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Kommentar: Pflege – das unterschätzte Risiko

Kommentar

Pflege – das unterschätzte Risiko

Rudi Wais
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    Es fehlt an Personal – und an Geld: Blick in ein Pflegeheim.
    Es fehlt an Personal – und an Geld: Blick in ein Pflegeheim. Foto: Angelika Warmuth, dpa

    In der Pflege hat der Mangel Methode. Heimen und ambulanten Diensten fehlt es an Personal, die Plätze für die Tages-und Kurzzeitplätze sind knapp – und das Geld sowieso. Die Politik jedoch verfolgt diese Entwicklung wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange: in einer Art Schockstarre. Während die Zahl der Pflegebedürftigen immer schneller und stärker steigt, hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach das Problem zwischenzeitlich sogar ganz von der Tagesordnung genommen. In dieser Legislaturperiode, sagte er Ende Mai in einem Interview, werde es keine große Finanzreform für die Pflege mehr geben. Zu weit liegen die Vorstellungen in den Ampelparteien auseinander, zu hoch sind die Summen, um die es geht.

    Jährliche Kosten: Mehr als 50 Milliarden Euro

    Zwar hat Lauterbach jetzt unter dem Druck der sich zuspitzenden Situation und jährlicher Kosten von weit über 50 Milliarden Euro doch noch ein „Konzept“ für eine Pflegereform angekündigt – eine Reform allerdings, die diesen Namen auch verdient, braucht erstens ihre Zeit und zweitens einen breiten politischen Rückhalt. Sie muss auf mindestens zehn, wenn nicht 20 jahre angelegt sein, und weil Regierungen in solchen Zeiträumen häufiger wechseln, spräche einiges für eine konzertierte Aktion Pflege, an der dann auch die Union beteiligt werden müsste.

    Mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland sind bereits jetzt pflegebedürftig – das sind doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Mit Beiträgen zwischen drei und vier Prozent eines Bruttoeinkommens wird diese Herausforderung sicher nicht zu meistern sein. Sollen die Pflegekassen nicht dauerhaft in die roten Zahlen rutschen und die Eigenbeteiligungen der Heimbewohner nicht ins Unermessliche steigen, dürfte spätestens die nächste Bundesregierung einige unpopuläre Entscheidungen treffen müssen. Denkbar wäre eine Art Dreiklang aus weiteren, möglichst moderaten Beitragserhöhungen, einem regelmäßigen Bundeszuschuss aus der Steuerkasse und eine verpflichtende private Vorsorge. Der sogenannte Pflege-Bahr, die nach einem früheren Gesundheitsminister benannte Prämie von fünf Euro im Monat für den freiwilligen Abschluss einer privaten Pflegeversicherung, ist bisher ja nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Warum also nicht Beschäftigte wie bei der privaten Altersvorsorge mit einer Kombination aus Steuervorteilen und Zuschüssen für den Abschluss einer Police belohnen?

    Die Eigenanteile der Pflegebedürftigen steigen immer weiter

    Auch einer der Konstruktionsfehler der 1995 eingeführten Pflegeversicherung könnte bei dieser Gelegenheit gleich mit beseitigt werden. Heute bitten Heime und Dienste bei steigenden Kosten zuerst die Pflegebedürftigen zur Kasse, ehe dann mit der Verspätung von einigen Jahren auch die Leistungen der Pflegekassen angehoben werden. Diesen Mechanismus zu durchbrechen, etwa durch eine jährliche Anpassung der Pflegesätze an die Inflation, würde Betroffene und ihre Familien spürbar entlasten. Im vergangenen Jahr sind ihre Eigenanteile im Schnitt um sieben Prozent gestiegen.

    Sozialverbände wie der Paritätische Wohlfahrtsverband würden aus der Pflegeversicherung gerne eine solidarische Vollversicherung wie die gesetzliche Krankenversicherung machen. Dagegen aber sprechen nicht nur die enorm hohen Beiträge, die das Ergebnis eines solchen Kurswechsels wären, und die steigenden Lohnkosten für die Arbeitgeber. Der Staat kann nicht jedes Lebensrisiko seiner Bürger im Vollkasko-Modus absichern – er muss auch auf die Eigenverantwortung des (oder der) einzelnen zählen können.

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    1 Kommentar
    Helmut Eimiller

    Den Namen Sozialstaat verdient unser Nachbar im Norden weit mehr: „Nötige Leistungen werden in Dänemark bei Bedarf gratis zugeteilt, damit alte Menschen möglichst lange zu Hause wohnen. Wenn es dann nicht mehr geht, legt bei der Miete im Altersheim der Staat einfach den Rest drauf – sollte die Rente nicht reichen“, so im Deutschlandfunk 2018. Dänemark sorgt sich um die eigenen Bürger und hat sich auch erfolgreich gewehrt, der Eurozone beitreten zu müssen. Die Banken verdienen dort heute gut in ihrem traditionellen Geschäft. Jedenfalls ist mir nicht bekannt, dass die dänischen Banken „leistungslose Zinserträge“ oder Ähnliches benötigen. („Nun fordern die beiden Hamburger Wirtschaftsprofessoren Bernd Lucke und Dirk Meyer die Abschöpfung der aus ihrer Sicht «leistungslosen Zinserträge» von Kreditinstituten, die nicht benötigtes Geld bei der Zentralbank parkieren“, schrieb die NZZ am 24.06.2024.) [Ach hätte Bernd Lucke bereits früher allgemein verständlich formuliert ...]

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