf die Normalisierung der Rechten im Landtag haben will. Wegen der Stärke der AfD in den Umfragen sind wahrscheinlich die anderen Parteien dazu verdammt, über die Weltbilder hinweg zu koalieren und zu kooperieren, um Höcke von der Macht fernzuhalten. Sahra Wagenknecht kann sich vorstellen, dass ihre neue Formation aus dem Stand an Landesregierungen beteiligt wird. Vielleicht wird Katja Wolf Ministerin, nur eben nicht mehr für die Linke.

    Die Innenstadt in Eisenach ist saniert und ein Träumchen deutscher Geschichte

    In Eisenach gehört die NPD seit 2009 dem Stadtparlament an, die AfD seit 2019. Beide Fraktionen, so sagen es unisono die Ratsleute der anderen Parteien, machten keine aktive Arbeit. Während der Sitzung gibt es keinen einzigen Redebeitrag aus den Reihen von AfD und NPD. „Wir äußern uns nur, wenn wir es für nötig halten. Wir müssen uns nicht unnötig zu Dingen einlassen“, erklärt die AfD-Fraktionsvorsitzende Susi Schreiber die Passivität.

    Vergangenes Jahr ist das noch anders gewesen, zumindest was die NDP angeht. Ihr Chef Patrick Wieschke versuchte, mit Anfragen die Stadtspitze vor sich herzutreiben. Wieschke ist einer der aktivsten Neonazis Deutschlands, selbst seine politischen Gegner geben zu, dass er politisches Talent besitzt. Im Dezember ließ ihn der Generalbundesanwalt verhaften. Ihm wird vorgeworfen, die rechtsextreme Kampfsportgruppe Knockout 51 in der NDP-Zentrale in Eisenach trainieren zu lassen, die dort ein Waffenlager angelegt haben soll. Den rechtsextremen Kämpfern wird derzeit in Jena der Prozess wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemacht. Trotz mehrfacher Vorstrafen ist es Wieschke immer gelungen, dass die NPD in Eisenach eine politische Kraft bleibt, während sie anderswo massiv an Bedeutung eingebüßt hat.

    Die Innenstadt ist saniert und Touristen bringen Geld nach Eisenach. Hier: der Marktplatz mit güldenem Stadtpatron St. Georg.
    Die Innenstadt ist saniert und Touristen bringen Geld nach Eisenach. Hier: der Marktplatz mit güldenem Stadtpatron St. Georg. Foto: Christian Grimm

    Auch in dieser schönen ostdeutschen Stadt drängt sich die Frage nach dem Warum auf. Es ist die ostdeutsche Frage schlechthin. Wie so oft zwischen Thüringer Wald und Rügen ist die Innenstadt saniert und ein Träumchen deutscher Geschichte. Die Arbeitslosigkeit liegt bei unter fünf Prozent. Im Opel-Werk ruckelt es, aber in und um die Stadt herum gibt es viel Industrie. Fast 300.000 Touristen haben sich vergangenes Jahr hoch zur Wartburg aufgemacht. Hinter deren dicken Mauern übersetzte Luther einst die Bibel und warf mit einem Tintenfass nach dem Teufel. Die Gäste bringen Geld in die Stadt, in der Innenstadt stehen weniger Läden leer als anderswo. Warum also die NPD, die AfD? Warum dieser spürbare Unmut?

    Die Eisenacherin Juliane Stückrad ist eine ostdeutsche Seelendeuterin. Die Ethnologin führt den Frust und die Verdrossenheit auf eine Unmutskultur zurück, so hat sie es in einem Buch aufgeschrieben. Sie würde von ihrer Heimat lieber von der Mitte Deutschlands sprechen, was geografisch stimmt. „Sonst kommt wieder der Stempel Eisenach-Ostdeutschland-AfD“, sagt sie. Ihre Theorie für den Unmut geht so: Im Revolutionsjahr 89 haben die Ostdeutschen das SED-Regime gestürzt und den Mantel der Geschichte ergriffen. Für einen kurzen Moment konnten sie sich unheimlich wirkmächtig fühlen. Die Euphorie wurde aber jäh vom Wende-Kater abgelöst, es folgten die desaströsen 90er-Jahre mit dem Niedergang der ostdeutschen Industrie, Massenarbeitslosigkeit, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und dem Wegzug der Jungen in den Westen.

    Rechte Politik ist ohne Frage stark, aber hat keine kulturelle Hoheit

    Man durfte zwar jetzt alles sagen, doch es änderte nichts mehr. Die eigene Ohnmacht hat sich tief eingebrannt und ist teilweise an die nächste Generation weitergegeben worden, die die DDR nur aus Erzählungen kennt. Stückrad sitzt für die SPD im Stadtrat, ist Vorsitzende des Eisenacher Theatervereins. Sie reibt sich manchmal auf. „Ich habe Federn gelassen“, sagt sie über sich selbst bei einer Tasse Kaffee im Bahnhof. Zur Arbeit pendelt sie in die Nähe von Erfurt. Über Eisenach sagt sie: „Die Stadt hat eine unglaubliche kulturelle Aufladung. Das ist eine große Ressource. Und wir haben eine aktive Zivilgesellschaft.“ Die Braunen sind ohne Frage stark, aber sie haben keine kulturelle Hoheit. Künstler, Kirchen, Gewerkschaften, die Polizei, die demokratischen Parteien, der Handball-Erstligist stellen sich gegen sie.

    Stadtführer Frank Rothe sagt: "Wir haben ein Nazi-Problem, aber wir sind keine Nazi-Stadt."
    Stadtführer Frank Rothe sagt: "Wir haben ein Nazi-Problem, aber wir sind keine Nazi-Stadt." Foto: Christian Grimm

    Stadtführer Frank Rothe fasst es so zusammen: „Wir haben ein Nazi-Problem, aber wir sind keine Nazi-Stadt. Als Linker muss man dennoch ein bisschen aufpassen.“ Rothe kümmert sich in Eisenach um die Stolpersteine, die an die unter der Nazi-Herrschaft ermordeten oder aus dem Land getriebenen Juden erinnern. 136 sind es seiner Zählung nach. Rothe hofft, dass sich durch die Enthüllungen über die Gedankenspiele von AfD-Politikern und Rechtsextremen zur massenhaften Ausweisung von Menschen mit Migrationshintergrund mehr Eisenacher überlegen, wo sie bei den Wahlen ihr Kreuz setzen. Der 42-Jährige tritt auf der Liste der Linken bei der Stadtratswahl an, der früheren Partei von Noch-Oberbürgermeisterin Wolf. Mit dem in Haft sitzenden NPD-Anführer Wieschke war er in der Schule. In Thüringen ist politisch alles möglich.

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