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Sterbehilfe in der Schweiz: „Es darf keine Suizidkultur geben“

Sterbehilfe in der Schweiz

„Es darf keine Suizidkultur geben“

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    Eine „Selbstmordkapsel“, bekannt als „The Sarco“. Eine Person kann sich hineinlegen und durch Knopfdruck die Zuleitung von Stickstoff auslösen. Sie erstickt daran.
    Eine „Selbstmordkapsel“, bekannt als „The Sarco“. Eine Person kann sich hineinlegen und durch Knopfdruck die Zuleitung von Stickstoff auslösen. Sie erstickt daran. Foto: Ahmad Seir, dpa

    Sie zeigt Wirkung, die liberale Regelung der Schweiz zum begleiteten Suizid: In wohl keinem anderen Land Europas nehmen sich pro Kopf der Bevölkerung so viele Menschen im Beisein von Helfern das Leben: Allein die Zahl der völlig legalen Freitodbegleitungen der größten Sterbehilfeorganisation, Exit, stieg von unter 400 im Jahr 2012 auf 1.252 im Jahr 2023. „Heute machen assistierte Suizide rund zwei Prozent aller Todesfälle in der Schweiz aus“, sagt die Exit-Präsidentin Marion Schafroth unserer Redaktion. „Wir erwarten auch in den kommenden Jahren steigende Zahlen und gehen von einer weiteren Zunahme bis gegen fünf Prozent aller Todesfälle aus.“ Exit und andere Helfer haben den Freitod in Helvetiens Gesellschaft enttabuisiert – vor allem schwerkranke und gebrechliche Menschen sehen im assistierten Suizid die Lösung für ihre Leiden.

    Doch dieses Jahr drängte sich eine neue Organisation in den Vordergrund: The Last Resort. Sie bot eine gänzlich neue Form des Suizids an: Den Tod in einer futuristisch anmutenden Kapsel mit dem Namen „Sarco“, eine Abkürzung für Sarkophag. Der Erfinder des Apparates, der Australier Philip Nitschke, soll sein Konstrukt sogar als den „Tesla der Sterbehilfe“ angepriesen haben. Jetzt könnte die Kapsel das seit Jahrzehnten bestehende System des assistierten Suizids der Schweiz ins Wanken bringen.

    Ende September erfolgte in der Schweiz die tödliche „Weltpremiere“ des „Sarcos“. Es geschah bei einer Waldhütte in dem Örtchen Merishausen im Kanton Schaffhausen. Die US-Amerikanerin Ann, 64 Jahre alt und an Immunschwäche leidend, nahm in der Kapsel Platz. Ann löste durch Knopfdruck ihr eigenes Ableben aus. Der „Sarco“ ersetzte die normale Raumluft, die sich aus Sauerstoff und Stickstoff zusammensetzt, durch 100 Prozent Stickstoff. „Ohne Sauerstoff verliert eine Person schnell das Bewusstsein und stirbt kurz darauf“, heißt es auf der Webseite von „The Last Resort“.

    Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Beihilfe zum Selbstmord

    Kurz nach dem Tod erschienen die Schaffhauser Polizei, der kriminaltechnische Einsatzdienst und die Staatsanwaltschaft am Tatort. Die Beamten beschlagnahmten die Suizidkapsel und ordneten eine Obduktion der Leiche an. Später eröffnete die Staatsanwaltschaft Strafverfahren gegen mehrere Personen wegen „Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord“. Verdächtige kamen in Untersuchungshaft. „Die Strafverfahren gegen mehrere Personen dauern an und sind nicht abgeschlossen“, bestätigte die Behörde. „Eine Person befindet sich nach wie vor in Untersuchungshaft“, hieß es.

