Es hätte Wolfgang Schäuble wohl gefallen, dass er selbst nach seinem Ableben noch die politische Agenda beeinflusste. Zum Staatstrauerakt für den am 26. Dezember im Alter von 81 Jahren gestorbenen CDU-Politiker sprach am Montag im Bundestag kein Geringerer als der französische Staatschef Emmanuel Macron. Der Franzose würdigte den Verstorbenen als großen Europäer – und das in Zeiten, in denen der europäische Motor auch deswegen unrund läuft, weil die deutsch-französischen Beziehungen auf einem neuen Tiefpunkt angelangt sind. Macron als Hauptredner, und nicht Kanzler Olaf Scholz, der nur Gast war - für den verschmitzten Schäuble wäre es ein Fest gewesen, das ihm mindestens ein feines Lächeln abgerungen hätte. Doch es war dies natürlich nur eine Anekdote am Rande der großen Verneigung vor einem bedeutenden Politiker.
Schäuble ist in seiner Heimat auf dem Waldbachfriedhof beerdigt worden. Am 5. Januar versammelten sich seine Familie, Weggefährten und Freunde in Offenburg, um Abschied zu nehmen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ordnete darüber hinaus einen Trauerstaatsakt an. Eingeleitet wurde dieser durch einen evangelischen Gedenkgottesdienst im Berliner Dom, der anschließende Staatsakt lag in der Verantwortung des Bundestages, dem Schäuble seit 1972 ununterbrochen angehörte und zu dessen Präsident er im Oktober 2017 gewählt worden war – als Schlusspunkt einer langen erfolgreichen Karriere, in der er zwei Mal Bundesinnenminister, Finanzminister, Kanzleramtschef, Fraktionsvorsitzender und CDU-Vorsitzender war.
Altkanzlerin Merkel würdigt Wolfgang Schäuble
Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel gehörte zu den zahlreichen Gästen auf den Besuchertribünen, sie nahm neben Alt-Bundespräsident Joachim Gauck Platz. Zuvor hatte sich die CDU-Politikerin mit dem bemerkenswerten Satz ins Kondolenzbuch eingetragen, sie danke dem Verstorbenen für die spannende und immer dem Kompromiss dienende Zusammenarbeit. Vis-a-vis hatten die Veranstalter eine Art europäischen Block eingerichtet, in dem unter anderem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Aufmerksamkeit der vielen Fotografinnen und Fotografen aus dem In- und Ausland auf sich zog. Die Regierungsbank, sie blieb leer in dieser Gedenkstunde, ein Schwarzweiß-Foto an der Wand unterm Bundesadler zeigte den Verstorbenen.
Um Punkt 15 Uhr verhallte das Stimmgemurmel. Die Gäste erhoben sich zu Ehren von Ingeborg Schäuble, sie lief eingehakt am Arm von Bundespräsident Steinmeier und nahm Platz vor einem Tisch mit weißen Blumengestecken und einer Auswahl der zahlreichen Auszeichnungen, die ihr Ehemann in seiner langen Karriere entgegennahm. Zu den Klängen eines Quintetts für Klarinette und Streichquart von Mozart oblag es dann Schäubles Nachfolgerin Bärbel Bas, den Staatsakt zu eröffnen, der sinnigerweise auf den 22. Januar gelegt wurde, dem Jahrestag des 1963 geschlossenen deutsch-französischen Freundschaftsvertrages.
Wolfgang Schäuble: Architekt der Einheit
„Deutschland verliert einen großen Demokraten und Staatsmann. Europa einen Vordenker. Und Frankreich einen besonderen Freund“, sagte Bas, ergänzte aber auch: „Den größten Verlust trägt Wolfgang Schäubles Familie.“ Schäuble habe politische Rückschläge ebenso weggesteckt wie persönliche Schicksalsschläge, erinnerte die Bundestagspräsidentin und SPD-Politikerin. Es war der 12. Oktober 1990, als Schäuble von einem Attentäter niedergeschossen wurde. Eine Kugel traf den Kiefer, die andere das Rückenmark, seitdem saß er im Rollstuhl. Schäuble habe, erinnerte die Bundestagspräsidentin, Historisches vollbracht: „Denken wir nur an seine Leistungen als Architekt der Deutschen Einheit.“
Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU und der Unions-Bundestagsfraktion, würdigte, Schäuble habe nie aufgegeben. Der Fußballer Fritz Walter sei sein Vorbild, das Leben des Politikers mit Pflichterfüllung, Freude sowie einer Neugier für die Menschen ausgefüllt gewesen. Was von Schäuble bleibe? Das Engagement als Abgeordneter, der seinen Offenburger Wahlkreis 14 Wahlperioden hintereinander verteidigt habe, erklärte Merz: „Und dann gab es so etwas wie einen Dreiklang: Deutsche Einheit, Berlin, Europa.“
Einen besonders ehrenvollen Zweiklang wählte Emmanuel Macron: Er hielt große Teile seiner Rede in deutscher Sprache. „Deutschland hat einen Staatsmann verloren. Europa hat eine Säule verloren. Frankreich hat einen Freund verloren“, erklärte der Staatspräsident. Ihm selbst werde, sagte der Franzose, eine große Ehre zuteil. Schäubles Wunsch, einen Franzosen im Bundestag sprechen zu lassen, „sagt viel über sein Vertrauen in unsere beiden Länder.“ In der Tat hatte der Verstorbene darum gebeten, Macron möge doch wenn möglich eine solche Trauerrede halten.
Macron grüßt Merkel – mit Kusshand
Macron würdigte nicht nur um die deutsch-französische Freundschaft. Er nahm auch geschickt die Bälle auf, die der CDU-Politiker bis zuletzt in seiner Sorge um die Beziehungen zwischen Paris und Berlin immer wieder gespielt hatte. Im vergangenen Sommer etwa hatte er angemahnt, dass Deutschland und Frankreich in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik eigentlich eine Führungsrolle in Europa zukommen müsse. Im Dezember, kurz vor seinem Tod, regte er in einem Interview an, dass Frankreich doch seine Atomstreitmacht, die „Force de frappe“, in die EU einbringen und einen nuklearen Schutzschirm spannen könne. Macron mahnte in diesem Sinne, Europa müsse nun weiter denken in einem sicherheitspolitischen Umfeld, dass durch den Ukrainekrieg gezeichnet sei. „Der Krieg vor unseren Toren zwingt Europa, enger zusammenzurücken.“
Während seiner Rede warf Macron eine Kusshand in Richtung Publikum – die Adressatin war offenbar Angela Merkel, sie reagierte jedenfalls prompt und hob verzückt die Hand. Auch dies war nur eine Anekdote, aber auch sie hätte Wolfgang Schäuble sicherlich sehr gefallen.