Als er seinen neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius im Januar letzten Jahres als Nachfolger der glücklosen Christine Lambrecht ins Amt hob, war der Kanzler voll des Lobes. „Ich bin überzeugt, dass das jemand ist, der mit der Truppe kann und den die Soldatinnen und Soldaten sehr mögen werden", sagte Olaf Scholz damals. In der Tat machte sich der neue Chef im Bendlerblock in der Bundeswehr schnell einen guten Namen. Genau diese Beliebtheit in der Armee und auch beim Wahlvolk – er wurde immer wieder gar als Ersatz für Scholz gehandelt – scheint bei seinem Parteifreund im Kanzleramt nun einen gegenteiligen Effekt ausgelöst zu haben.
Das Problem: Pistorius hat vieles, was Scholz nicht hat. Gute Umfragewerte zum Beispiel. Der 64-Jährige genießt darüber hinaus hohe Anerkennung bei den Ampelpartnern. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter etwa lobt den „realistischen“ Blick des langjährigen Oberbürgermeisters von Osnabrück und späteren Innenministers des Landes Niedersachsen. Gleichzeitig werfen Hofreiter und viele andere dem Kanzler vor, eben nicht zu haben. Die ewige Frage nach immer neuen Waffen nervt Scholz und deshalb ist er auch von seinem Verteidigungsminister genervt, der die Frage so ähnlich gerade wieder gestellt hat.
Lindner und Scholz gegen Pistorius
Pistorius fordert eine Erhöhung des Wehretats von derzeit 52 Milliarden um mindestens 6,5 Milliarden Euro. In guten Zeiten wäre das kein Problem. Aber die Zeiten sind nicht gut, mit dem zur Verfügung stehenden Geld muss sparsam umgegangen werden. Eine Aufweichung der Schuldenbremse zur Finanzierung anstehender und in Zukunft noch wachsender Militärausgaben schließt Scholz aus, da steht er mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) eng zusammen – und gegen seinen Verteidigungsminister, der eine Lockerung auch vor dem Hintergrund anregt, dass sein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro schon verplant ist.
Scholz wirkt dünnhäutig in diesen Tagen. Beobachter sind zunehmend verblüfft, mit welcher Wucht der Kanzler manches Mal auf negative Bewertungen seiner Arbeit reagiert. Das gilt nicht nur für Äußerungen aus der Opposition. Auch die Medien berichten aus Sicht des Kanzlers oft nicht das, was wirklich ist. Und dann die Ampelpartner, auch die wüssten seine Kompetenz nicht immer zu würdigen. Am Ende, so scheint Scholz manchmal zu denken, versteht nur er sich selbst.
Scholz spielt Wehrpflicht herunter
Das zeigt sich auch in der Debatte über die Wehrpflicht. Pistorius braucht dringend mehr Soldatinnen und Soldaten, für ihn ist die Aktivierung des derzeit ausgesetzten verpflichtenden Dienstes eines der wichtigsten Projekte überhaupt. Seine Glaubwürdigkeit innerhalb der Nato steht auf dem Spiel: Allein für die Bundeswehr-Brigade in Litauen benötigt der Minister 4800 Soldatinnen und Soldaten sowie 200 Zivilisten. Die Stellen müssen besetzt, Lücken im Inland gefüllt werden. Vor allem aber: Die Wehrpflicht wird wohl mit einem Zivildienst einhergehen. Junge Menschen sollen sich an den Gedanken gewöhnen, dass sie dem Land nicht nur dienen, sondern im Ernstfall auch ihr Leben dafür riskieren. Die gesellschaftliche Dimension könnte die Frage nach den Finanzen weit übertreffen, es ist ein Mega-Thema. Und Scholz spielt es herunter.
Bei einer Pressekonferenz während seiner Schweden-Reise spricht der Kanzler auf die Frage nach der Wehrpflicht fast schon abfällig von einer „überschaubaren Aufgabe“. Er zieht den Vergleich zur Wehrpflichtarmee früherer Zeiten, dabei geht es darum gar nicht. Er rate zur Geduld, „bis da ein abgewogener Einfall da ist“. Ein Einfall! Dabei brüten im Verteidigungsministerium schon seit geraumer Zeit die Expertinnen und Experten über dem Problem, der Minister will sein Modell bald vorstellen.
Nur ein Drittel ist laut Umfrage gegen von Pistorius geforderte Mehrausgaben
Vor dem Hintergrund dieses demonstrativen Desinteresses müsse auch, meint eine SPD-Abgeordnete, der Frust-Satz von Pistorius bei einem Koalitionsfrühstück mit Haushalts- und Verteidigungspolitikern verstanden werden, über den zuerst die Süddeutsche Zeitung berichtete: „Ich muss das hier nicht machen.“
Weitermachen wird der Minister schon deshalb, weil Scholz beim Thema äußere Sicherheit nicht noch mehr Aufregung gebrauchen kann. Sie besorgt die Deutschen sehr, nur ein Drittel ist laut einer aktuellen Forsa-Umfrage gegen die von Pistorius für erforderlich gehaltenen Mehrausgaben. Die Opposition könnte das Thema für den Wahlkampf ausschlachten, wenn es nicht bald befriedet ist. Verteidigungsminister der Ampel sei ein „Titel ohne Mittel“, ätzte etwa CSU-Generalsekretär Martin Huber am Donnerstag in Berlin. Scholz habe, ergänzte der Bayer, seinen Aufruf zur Zeitenwende offenbar „schon wieder vergessen“.