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Schärferes Asylrecht, Verbot von Messern, mehr Abschiebungen: Der Überbietungswettbewerb nach dem Messeranschlag von Solingen bringt nicht mehr Sicherheit.

Kommentar

Sich mit Forderungen zu überbieten, bringt nicht mehr Sicherheit

Peter Müller
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    Nach der tödlichen Messerattacke auf einem Stadtfest in Solingen vom Freitagabend nimmt die politische Diskussion über ein schärferes Waffenrecht und Messerverbotszonen an Fahrt auf.
    Nach der tödlichen Messerattacke auf einem Stadtfest in Solingen vom Freitagabend nimmt die politische Diskussion über ein schärferes Waffenrecht und Messerverbotszonen an Fahrt auf. Foto: Thomas Banneyer, dpa

    Der Messerangriff von Solingen hat die Politik ruckartig aus der Sommerpause gerissen. Der Bundespräsident zeigt sich bestürzt, Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger warnt vor Volksfesten, die zu „Hochsicherheitszellen“ werden und Friedrich Merz fordert markig einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien: „Es reicht.“

    Die Wortmeldungen sollen Handlungsstärke beweisen und den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass die Politik ihre Sorgen verstanden hat. In Wahrheit kaschiert diese rhetorische Aufrüstung oft nur, dass in den Tagen nach dem Anschlag vor allem eines herrscht – Ratlosigkeit. Ersatzdebatten aber werden dem berechtigten Wunsch der Bürger nach Sicherheit nicht gerecht.

    Experten warnen schon lange, dass Europa im Visier der Extremisten ist

    Zu jeder ehrlichen Debatte gehört zunächst ein Blick auf die Fakten. Deutschland hat ein Problem mit kriminellen Ausländern, das lässt sich kaum bestreiten. Ausländer machen etwa 15 Prozent der Wohnbevölkerung in Deutschland aus, aber ungefähr 34 Prozent der erfassten Tatverdächtigen, wie die Kriminalstatistik verrät. Straftaten gegen das Ausländergesetz, die Deutsche nicht begehen können, sind hier schon herausgenommen, wie der Spiegel zuletzt vorrechnete. Bei Mord, Vergewaltigung, Raub, schwerer Körperverletzung sind die Unterschiede noch deutlicher.  

    Gleichzeitig warnen Experten schon länger davor, dass der Westen Europas immer stärker ins Visier islamischer Terroristen gerate. Im vergangenen Jahr gab es sieben durchgeführte dschihadistische Anschläge und Dutzende versuchte und vereitelte Pläne, wie der Terrorismusforscher Peter Neumann gezählt hat. Im Nachhinein ist man noch mehr erleichtert, dass EM und Olympische Spiele ohne Anschlag stattfinden konnten.

    Vorschläge, etwa für ein verschärftes Messerverbot, werden dieser ernsten Lage nicht gerecht. Sowohl in Solingen als auch zuvor in Mannheim fanden die Taten bei öffentlichen Veranstaltungen statt. Da ist das Tragen von Waffen schon heute verboten. Zudem hat der Islamische Staat schon oft genug bewiesen, dass ihm die Klingenlänge des Messers herzlich egal ist, mit dem er willkürlich Menschen tötet.

    Und was Merz‘ Vorstoß für einen Aufnahmestopp für Afghanen und Syrer angeht: Wenn der CDU-Chef Artikel 16a des Grundgesetzes außer Kraft setzen will, dann soll er es bitteschön so deutlich sagen. Solange aber gilt: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Dieser Satz macht keine Ausnahme bei Afghanen und Syrern.

    Ein strengeres Waffenrecht ist nicht nötig – das gültige muss aber durchgesetzt werden

    Statt die Bürger mit immer neuen Forderungen kirre zu machen, sollten Politik und Behörden all die Gesetze, die es längst gibt, konsequent anwenden. Dass Flüchtlinge, die an den EU-Außengrenzen ankommen, dort registriert und ersten Sicherheitschecks unterzogen werden, ist beispielsweise geltende Rechtslage. Wahr ist aber auch, dass noch immer zahllose Migranten weiter nach Deutschland reisen, von denen niemand weiß, wer sie sind.

    Abschiebungen müssen konsequent durchgeführt werden, ein zweiter wichtiger Punkt. Wenn sich Herkunftsländer weigern, ihre Staatsbürger zurückzunehmen, dann könnte womöglich ein Hinweis auf die vielen Millionen Euro an Entwicklungshilfe, die Deutschland vielen dieser Länder überweist, ein Umdenken beschleunigen.

    Schließlich brauchen die deutschen Behörden die nötige Ausstattung und Befugnisse. Dass die Abschiebung des tatverdächtigen Syrers in Solingen daran scheiterte, dass er in seiner Asylunterkunft nicht auffindbar war, kann man im Grunde niemanden mehr erklären.

