Der SPD-Landeschef aus Bayern machte aus seinem Unmut keinerlei Hehl: "In Berlin sagen viele: Der Fehler in der Kommunikation liegt bei Olaf Scholz", tönte es aus München. Vonseiten der saarländischen Genossen klang es dagegen verständnisvoller: "Er hat einfach einen Scheißjob", gab die Parteiführung in Saarbrücken zu Protokoll. Doch auch das konnte Olaf Scholz inmitten der schweren SPD-Krise nicht mehr vom sang- und klanglosen Untergang seines Spitzenamts retten.
Auf den Tag genau 20 Jahre ist es her, als Scholz nach nur eineinhalb Jahren im Amt seinen Posten als SPD-Generalsekretär aufgeben musste. Übrig geblieben ist aus dieser Zeit bis heute vor allem ein wenig schmeichelnder Spitzname: "Scholzomat" taufte die Wochenzeitung Die Zeit den damaligen Generalsekretär, der tatsächlich mechanisch gebetsmühlenartig die umstrittene Agenda 2010 seines Kanzlers Gerhard Schröder verteidigen musste. Der Redakteur erhielt damals einen Preis für die Wortschöpfung des Jahres.
Heute erinnern sich viele wieder an den "Scholzomat" von damals
Scholz sagte wenige Jahre später der Zeitung, er habe sich über die Bezeichnung nie beklagt. "Ich empfand die Zuschreibung Ihres Kollegen damals als sehr treffend. Es war so." Heute, zwei Jahrzehnte später, erinnern sich in Berlin wieder viele an das Wort vom "Scholzomat". Der Kanzler musste im Januar bei einem kämpferischen Auftritt in der SPD-Bundestagsfraktion sogar versprechen, dass er künftig energischer an die Öffentlichkeit gehen wolle. "Der Fraktions-Olaf wird der Draußen-Olaf", sagte er nach Teilnehmerangaben.
"Seit ein paar Monaten versucht Scholz, in der Öffentlichkeit etwas in die Offensive zu kommen, aber bislang kann er nicht das Ruder herumreißen", sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter, der seit Jahrzehnten die Bundespolitik begleitet. Gibt es also Parallelen zwischen der existenziellen SPD-Krise vor 20 Jahren, die wenig später Schröder bei einer vorzeitigen Bundestagswahl 2005 das Amt des Kanzlers kostete?
"Olaf Scholz war 2004 in einer sehr schwierigen Zeit Generalsekretär", blickt Falter zurück. Er habe mit der Agenda 2010 eine Politik verteidigen müssen, die weder innerhalb der SPD noch in der Bevölkerung populär war. "Damals wie heute war sein Problem, dass er kein besonders mitreißender Kommunikator ist", sagt der Professor. Allerdings habe Scholz mehrfach Comeback-Fähigkeit bewiesen, erst als Arbeitsminister und vor allem, als er 2011 als Bürgermeister in Hamburg die absolute Mehrheit für die SPD zurückeroberte. "Eine Leistung von Olaf Scholz ist zweifellos, diese schwierige Koalition zusammenzuhalten", sagt Falter. Hier gehe er ziemlich geschickt vor. "Seine Schwäche in der Kommunikation hat er jedoch seit seiner Zeit als Generalsekretär nicht verloren."
Politikwissenschaftler Jürgen Falter erklärt die Ursachen der SPD-Krise
Die SPD steckt nach Ansicht des Parteienforschers mehr denn je in der Krise. In Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen liegen die Sozialdemokraten bei nur noch einstelligen Umfragewerten. Im Bund rangiert die Kanzlerpartei seit einem dreiviertel Jahr hinter der AfD. "Dass die SPD in einigen Bundesländern für sie gefährlich nahe an die Fünfprozenthürde abrutscht, spiegelt einen Trend wider, den man aus anderen europäischen Ländern kennt", sagt Falter. "In Italien und Frankreich sind die einst bedeutenden sozialdemokratischen Parteien im Schatten des Aufstiegs populistischer Kräfte fast völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwunden."
Auch in für die SPD-Krise lägen die Ursachen viel tiefer als im miserablen Erscheinungsbild der Ampel. "Auf die lange Zeit gesehen, kann man die vergangenen Jahrzehnte für die SPD seit der Kanzler-Ära von Willy Brandt trotz vieler Aufs und Abs insgesamt als Zeit des Niedergangs betrachten", sagt der langjährige Politikbeobachter. Dieser Niedergang treffe alle Volksparteien, aber die SPD besonders hart. "Bei der SPD gibt es dafür sowohl gesellschaftliche Ursachen als auch selbst zu verantwortende Gründe", sagt Falter.
Wie die SPD den Anschluss an die unteren Einkommensschichten verloren hat
Gesellschaftlich spiele der Faktor eine wichtige Rolle, dass es immer weniger Arbeiterinnen und Arbeiter gebe. "Waren in den 60ern noch gut 50 Prozent der Beschäftigten klassische Arbeiter, sind es heute nur weniger als ein Viertel", erklärt Falter. "Für die SPD ist damit nicht nur die Kernwählerschaft geschmolzen, sondern ihre Verwurzelung in den unteren Einkommensschichten der arbeitenden Bevölkerung." Heute seien die meisten SPD-Funktionäre bis auf die unteren Ebenen hauptsächlich Akademiker. "Sie sprechen meist eine völlig andere Sprache, als es die frühere Klientel der SPD gewohnt ist. Dadurch wächst die Kluft zwischen den urbanen akademischen SPD-Linken und den Werten ihrer einstigen Stammwählerschaft."
Die unteren Einkommensgruppen, die besonders unter der Inflation, hohen Energiekosten und steigenden Mieten litten, fühlten sich kaum noch durch die heutige SPD repräsentiert. Früher seien ähnliche Bevölkerungsgruppen bis in die höchsten Ebenen in der SPD vertreten gewesen und hatten Einfluss auf die Politik der Partei, heute finde man sie kaum noch unter den Funktionären. "Die SPD ist dadurch von der Lebenswelt ihrer einstigen Stammwähler entfremdet", sagt Falter. "Inzwischen ist die Union geschickter, volksnahe Politiker-Typen in Spitzenpositionen zu hieven."
Wie AfD und Wagenknechts BSW von der SPD-Schwäche profitieren
Und: Heute bekomme die SPD vor allem im Osten möglicherweise noch zusätzlich harte Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht und die AfD, erklärt der Professor von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Denn die AfD saugt ihre Wählerschaft aus sehr verschiedenen Quellen, zu denen in nennenswerter Zahl auch einstige Wähler der SPD gehören." In einigen Bundesländern habe die SPD größere Anteile ihrer Stammwähler an die AfD verloren als die Union. "Man hat aber schon bei Gerhard Schröder gesehen, als er mit seinem Krisenmanagement beim Elbe-Hochwasser punktete, dass man nie einen Kanzler abschreiben sollte", betont Falter. "Schon 2021 hat Scholz nur durch den Umstand die Wahl gewonnen, dass die Union mit Armin Laschet nicht den richtigen Kandidaten aufgestellt hatte."