Lars Klingbeil wird in diesen Tagen besonders gerne zu seiner Gitarre greifen. Bei Musik könne er abschalten und sich der Hektik entziehen, erklärte der SPD-Vorsitzende kürzlich im Interview. Richtig ruhig war es im Lager der Sozialdemokraten schon lange nicht mehr. Doch eine solch geballte Anhäufung an Misstönen gab es zuletzt 2019 zu hören. Damals trat Andrea Nahles entnervt als Partei- und Fraktionsvorsitzende zurück, nachdem sie immer lauter für die vorangegangenen Wahlniederlagen verantwortlich gemacht worden war. In den vergangenen Tagen ging es nun darum, ob Kanzler Olaf Scholz von seinen Ambitionen ablässt, zur nächsten Bundestagswahl als Spitzenkandidat aufzulaufen. Wieder war die Unruhe in der Partei groß. Bis Boris Pistorius die unentschlossene Parteiführung am Donnerstagabend erlöste und seinen Verzicht auf die Kandidatur erklärte.
Es gibt zwei unterschiedliche Lehren in der Bundespolitik. Die eine besagt, dass der Regierungschef immer auch Parteivorsitzender sein sollte. Die CDU hat das durchgehalten, zuletzt mit Angela Merkel als Kanzlerin und Vorsitzende. Scholz ist nach Helmut Schmidt der zweite SPD-Kanzler, der nicht auch Parteichef wurde – sieht man von den wenigen Wochen ab, in denen er nach dem Rücktritt von Martin Schulz im Frühjahr 2018 den Posten kommissarisch innehatte. Ambitionen auf den Posten hatte der damalige Bundesfinanzminister 2019, doch am Ende mussten er und Klara Geywitz sich dem Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans geschlagen geben. Walter-Borjans ist SPD-Geschichte, über Esken als weiterhin amtierende Co-Vorsitzende gehen die Meinungen in der Partei weit auseinander. Der starke Mann an der Spitze ist der „lächelnde Lars“.
Klingbeil hätte ein eindeutiges Votum für Scholz als Kanzlerkandidaten organisieren müssen
Bei den Sozialdemokraten gibt es einige wenige Stimmen, die sich in der K-Frage von Klingbeil ein früheres Einschreiten gewünscht hätten. Spätestens nach dem durch Olaf Scholz eingeleiteten Ampel-Aus hätte der Chef per Gremiumsbeschluss ein eindeutiges Votum für Scholz als Kanzlerkandidaten organisieren müssen, heißt es in der SPD. Klingbeil, Esken, Fraktionschefchef Rolf Mützenich und andere namhafte SPD-Politiker hatten sich bereits früh auf die Seite des Amtsinhabers geschlagen. Der Partei wäre mit einem offiziellen Bekenntnis die lästige Debatte über die K-Frage und die mögliche Einwechslung von Verteidigungsminister Pistorius wohl erspart geblieben.
Andererseits hört der Gitarrist der nicht mehr existierenden Band „Pflaumenmus“ genau auf die Zwischentöne in seiner Partei. Er wollte möglichst wenige verprellen, auch die nicht, die Scholz für einen ungeeigneten Kandidaten halten. „Für mich ist die Geschlossenheit wichtig. Das ist eine Grundvoraussetzung, auch in diesen Wahlkampf zu gehen“, sagte er der Bild-Zeitung, und für Klingbeil ist das keine Floskel. Der 46-Jährige wird dem konservativen Seeheimer Kreises zugerechnet, gleichzeitig hält er die Kontakte zum linken Parteiflügel. Als Generalsekretär gelang ihm 2019 ein erfolgreicher Europawahlkampf, nicht zuletzt deswegen, weil er die Reihen schließen konnte.
Bundestagswahlkampf: Macht Merz einen Fehler wie Laschet?
Sein Meisterstück lieferte er bei der anschließenden Bundestagswahl ab. Die SPD legte im Vergleich zur Wahl 2017 um gut fünf Prozentpunkte zu, sie wurde stärkste Partei und Scholz schließlich Kanzler – obwohl ihm zunächst keine Chancen eingeräumt worden waren. Bei 15 Prozent steht die SPD aktuell. Das ist kein guter Wert, aber trotzdem keiner, der den Parteivorsitzenden über die Maßen aus der Ruhe bringt. „Das Niedrigste, was wir da mal hatten, waren 12 Prozent in den Umfragen. Und am Ende haben wir es geschafft, dass Olaf Scholz im Kanzleramt sitzt“, sagte er. Tatsächlich zogen die Umfragewerte für die SPD erst wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2021 an.
Damals hatte die Aufholjagd viel mit den unglücklichen Auftritten von Unions-Spitzenkandidat Armin Laschet (CDU) zu tun. Der amtierende CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat bislang keine großen Fehler gemacht. Klingbeil weiß aber auch um die schwachen persönlichen Beliebtheitswerte von Merz.
„Für mich ist wichtig, dass wir sehr schnell den Schalter umlegen: nach der schwierigen Debatte in den letzten Tagen jetzt in die Auseinandersetzung mit der Union“, sagte er der Bild. Doch er stand in der K-Frage enorm unter Druck. CDU und CSU wollen bereits am 17. Dezember in Berlin ihr gemeinsames Wahlprogramm vorstellen. Da hätte die SPD ja schlecht ohne Kanzlerkandidaten dastehen können. Nun hat Pistorius die Debatte beendet. Die Arbeit für Klingbeil fängt damit erst an. Für eine neuerliche Aufholjagd bleibt ihm nicht mehr viel zeit. Fürs Gitarre spielen auch nicht.
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