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Sahra Wagenknecht im Interview über BSW und Regierung

Interview

Sahra Wagenknecht: „Wir sind keine linke, sondern eine linkskonservative Partei“

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    BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht bei einer Wahlkampfveranstaltung ihrer Partei, die durch ihre guten Wahlergebnisse für Aufsehen gesorgt hat. .
    BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht bei einer Wahlkampfveranstaltung ihrer Partei, die durch ihre guten Wahlergebnisse für Aufsehen gesorgt hat. . Foto: Michael Bahlo, dpa

    Frau Wagenknecht, Ihre junge Partei hat in den zurückliegenden Monaten vier Wahlerfolge in Serie eingefahren. Hätten Sie es für möglich gehalten, dass das BSW so schnell so stark wird?
    SAHRA WAGENKNECHT: Das konnte man in dieser Form nicht vorhersehen. Als wir die Partei gegründet haben, haben wir das aus der Analyse heraus getan, dass sich sehr viele Menschen in Deutschland eine andere Politik wünschen, dass viele politisch heimatlos geworden sind. Und natürlich haben wir gehofft, dass wir Rückhalt und Zuspruch bekommen. Dass uns jetzt ein solcher Vertrauensvorschuss gegeben wird, das freut mich riesig. Aber es ist natürlich auch eine Verantwortung, wir dürfen unsere Wähler nicht enttäuschen.

    Was sind die entscheidenden Gründe für den Erfolg Ihrer jungen Partei?
    WAGENKNECHT: Wir haben eine große Unzufriedenheit im Land mit der herrschenden Politik. In den letzten 25 Jahren ist das Leben für die ärmere Hälfte der Bevölkerung und für große Teile der Mittelschicht nicht besser, sondern härter geworden. Wenn ich mir alleine anschaue, wie lange Kassenpatienten auf einen Termin beim Facharzt warten, wie marode unsere Brücken und wie unpünktlich unsere Züge sind, wie viel Unterricht in den Schulen ausfällt, dann sind das einige Beispiele, die die Menschen zu Recht empören. Hinzu kommen die Fehlentscheidungen der Corona-Zeit, die bis heute nicht aufgearbeitet sind, die unkontrollierte Migration und schließlich die wachsende Kriegsgefahr.

    Sie haben einen Mann an ihrer Seite, der seit Jahrzehnten die Politik in diesem Lande mitbestimmt. Oskar Lafontaine ist ein Vollblutpolitiker. Welchen Anteil hat er an Gründung und Erfolg des BSW?
    WAGENKNECHT: Natürlich besprechen wir viele Dinge. Seine Meinung, seine Einschätzungen sind für mich sehr wichtig. Aber er ist jetzt in einem Lebensalter, in dem er sich die aktive Parteiarbeit nicht mehr antut.

    Und am Esstisch daheim reden Sie beide nur über Politik oder haben Sie auch andere Themen?
    WAGENKNECHT: Wir reden auch darüber, dass jetzt endlich die Steinpilzsaison begonnen hat und über viele andere Dinge, es gibt wirklich Schöneres als Politik. Aber wenn zwei Menschen zusammen sind, die beide sehr aktiv in der Politik waren, beziehungsweise sind, redet man natürlich auch über Politik.

    Sie kommen in die für eine junge Partei große Verlegenheit, wahrscheinlich bald Minister in Landesregierungen entsenden zu müssen. Die Landesverbände haben aber nur mehrere Dutzend Mitglieder. Deshalb stellt sich die Frage: Haben Sie genügend Leute für diese wichtigen Aufgaben?
    WAGENKNECHT: Über Minister reden wir, wenn wir uns mit den potenziellen Koalitionspartnern auf ein gutes Regierungsprogramm geeinigt haben. Wir werden nur dann in eine Regierung gehen, wenn sich die Politik wirklich verändert. Wir sind nicht dafür gewählt worden, den anderen Parteien ein Weiter-So zu ermöglichen. Wir sind gewählt worden, um eine verantwortungsvollere Außenpolitik, bessere Bildung, mehr innere Sicherheit, eine Aufarbeitung der Corona-Zeit, weniger Migration und bessere Integration zu erreichen. Wir fordern beispielsweise ein Corona-Amnestiegesetz. Nicht nur die laufenden Verfahren müssen eingestellt werden, wie Herr Söder das jetzt plant, auch bereits gezahlte Strafen sollten rückerstattet werden. Slowenien hat das schon 2023 gemacht. Während der Pandemie wurden Regeln erlassen, von denen man im Nachhinein weiß, dass ihnen die wissenschaftliche Grundlage fehlte.