    Es stimmt schon, es gibt beim Themenfeld Migration und Flucht, Extremismus und Integration keine einfachen Lösungen. Dennoch hat Deutschland die Wahl: Entweder wir sagen, wir schaffen das. Dann müssen wir viel mehr Geld und noch mehr Anstrengung in die Integration stecken. Oder wir sagen, wir schaffen das nicht. Dann sollte die Bundesregierung dafür sorgen, dass weniger Menschen ins Land kommen. Wenn demokratische Politik jetzt nicht beweist, dass sie handlungsfähig ist, dann gewinnen die Gegner der Demokratie.

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    6 Kommentare
    Raimund Kamm

    Danke, Herr Müller, für diesen besonnenen Kommentar! Ich will Ihre Aussage „noch mehr Anstrengung in die Integration stecken“ unterstreichen und zuvor feststellen, dass auch das kein Patentrezept ist. Wenn Asylbewerber zu uns kommen und dann im gesellschaftlichen Abseits landen, wächst bei einigen von ihnen die Gefahr, dass sie von „Rattenfängern“ manipuliert werden. Von diesen sogar zum Töten instrumentalisiert werden. Eine Idee: Wenn alle Asylbewerber wöchentlich eine Doppelstunde „Unser Deutschland“ bekämen, würde mancher besser integriert. Das könnte in einem Vertrag „Asylbewerbung“ zwischen unserem Staat und den Bewerbern ausgemacht werden. Dabei würden auch sich „asozial Verhaltene“ sichtbar und sollten schnell abgeschoben werden. Dass viele Asylbewerber bei uns jahrelang ohne Perspektive und ohne Einbindung in unsere Gesellschaft vegetieren, führt zu menschlichen Katastrophen.

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    Thomas Grüner

    Eine Idee: Wenn alle Asylbewerber wöchentlich eine Doppelstunde „Unser Deutschland“ bekämen, würde mancher besser integriert. Ja, Herr Kamm, weiter so, mehr von diesen Ideen.

    Helmut Eimiller

    Wäre dann nur noch die Frage zu klären, in welcher Sprache diese Doppelstunde angeboten wird. Aber Herr Kamm sieht das im Prinzip schon richtig, die Menschen, die bereits da sind (die schon "in unserer Straße wohnen", habe ich im US-Wahlkampf gehört), müssen integriert werden. Und dass die Integration ins Arbeitsleben um so schwerer fällt, je länger den Menschen der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht möglich ist, ist allgemein bekannt.

    Thomas Keller

    Das Thema Sicherheitschecks wird schwierig. Wenn der Reisepass schon verloren wurde, dann ist auch ein Führungszeugnis des Herkunftslands ebenso nicht verfügbar, so es denn sowas überhaupt gäbe. Ebenso fehlen Geburtsregisterauszüge und Meldebescheinigungen. Auch sind Ähnlichkeiten bei Namen oder die spontane Namensänderungen wohl dort möglich. Wie Deutschland funktioniert die halbe Welt nicht. Einzig über biometrische Methoden lassen sich Leute zuordnen. Oder der Schutzsuchende wird über seine Wanze(Mobiltelefon) geortet, dies beisst sich wieder mit dem Datenschutz usw.

    Richard Markl

    Im konkreten Fall hätte man ihn nach Bulgarien abschieben können. Die Ausländerbehörde hat einen Versuch unternommen, aber er war nicht in der Unterkunft (was untertags schon mal vorkommen kann) und man hat sich auch nicht vor Ort erkundigt, wo er denn sein könnte. Man hätte ihn dann noch zur Fahndung ausschreiben können, dann hätte sich die Frist zur Abschiebung von 6 auf 18 Monaten verlängert. Hat man aber nicht. Offenbar passiert vielerorts nicht mal das, was in Solingen versucht wurde im Hinblick auf Abschiebung. Ich vermute eine Überlastung der kommunalen Ausländerbehörden. Man stattet sie wahrscheinlich personell und qualitativ zu schwach aus um das alles bewältigen zu können. Die Länder und der Bund delegieren das locker nach unten (?) und bitten höflich um die Umsetzung ihrer Gesetze. Mich würden aktuelle Berichte aus der Region von kleinen und größeren Ausländerbehörden interessieren und wie die das sehen und mit dem Problem zurecht kommen.

    Holger Bewart

    Vielleicht sollte man auch ein Punktesystem einführen. Innerhalb eines gewissen Zeitraums muss man 100 Punkte erreichen, z.B. durch erfolgreich besuchten Deutschkurs, Werte- und Politikunterricht, soziales Engagement,… Wer die schafft, darf sich frei bewegen und eine Arbeitstätigkeit aufnehmen. Die, die es nicht schaffen, bekommen die gelbe Karte und nochmal mehr Zeit. Klappt es dann nicht, werden sie entweder abgeschoben oder dürfen das Aufnahmelager nicht verlassen.

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