Bundeskanzler Olaf Scholz sieht in seinem jüngsten Kurswechsel in der Ukraine-Politik keine Gefahr. "In der Sache sind wir sicher, dass es nicht zu einer Eskalation beiträgt, weil - wie der amerikanische Präsident ja auch geschildert hat - es nur darum geht, dass zum Beispiel eine Großstadt wie Charkiw verteidigt werden kann", sagte der SPD-Politiker in einem Interview von Antenne Bayern. "Und das, glaube ich, leuchtet jedem ein, dass das möglich sein muss." Vizekanzler Robert Habeck bedauerte dagegen, dass Scholz seinen Kurswechsel nicht früher vollzogen hat. Zugleich aber verteidigte er die Entscheidung.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte über die Entscheidung des Kanzlers informiert, dass die von Russland angegriffene Ukraine von Deutschland gelieferte Waffen jetzt auch gegen militärische Ziele in Russland abfeuern darf. Zuvor hatte die US-Regierung der Ukraine die Erlaubnis erteilt, amerikanische Waffen in begrenztem Umfang gegen Ziele auf russischem Gebiet einzusetzen.
Die Opposition fordert dennoch eine Erklärung des Kanzlers zu diesem Wechsel in der Ukraine-Politik. Unter anderem deswegen will Scholz (SPD) an diesem Donnerstag im Bundestag eine Regierungserklärung zur aktuellen Sicherheitslage abgeben.
Habeck verteidigt Kurswechsel
Habeck sagte der "Augsburger Allgemeinen", die Ukraine müsse die Angriffe aus Russland verhindern dürfen, um das Leben von Kindern, Frauen, Männern besser schützen zu können. Ihr das zu untersagen, würde den Tod weiterer Menschen bedeuten. "Die Regelung jetzt betrifft eine lokal genau begrenzte Region um Charkiw herum. Zur Selbstverteidigung, zum Schutz. Aber es gilt auch: Alles, was wir entschieden haben, hätten wir schneller entscheiden können."
Zugleich verteidigte der Grünen-Politiker Scholz aber gegen den Vorwurf des Zauderns. "Zaudern ist das falsche Wort. Es sind extrem schwierige Entscheidungen zu fällen und deshalb ist es gut, wenn man genau abwägt", sagte Habeck. "In diesem Fall ist richtig entschieden worden."
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) signalisierten bereits vor längerer Zeit Offenheit für eine Aufhebung von Beschränkungen. Die SPD als größter Koalitionspartner des Ampel-Bündnisses warnt hingegen vor einer direkten Konfrontation mit Russland, sollte der Kreml die Militärhilfe als aggressiven Akt bewerten.
Harris nimmt an Friedensgipfel teil
US-Vizepräsidentin Kamala Harris wird am Ukraine-Friedensgipfel teilnehmen, der am 15. und 16. Juni in der Schweiz stattfinden soll. Harris werde das Engagement der US-Regierung unterstreichen, "die Ukraine in ihren Bemühungen um einen gerechten und dauerhaften Frieden zu unterstützen", teilte das Weiße Haus mit. Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, werde Harris auf der Reise begleiten.
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj haben mehr als 100 Staaten und Organisation ihre Teilnahme an dem Gipfel bestätigt. Das Treffen in Bürgenstock bei Luzern, zu dem Russland nicht eingeladen ist, soll mehr internationale Unterstützung für die angegriffene Ukraine mobilisieren. Zuvor hatte Selenskyj in einem emotionalen Appell um die persönliche Teilnahme Bidens bei dem Gipfel geworben. US-Medien hingegen hatten schon Ende Mai berichtet, dass Biden zum Zeitpunkt des Gipfels an einer Wahlkampfveranstaltung im kalifornischen Los Angeles teilnimmt.
Soldaten-Frauen protestieren vor Verteidigungsministerium
Ehefrauen und Mütter russischer Soldaten haben in Moskau für die Rückkehr der Männer aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine demonstriert. In sozialen Netzwerken wurden Fotos und Videos veröffentlicht, die knapp zwei Dutzend Frauen teils mit kleinen Kindern auf dem Bürgersteig vor dem russischen Verteidigungsministerium zeigen.
Mehrere Demonstrantinnen hatten Plakate mitgebracht mit Aufschriften wie "Es ist Zeit für die Mobilisierten, nach Hause zurückzukehren" und "Bringt Papa bitte nach Hause!". Öffentliche Anti-Kriegs-Aktionen sind in Russland angesichts massiver staatlicher Repressionen sehr selten.
Baby unter Verletzten nach Raketenangriff auf Dnipro
Bei einem russischen Raketenangriff auf die ukrainische Millionenstadt Dnipro wurden mindestens sieben Menschen verletzt, darunter ein Baby und ein 17-Jähriger. "Ein Junge im Alter von einem Monat ist in zufriedenstellendem Zustand und wird ambulant behandelt", schrieb der Militärgouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Serhij Lyssak, am Dienstag auf seinem Telegramkanal. Der 17-Jährige musste demnach ins Krankenhaus gebracht werden. Mehrere Wohnhäuser und Autos seien durch die Explosion und einen anschließenden Brand beschädigt worden.
London: Russen machen kleinere Gewinne in der Ostukraine
Russland greift in der Ostukraine nach britischer Einschätzung vor allem im Bereich der Städte Awdijiwka und Pokrowsk an. "Russische Kräfte haben kleinere Gewinne gemacht, im nördlichen Abschnitt dieser Front in Richtung der Dörfer Sokil und Jewheniwka", teilte das britische Verteidigungsministerium am Dienstag mit Blick auf das Kampfgeschehen mit.
Wenige Kilometer südlich hätten die Russen vermutlich die Außenbereiche der Siedlung Nowosseliwka Perscha erreicht. "Weiter südlich haben russische Kräfte keine nennenswerten Gewinne gemacht, trotz heftiger Angriffe auf ukrainische Positionen westlich des Dorfs Netajlowe, entlang der Autobahn E50."
Stack-Zimmermann begrüßt Kurswechsel der Bundesregierung
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hat den Kurswechsel der Bundesregierung beim ukrainischen Einsatz von Waffen aus Deutschland gegen Militärziele in Russland begrüßt.
"Das Völkerrecht sieht ausdrücklich auch gezielte Angriffe als Verteidigung vor. Das heißt konkret, dass es völkerrechtskonform ist, dass die Ukrainer sich wehren, dass wir mit Waffen und Material helfen, und dass der Aggressor bereits im Vorfeld ausgeschaltet wird. Das gilt ausdrücklich nur für militärische Ziele", sagte die FDP-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Sie kritisierte: "Das hätte deutlich früher kommen müssen."
Russland zerstört neun Gigawatt Kraftwerksleistung
Russische Raketen- und Drohnenangriffe haben nach Angaben aus Kiew mehr als neun Gigawatt Kraftwerksleistung in der Ukraine zerstört.
"Die Situation ist sehr ernst", sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal bei einer Regierungssitzung. Der Netzbetreiber Ukrenerho sei aufgrund des Energiemangels zu planmäßigen Stromsperren gezwungen. In Kiew wurde am Nachmittag in mehreren Stadtbezirken wegen Überschreitung der zulässigen Höchstverbrauchsmenge der Strom außerplanmäßig abgeschaltet.
(dpa)