    Sie haben es angesprochen, mehr Lehrer, mehr Polizisten. Darauf können sich alle Parteien einigen, aber backen kann man sich dieses Personal nicht.
    WAGENKNECHT: Das stimmt. Man muss schneller ausbilden, Quereinsteiger schulen und vor allem den Beruf wieder attraktiv machen. Da geht es um bessere Bezahlung, mehr öffentliche Wertschätzung, aber auch Entlastung. Lehrer etwa werden heute mit vielen bürokratischen Auflagen und sachfremden Aufgaben belastet. Wir müssen aber auch etwas an der Ausbildung verändern. Mathematiklehrer etwa müssen heute im Studium mit künftigen Mathematikern gleichziehen. Das schreckt viele ab oder führt zum Abbruch des Studiums. Schulen in ärmeren Vierteln, in denen die Mehrzahl der Kinder oft zu Beginn kaum Deutsch spricht und es kulturelle Konflikte gibt, müssen personell weit überdurchschnittlich ausgestattet werden.

    Woher soll das Geld kommen? Für die Länder gilt ebenfalls die Schuldenbremse des Grundgesetzes.
    WAGENKNECHT: Zum einen gibt es in den meisten Haushalten Dinge, die man sich sparen kann. Investitionen in die marode Infrastruktur wiederum sollte man tatsächlich über Kredite und nicht aus dem laufenden Haushalt finanzieren. Inzwischen umgehen viele Bundesländer die Schuldenbremse, wofür es viele Möglichkeiten gibt. Besser wäre es, sie vernünftig zu reformieren.

    Das BSW hat noch nicht in allen Bundesländern eigene Landesverbände gegründet. Wie sieht es im Süden Deutschlands aus – in Bayern und Baden-Württemberg?
    WAGENKNECHT: Wir werden noch in diesem Jahr alle Landesverbände gründen. Es fehlen noch sechs. In Bayern wird das am 16. November geschehen. Immerhin ist möglich, dass die unselige Ampel sich doch noch vorfristig zerlegt und es dann vorgezogene Neuwahlen gibt.

    Gerade in Bayern haben es linke Parteien traditionell schwer, wie die Beispiele SPD und Linke zeigen. Was rechnen Sie sich im Freistaat aus?
    WAGENKNECHT: Wir sind keine linke, sondern eine linkskonservative Partei. Bei der Europawahl haben wir in Bayern mit knapp 4 Prozent ein respektables Ergebnis geholt. Beim Aschermittwoch habe ich erlebt, wie groß das Interesse ist. Es gibt rund 1000 Menschen, die in Bayern als BSW-Unterstützer aktiv sind. Das Problem mit den sogenannten linken Parteien ist doch, dass sie schon lange nicht mehr für soziale Gerechtigkeit stehen, sondern für abgehobene Diskurse unter Privilegierten. Das fängt bei Sprachverboten an und hört bei Ratschlägen für das Essen oder den Einkauf im Biomarkt auf. Die meisten Leute sagen, hört auf, mich zu belehren und zu gängeln, ich habe außerdem andere Sorgen.

    In Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird ihre Partei gebraucht, wenn eine tragfähige Koalition gegen die AfD gebildet werden soll. Wie liefen die Gespräche mit Michael Kretschmer, Mario Voigt und Dietmar Woidke?
    WAGENKNECHT: Die liefen konstruktiv, aber das ist natürlich nur ein Anfang. Ich habe deutlich gemacht, dass wir uns nicht an einer Koalition beteiligen werden, mit der wir unsere Wähler enttäuschen.

    Waren die drei Politiker bereit, dass die Ihnen wichtige Frage von Krieg und Frieden in der Ukraine Eingang in einen Koalitionsvertrag findet?
    WAGENKNECHT: Sie waren aufgeschlossen. Es gab schon viele Koalitionsverträge, in denen die Parteien sich auch zu außenpolitischen Fragen positioniert haben. Und es ist ein urdemokratisches Anliegen, dass eine Landesregierung das vertritt, was die übergroße Mehrheit der Menschen in dem betreffenden Land möchte. Im Osten lehnen zwei Drittel die Stationierung weitreichender US-Raketen in Deutschland ab. Eine Regierung muss dieser Position Ausdruck verleihen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Bundeskanzler Scholz ohne jede Debatte, ohne irgendeine Erklärung mal eben am Rande eines Nato-Gipfels eine solche Entscheidung trifft, die das nukleare Risiko für unser Land erheblich erhöht.

