Manchmal hat man kein Glück, und dann kommt auch noch Pech dazu. Diese Fußballerweisheit lässt sich gerade auf die Ampel-Regierung übertragen. Erst grätschte ihr das Bundesverfassungsgericht in die Haushaltsplanungen, am Freitag trat der Bundesrat noch mal heftig nach: Die Länderkammer hat das Wachstumschancengesetz gestoppt und an den Vermittlungsausschuss überwiesen.
Die Regierung wollte damit eigentlich Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit für die Unternehmen verbessern und steuerliche Anreize für klimafreundliche Investitionen setzen. Nun fordern die Länder eine grundsätzliche Überarbeitung. Nachdem sich das Karlsruher Urteil bereits auf den Klima- und Transformationsfonds und den Wirtschaftsstabilisierungsfonds auswirkt, tut sich hier die nächste große Baustelle auf.
Bundeskanzler Olaf Scholz wandte sich am Freitagnachmittag in einem kurzen Videostatement an die Bevölkerung und betonte, dass staatliche Finanzhilfen weiterhin möglich seien. "Allerdings gibt es jetzt klare Vorgaben, die zu beachten sind. Der zentrale Punkt: Etwaige Kredite müssen nun jedes Jahr vom Bundestag neu beschlossen werden", sagte Scholz. Seine Regierung werde "dem Bundestag für das laufende Jahr vorschlagen, die für solche Fälle im Grundgesetz ermöglichte Ausnahme von der Schuldenbremse erneut zu beschließen."
Schon jetzt steht fest: Die Muss ich jetzt meine Energie-Hilfen zurückzahlen?Frage der WocheStrom- und Gaspreisbremse wird Ende des Jahres auslaufen. Das bestätigte Finanzminister Christian Lindner am Freitagnachmittag. Ob damit auch die geplante Entlastung bei den Netzentgelten betroffen ist, die Kunden über den Strompreis mitbezahlen, blieb zunächst offen.
Hinter den Kulissen wird schon darüber debattiert, ob die Schuldenbremse grundsätzlich entschärft werden muss. Seit 2011 macht sie Bund und Ländern verbindliche Vorgaben bei der Haushaltsplanung. Der Staat darf demnach jährlich Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung aufnehmen. Diese Regel ist im Grundgesetz verankert, bei außergewöhnlichen Lagen kann sie ausgesetzt werden.
Beim Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommt die Schuldenbremse im Zusammenhang mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ins Spiel. SPD, FDP und Grüne hatten darin Gelder – die für die Bewältigung der Corona-Pandemie vorgesehen waren, aber nicht abgerufen wurden –, auf das Sondervermögen Energie- und Klimafonds (EKF) umgebucht, der später in Klima- und Transformationsfonds (KTF) umbenannt wurde. Dass die Ampel diese Milliarden nicht auf die Schuldenbremse anrechnete, ist einer von drei Gründen, warum sie in Karlsruhe abgestraft wurde. Das Urteil wiederum führte dazu, dass der Regierung jetzt Milliarden Euro fehlen, die sie bereits fest eingeplant hatte.
Das Haushaltsloch ist viele Milliarden groß
Wie groß das Loch ist, kann derzeit niemand seriös beziffern. Eine Expertenanhörung im Bundestag ergab eine Spannbreite von 18 bis über 50 Milliarden Euro, die auf die Schuldenbremse angerechnet werden müssten. Das Problem: Die reguläre Kreditaufnahme ist mit rund 45 Milliarden Euro bereits komplett ausgereizt. Damit nicht alle Ampel-Versprechen – die Energiepreisebremsen etwa – dem Rotstift zum Opfer fallen, will die Koalition im Haushalt 2023 weitere Schulden machen. Damit bricht sie die Schuldenregel, und das kann sie eben nur, wenn eine neue Notlage festgestellt wird.
Finanzminister Christian Lindner hatte eine solche bereits vor dem Statement des Kanzlers angekündigt – welche es sein wird, steht noch nicht fest. Der Klimawandel könnte herangezogen werden, rechtssicher wäre das aber wohl nicht. Der Bundesrechnungshof etwa monierte bereits vor einem Jahr, dass "der Klimawandel keine außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Ausnahmeregelung zur Überschreitung der Kreditobergrenzen" darstelle.
Vor diesem Hintergrund gibt es Forderungen beispielsweise der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die Schuldenbremse auch 2024 auszusetzen. Andere fordern eine Reform, also eine Aufweichung der Regeln. In beiden Fällen wird argumentiert, der Staat müsse handlungsfähig bleiben und könne nicht erst immer eine Notlage erklären, um neue Schulden aufzunehmen. Im nächsten Atemzug wird angeführt, die Schuldenbremse hemme Investitionen in die Zukunft. Die Argumente sind alle nicht neu, sie lassen allerdings einen Aspekt außer Acht: die Generationengerechtigkeit.
Wolfgang Schäuble weiß Rat
Wenn neue Schulden gemacht werden, ist immer auch deren Rückzahlung zu regeln, so sieht es die Schuldenbremse vor. Dabei ist der Berg bereits riesengroß, die deutschen Staatsschulden reißen eine Rekordmarke nach der anderen. Aktuell sind Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung mit etwa 2500 Milliarden Euro verschuldet. Pro Sekunde kommen nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler 3800 Euro neue Schulden dazu. Die Zinswende verschlimmert die Lage, die Zinslasten sind deutlich gestiegen.
Nach der Finanz- und Eurokrise bekam der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit eiserner Disziplin wieder ausgeglichene Haushalte hin, man hätte danach sogar Schulden tilgen können, wäre die Corona-Pandemie nicht gewesen. Der CDU-Politiker kam indes nie auf die Idee, an der Schuldenbremse zu rütteln oder sie mit Rechentricks zu umgehen. Wenn in einer Notlage notwendigerweise Ausgaben erhöht und auch neue Schulden gemacht würden, sagte Schäuble, sei das kein Widerspruch und ergänzte: "Schließlich haben wir in der Schuldenbremse genau für diesen Fall Ausnahmen eingebaut."
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass andere Staaten nicht an so strenge Regeln gebunden sind. Für die Europäische Union gilt eigentlich, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Wegen Corona sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine sind die Regeln aber bis 2024 ausgesetzt. Frankreich als zweiter großer Spieler in der EU hat keine in der Verfassung verankerte Schuldenbremse und setzt traditionell stärker auf schuldenfinanzierte Investitionen statt auf Sparsamkeit. In den USA legt der Kongress zwar in unregelmäßigen Abständen eine Schuldenobergrenze fest. Diese wurde seit ihrer Einführung vor mehr als hundert Jahren allerdings dutzendfach erhöht, da sonst das Geld ausgegangen wäre. (mit dpa)