Der bisherige Umweltminister Sigmar Gabriel wurde am Montag vom SPD-Vorstand offiziell als neuer Parteichef nominiert. In geheimer Wahl kam er auf 77,7 Prozent Zustimmung. Gabriel wird nun auf dem SPD-Bundesparteitag Mitte November in Dresden als Nachfolger von Franz Müntefering kandidieren. Sein Abschneiden bei der Nominierung bezeichnete Gabriel als "ehrlich". Wer nach einer solchen SPD-Niederlage bei der Bundestagswahl Zustimmungswerte von 90 Prozent erwarte, habe falsche Vorstellungen.
Bei der Nominierung der anderen Kandidaten durch den Vorstand gab es einen deutlichen Dämpfer für die Parteilinke. Berlins Regierungschef Klaus Wowereit, der als neuer Vize in die Spitze aufrücken soll, kam nur auf eine Zustimmung von 61,1 Prozent. Es sei schade, dass bei Wowereit viel Ärger über das schlechte SPD-Ergebnis bei der Bundestagswahl abgeladen worden sei, sagte Gabriel in der ARD-Sendung "Farbe bekennen". Klaus Wowereit trage viel dazu bei, "den Laden zusammenzuhalten und nach vorn zu orientieren."
Die als neue Generalsekretärin vorgesehene Parteilinke Andrea Nahles erhielt 66,6 Prozent. Die drei anderen Kandidaten für den Vize-Vorsitz, die NRW-Landesvorsitzende Hannelore Kraft, Arbeitsminister Olaf Scholz und die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, verzeichneten dagegen jeweils eine Zustimmung von 86,1 Prozent Zustimmung.
Gabriel kündigte für die nächsten Wochen eine kritische Debatte über die vergangenen elf Regierungsjahre der SPD an. Dabei werde positives herauszustellen sein, wie etwa die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Atomausstieg und die Wende in der Energiepolitik. Gleichzeitig werde man kritische Themen, wie die Rente mit 67 und die Hartz-Arbeitsmarktreformen nicht aussparen. Die SPD sei derzeit in einer "schwierigen Situation". Er kündigte für den Parteitag eine kritische Wahlanalyse an. Gabriel erwartet, dass die Aufarbeitung aber Anfang des Jahres abgeschlossen und die SPD dann geschlossen in die kommenden Landtagswahlen ziehen könne.
Zu der parteiinternen Debatte um mögliche Bündnisse von SPD und Linkspartei sagte Gabriel: "Unser allererstes Ziel ist die Stärkung der SPD." Der Weg der Partei Die Linke in die Regierungsfähigkeit sei noch sehr lang. In der Linkspartei werde bald eine Auseinandersetzung entstehen "zwischen denen, die nur opponieren wollen und denen, die auch politisch gestalten wollen", sagte Gabriel.
"Ich bin dafür, angstfrei mit der Linkspartei umgehen. Weder irgendetwas ausschließen, noch zu sagen, das sind die einzigen Partner, die wir haben", betonte Gabriel später am Montagabend in der ARD-Sendung "Farbe bekennen". Er habe nichts dagegen, mit der Linkspartei zu koalieren, wenn das so gut funktioniere wie in Berlin. "Ich habe auch nichts dagegen, dass man mit denen 2013 über eine Koalition im Bund nachdenkt. Aber es muss inhaltlich stimmen", betonte der designierte SPD-Chef.
Er kündigte zugleich eine stärkere Beteiligung der Parteimitglieder an politischen Entscheidungen an. Wer plebiszitäre Elemente in der Verfassung fordere, der müsse auch innerparteiliche Demokratie und echte Mitbestimmung der Mitglieder akzeptieren.
Der 50-Jährige Gabriel wird voraussichtlich der jüngste SPD-Vorsitzende seit der ersten Wahl von Willy Brandt zum Parteichef im Jahr 1964 und der zwölfte SPD-Chef seit Kriegsende. Bei der Bundestagswahl war die SPD auf 23 Prozent abgestürzt und nach elf Jahren in der Regierung wieder auf der Oppositionsbank gelandet.
In der mehrstündigen Debatte im Parteivorstand war auch deutlicher Widerspruch an dem Verfahren laut geworden, wie unmittelbar nach der Wahlniederlage die künftige Spitze von einem kleinen Führungszirkel vorbei an den zuständigen Gremien "ausgekungelt" worden sei. Der Parteilinke Hermann Scheer sprach vor Beginn der Beratungen deshalb von einem "nicht erträglichen Hauruck-Verfahren" und einem "Akt der Selbstnominierung". Die designierten Partei-Vize Wowereit und Kraft verteidigten dagegen das Vorgehen. Das Personaltableau sei nicht in "Hinterzimmern" entstanden, betonten sie. Die neue Spitze stelle sich schließlich einer Wahl auf dem Parteitag.
Nach dem Votum des SPD-Parteivorstandes soll der Europapolitiker Martin Schulz künftig in herausgehobener Funktion Beauftragter der SPD für EU-Angelegenheiten sein. Er erhielt dafür eine Unterstützung von 69,4 Prozent. Auf den gleichen Wert kam auch Schatzmeisterin Barbara Hendricks, die für eine weitere Amtszeit kandidiert.