    In Ihren Programmpunkten auf der BSW-Internetseite kritisieren Sie die USA als aggressive Führungsmacht der Nato. Ihre alte Partei, die Linke, hatte stets die Auflösung der Nato gefordert. Wie stehen Sie heute zum Militärbündnis?
    WAGENKNECHT: Es geht nicht darum, dass die USA kein Partner Deutschlands mehr sein sollten, sondern um Partnerschaft auf Augenhöhe, statt Unterwürfigkeit und Vasallentum. Die Vereinigten Staaten haben vielfach andere Interessen als wir, wirtschaftlich und geostrategisch. Und die verfolgen sie ohne allzu große Rücksichtnahme auf ihre „Partner“. Es gibt Kreise in Washington, die einen auf Europa begrenzten Nuklearkrieg für ein kalkulierbares Risiko halten. Das war schon im Kalten Krieg so, Helmut Schmidt hat damals dagegen rebelliert. Das Pentagon hat vor Kurzem für 34 Millionen Dollar eine Studie ausgeschrieben, die untersuchen soll, was ein europäischer Atomkrieg für die globale Nahrungsmittelversorgung bedeuten würde. Solche Planspiele sind Wahnsinn. Deshalb brauchen wir einen selbstbewussten Bundeskanzler, und keinen, der alles mitmacht. Das betrifft auch unsere Wirtschaft. Wir haben als Europäer, auch gerade als Deutsche, ein elementares Interesse an stabilen Handelsbeziehungen sowohl zu China als auch zu Russland.

    Der Krieg in der Ukraine und der Energiepreisschock haben doch gezeigt, dass es nicht gut ist, von russischen Lieferungen abhängig zu sein … 
    WAGENKNECHT: Russland hat so lange vertragstreu geliefert, bis wir begonnen haben, es mit massiven Sanktionen zu überziehen. Das Land hat riesige Rohstoffreserven. Und wir erleben jetzt, wie schwer es ist, uns von Öl und Gas aus Russland unabhängig zu machen. Unsere Energieversorgung ist nicht gesichert, darauf hat kürzlich auch der Bundesrechnungshof hingewiesen. Ähnlich übrigens bei wichtigen Metallen, die wir unverändert aus Russland importieren, weil unsere Industrie sie braucht. Schon in der Zeit des Eisernen Vorhangs hat die Bundesrepublik von preiswerter russischer Energie profitiert. Mit einer Moralisierung von Außenwirtschaftsbeziehungen schädigen wir nicht Putin, sondern nur uns selbst - und es ist ja auch eine Doppelmoral. Wenn man kein russisches Gas mehr kauft, aber bei dem Hamas-Finanzier Katar betteln geht, dann ist das keine zielführende Strategie.

    Ein für Sie zentraler Punkt ist ein Ende des Krieges in der Ukraine, weshalb Sie für ein Ende der Waffenlieferungen an Kiew eintreten. Für einen Frieden brauchte es die Bereitschaft beider Kriegsparteien, Russland besteht aber auf seinen Kriegszielen. Wie soll das Töten enden, ohne dass sich Kiew dem Aggressor unterwirft?
    WAGENKNECHT: Durch Kompromisse. In der englischsprachigen Presse wird immer wieder berichtet, dass Putin anbietet zu verhandeln. China und Brasilien haben einen Friedensplan vorgelegt. Beide Länder haben international erhebliches Gewicht. Wieso unterstützen wir das nicht? China ist ein Land, das auch ziemlichen Einfluss auf Russland hat. Wenn es einen chinesischen Friedensplan gibt, kann man davon ausgehen, dass der nicht völlig aussichtslos wäre.

    Der ukrainische Präsident Selenskyj hat auch einen Friedensplan vorgelegt. Warum nicht diese Initiative unterstützen?
    WAGENKNECHT: Weil ein Siegplan, wie Selenskyj ihn selbst nennt, völlig unrealistisch ist. Wir müssen aufhören mit diesen Maximalforderungen. Der Ukraine gehen aktuell nicht nur die Waffen aus, ihr gehen vor allem die Soldaten aus. Die jungen Männer in der Ukraine wollen sich nicht mehr auf diesem schrecklichen Schlachtfeld hinmetzeln lassen und deswegen braucht es Kompromissbereitschaft. Das heißt nicht kapitulieren, aber es heißt, eine Lösung zu finden, mit der beide Seiten leben können. Auch Russland zahlt schließlich einen hohen Preis. Die zentrale Frage war immer die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Die Russen wollen kein US-Militär an ihrer Grenze, sie wollen nicht, dass die Ukraine zu einem militärischen Vorposten der Vereinigten Staaten wird. In dieser Frage sollte man kompromissbereit sein und dann schauen, wie wir die regionalen, die territorialen Konflikte lösen können.

    Zur Person

    Sahra Wagenknecht, 55, geboren in Jena, galt in der Linkspartei als bekannteste Vertreterin des linken Flügels. Wagenknecht ist seit 2009 Mitglied des Bundestages. Anfang 2024 gründete sie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Sie ist in zweiter Ehe mit dem früheren SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine verheiratet.

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