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SPD: Der Kanzler – plötzlich ganz klar

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Der Kanzler – plötzlich ganz klar

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    Plötzlich klar und kompromisslos: Bundeskanzler Olaf Scholz.
    Plötzlich klar und kompromisslos: Bundeskanzler Olaf Scholz. Foto: Ralf Lienert

    Als Meister der politischen Rhetorik ist Olaf Scholz bisher nicht aufgefallen. Das Sprichwort, jemand rede um den heißen Brei herum, könnte glatt für den Kanzler erfunden worden sein, der sich gerne in langatmigen Formulierungen verheddert, die Dinge selten auf den Punkt bringt und häufig so wirkt, als verliere er sich gleich selbst in seinem Vortrag. 

    Der Scholz jedoch, der an diesem Donnerstag vor dem Bundestag steht, hat entweder über Nacht an seinen Defiziten gearbeitet oder einfach nur einen guten Tag. "Solche Straftäter gehören abgeschoben", sagt er, das tödliche Messerattentat auf einen jungen Polizisten in Mannheim vor Augen. Und fügt fordernd hinzu: "Auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen." Nicht diejenigen sollten sich fürchten müssen, die in Freiheit und Frieden leben wollten. "Sondern diejenigen müssen sich fürchten, die unsere Freiheit angreifen und unseren Frieden stören." Es gebe kein Faustrecht in Deutschland, sagt Scholz. "Wer das anders sieht, der kriegt ein massives Problem mit unserer Polizei und unserer Justiz."

    Bundeskanzler Scholz will das Strafrecht verschärfen

    So klar und kompromisslos in Ton und Diktion kennen auch viele seiner Genossen in der SPD ihren Kanzler nicht. Gerade erst hat er nach langem Zögern den Weg dafür frei gemacht, dass die ukrainische Armee mit Waffen aus Deutschland auch Ziele in Russland angreifen darf. Nun spricht er sich in seiner Regierungserklärung für die Abschiebung von Terroristen und Schwerkriminellen nach Afghanistan aus – auch das für Scholz und seine Koalition bislang ein politisches Tabu, schließlich sind solche "Rückführungen" in das von den Taliban beherrschte Land seit dem Jahr 2021 ausgesetzt. Das Attentat von Mannheim allerdings, verübt von einem abgelehnten Asylbewerber aus Afghanistan, verändert die Lage auch für ihn. "Dafür gibt es nur einen Begriff: Terror", sagt Scholz. Und dem Terror werde der Kampf angesagt, unabhängig, wovon er motiviert sei. "Dafür werden wir das Strafrecht gezielt schärfen und solche hinterlistigen Überfälle härter bestrafen." 

    Verteidigungsminister Boris Pistorius verfolgt die Rede des Regierungschefs aufmerksam und gelegentlich zustimmend nickend in der zweiten Reihe der Regierungsbank. Der Scholz, den er da hört, klingt so ähnlich wie der frühere niedersächsische Innenminister Pistorius – die islamistische Bedrohung klar benennend, nicht lavierend, Entschlossenheit zeigend. Es sind Talente, die den 64-Jährigen eher unfreiwillig zu einer Art Reservekanzler gemacht und schon zu Spekulationen geführt haben, die SPD könnte angesichts ihrer desaströsen Umfragewerte nicht mit Scholz, sondern mit einem Kanzlerkandidaten Pistorius in die nächste Bundestagswahl gehen. Hat nicht sogar Franz Müntefering, eine Ikone der Partei, vor Kurzem gesagt, die Frage "Scholz oder Pistorius" sei in der SPD noch nicht beantwortet? Offen für einen Kandidatenwechsel ausgesprochen hat sich bisher allerdings nur der weitgehend unbekannte sächsische Kommunalpolitiker Heiko Wittig: "Wenn Pistorius als Kanzlerkandidat gegen Friedrich Merz antreten würde, wäre der 15-Prozentpunkte-Vorsprung der Union ganz schnell geschmolzen."

    Die SPD will auch in die nächste Wahl mit Scholz gehen

    Ist das nur eine telegene Einzelstimme oder ein Indiz für die Stimmung an der Parteibasis? Christoph Schmidt sitzt für die SPD im Verteidigungsausschuss des Bundestages und hat schon kraft Amtes einen guten Draht zu seinem Minister. Auf dem Weg ins Kanzleramt sieht er ihn allerdings nicht. "Diese Diskussion wird uns von außen aufgezwungen", sagt der SPD-Mann aus dem Ries im Gespräch mit unserer Redaktion. "Natürlich gehen wir mit Olaf Scholz in die nächste Wahl." Dass Pistorius der populärste Politiker des Landes sei, ändere daran nichts. "Er macht seine Sache ja auch gut." Ein Kanzler aber stünde vor ganz anderen Herausforderungen, sagt Schmid. "Der muss auch sehr viele unpopuläre Dinge verantworten." Und überhaupt: Die letzte Wahl, die der Niedersachse als Kandidat gewonnen hat, war die zum Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück 2006, sticheln sie im Scholz-Lager. 

    Andererseits dürfte es dem Kanzler kaum gefallen, dass der Nachfolger der glücklosen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht beliebt ist wie kaum ein Politiker in Deutschland, er selbst aber in den Umfragen teilweise noch hinter Oppositionschef Friedrich Merz liegt. Aber auch in der Sache trennt beide einiges: Scholz versucht, sich als Kanzler des Friedens zu profilieren, was immer das am Ende konkret heißt – Pistorius dagegen will Deutschland "kriegstüchtig" machen. Scholz beharrt im Streit um den Etat für 2025 auf Haushaltsdisziplin – Pistorius fordert mehr Geld. 

    Dass er die Hackordnung in der SPD akzeptiert, nach der erst der Kanzler kommt und dann lange niemand, zeigt der Streit um die Wehrpflicht. Pistorius ist deren flammendster Befürworter in der Koalition und hat ihre Wiedereinführung schon zur "Richtungsentscheidung" erklärt, Scholz dagegen gehört zu den größten Skeptikern und hat als Kanzler die Richtlinienkompetenz. Die Personalprobleme der Bundeswehr, hat er am Rande einer Schweden-Reise gesagt, seien überschaubar – eine nur notdürftig verbrämte Breitseite in Richtung seines Verteidigungsministers. Ergebnis: In der kommenden Woche wird Pistorius ein Modell vorstellen, das die personellen Lücken bei der Bundeswehr zunächst mit Freiwilligen schließen soll, die er durch neue Anreize wie einen kostenlosen Führerschein, Sprachkurse oder verkürzte Wartezeiten auf einen Studienplatz gewinnen will. Zwar schränkt er im Vorfeld schon ein: "Nach meiner festen Überzeugung wird es nicht gehen ohne Pflichtbestandteile." Davon allerdings müsste er den Kanzler erst noch überzeugen. 

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