    Während Polizei und Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit über das makaber anmutende Ereignis informieren, hüllen sich die Chefs von „The Last Resort“ weitgehend in Schweigen. Eine konkrete Anfrage zu den Verdächtigen und Inhaftierten wurde tagelang nicht beantwortet, später gab es nur den Verweis auf ein Statement. Fest steht: Die wohl inszenierte Aktion bescherte den Betreibern von „Sarco“ weltweite Schlagzeilen. In der Schweiz kam das Ganze hingegen weniger gut an. Die Schaffhauser Nachrichten urteilten: „Den Sarco-Machern gelingt ein perverser PR-Coup.“

    Den Coup beobachten auch die etablierten Schweizer Freitodbegleiter mit Argwohn. „Sarco könnte dazu führen, dass die Schweizer Politik detaillierte gesetzliche Regeln für den assistierten Suizid erlassen will“, warnt die Exit-Chefin Schafroth, eine Ärztin. Sie und die Leiter der anderen Freitodbegleiter stimmen überein: Die bisherigen Bestimmungen genügen völlig. Wie sieht die Rechtslage aus? Helfer dürfen laut Artikel 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuch nicht aus „selbstsüchtigen Beweggründen“ einer Person bei einem Suizid helfen oder dazu verleiten. Falls doch jemand aus dem Freitod Kapital schlägt, droht eine Geld- oder Freiheitsstrafe.

    Einsatz des „Sarco“ ist vorerst untersagt

    Ganz so, wie Schafroth es befürchtet, ruft der „Sarco“-Suizid tatsächlich die Politiker auf den Plan. Als einer der wichtigsten Kritiker der liberalen Schweizer Freitod-Regelung gilt der frühere Justizdirektor des Kantons Zürich, Markus Notter. In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger fordert der Sozialdemokrat: „Es darf sich keine Suizidkultur breitmachen.“ Notter pocht auf die Verabschiedung eines Suizidhilfegesetzes mit klaren Grenzen. Damit soll der Gesetzgeber die Qualität der Sterbehilfeorganisationen sicherstellen. Auch müsse die Urteilsfähigkeit und Ernsthaftigkeit der Sterbewilligen geprüft werden. „Es darf sich kein Zwang für ältere Menschen entwickeln, Suizidhilfe zu beanspruchen“, betont der frühere Zürcher Justizchef.

    Besonderes Kopfschütteln lösen die Slogans der „Sarco“-Betreiber aus. Das Gerät wird auf der Webseite als „ein tragbares Objekt von ästhetischer Schönheit“ vorgestellt. Der „Sarco“ könne in den Wald, an den Strand oder in die Berge geschafft werden, damit Menschen dort aus dem Leben scheiden. „Das Sterben unter einem klaren Nachthimmel oder in einem Regenschauer ist besser als ein fensterloser Raum in einem Industriegebiet“, schreiben die Autoren von „The Last Resort“.

    Tatsächlich aber sind laut Expertin Schafroth die meisten Sterbewilligen schwer krank und geschwächt. Sie wollen daheim oder in einem gewohnten Umfeld aus dem Leben scheiden. „Die Vorstellung, stattdessen an einen schönen See oder in einen rauschenden Wald zu fahren, um dort in eine Kapsel zu steigen, mag PR-mäßig gut klingen, ist jedoch schlecht praktikabel und entspricht keinem wahren Bedürfnis“, sagt Schafroth. Vorläufig wird sich aber kein „Sarco“-Freitod mehr in der Schweiz ereignen. Am Tag des Suizids von Schaffhausen erklärte Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider, dass die Kapsel nicht mehr eingesetzt werden darf. Sie sei „in zweierlei Hinsicht nicht rechtskonform“. „Sarco“ entspreche nicht den Anforderungen des Rechts über Produktsicherheit. Und: Der Gebrauch von Stickstoff in der Suizidbox verstoße gegen die Vorgaben des Chemikaliengesetzes.

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    2 Kommentare
    Viktoria Reissler

    Da ist es doch in Deutschland erheblich besser geregelt. Da hängen sich die unheilbar Erkrankten an Bäumen auf, laufen vor Züge, vergiften sich mit Tabletten.........................oder?

    Maja Steiner

    Wenn die Kapsel keinem wahren Bedürfnis von Sterbewilligen entspricht - wozu dann die Aufregung. Dann wird sich das Produkt doch ohnehin nicht durchsetzen. Inwiefern sich durch "Sarco" ein Zwang für ältere Menschen entwickeln sollte, Suizidhilfe zu beanspruchen, müsste mir Herr Notter noch erklären. Das geht wohl in erster Linie wieder ums Grundsätzliche - also gegen die Sterbehilfe per se.

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