Es war um 2.30 Uhr am Montagmorgen, als die Wahlsiegerin zum ersten Mal in Erscheinung trat. Blitzlichtgewitter im römischen Nobelhotel Parco die Principi. Giorgia Meloni betritt in weißen Turnschuhen und hellem Jackett die Bühne. Am Ende stellte sie sich den Fotografen mit dem Victory-Zeichen. Denn daran besteht kein Zweifel: Die 45-Jährige ist die große Siegerin der Parlamentswahl in Italien. Mit aller Wahrscheinlichkeit wird Staatspräsident Sergio Mattarella ihr in wenigen Wochen einen Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Meloni würde dann Italiens erste Ministerpräsidentin. Das Parlament soll am 13. Oktober erstmals zusammenkommen.
„Die Wähler haben einen klaren Auftrag für eine Mitte-rechts-Regierung unter Führung der Brüder Italiens erteilt“, sagt sie ins Mikrofon. Melonis postfaschistische, nationalistische Partei, die 2018 etwas mehr als vier Prozent der Stimmen erreichte, kam auf 26 Prozent der Stimmen. Die rechte Lega erreichte nur neun Prozent. Beide Parteien werden in der neuen Regierung den Ton angeben. Insgesamt kann sich die Rechtsallianz mit den Stimmen von Silvio Berlusconis Forza Italia (acht Prozent) auf eine absolute Mehrheit im Parlament stützen. Der Gewinn zahlreicher Direktmandate macht das möglich.
Der Vorsprung für die Rechtsallianz in Italien ist komfortabel
Der Wahlforscher Lorenzo Pregliasco (YouTrend) rechnet mit 115 Senatoren für die Rechtsallianz in der wichtigeren, weil kleineren Parlamentskammer mit fortan 200 Mitgliedern. Das ist ein solider Vorsprung. Zweitstärkste Partei wurden die Sozialdemokraten mit 19 Prozent. Parteichef Enrico Letta kündigte angesichts des schwachen Ergebnisses an, künftig nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Die Fünf-Sterne-Bewegung mit Ex-Premier Giuseppe Conte, seit 2018 stärkste Kraft im Parlament, erreichte 15,5 Prozent.
Schon im Wahlkampf hatte Meloni zuletzt mildere Töne angeschlagen. Auch am Montag berief sie sich auf den „Respekt, der die Basis für jedes demokratische System ist“. Angesichts der besonders komplizierten Lage, in der sich Italien und die EU durch Energiekrise, Inflation und Ukraine-Krieg befinden, sei nun „die Hilfe aller“ vonnöten. Im Wahlkampf gab sich Meloni als Befürworterin der Nato, Unterstützerin der Ukraine und Kritikerin der EU. Sie hatte etwa angekündigt, die EU-Corona-Hilfen neu zu verhandeln und hart gegen Migranten vorzugehen. Die Römerin polemisierte außerdem gegen die LGBTQ-Gemeinde und gegen das Recht auf Abtreibung.
Die Italiener hätten die Brüder Italiens gewählt, sie werde Italien „nie verraten, so wie wir Italien nie verraten haben“. Beobachter erkannten darin eine Anspielung auf die Geschichte ihrer 2012 gegründeten Partei, die eine Flamme als Nachfolgepartei der italienischen Neofaschisten im Symbol trägt. Ex-Außenminister Gianfranco Fini, einer der ersten Förderer Melonis, hatte der neofaschistischen Vergangenheit 1995 eine Absage erteilt, eine Tatsache, die viele Meloni-Anhänger bis heute kritisieren. Die gewisse, nicht explizit erklärte Kontinuität zum totalitären Regime Benito Mussolinis ist eine der Konstanten in der Meloni-Partei.
„Die Italiener sollen wieder stolz darauf sein, Italiener zu sein, und die Trikolore-Fahne schwingen“, rief sie am Montagmorgen ins Publikum. Glückwünsche kamen unter anderem von Melonis Alliierten aus Ungarn und Frankreich. „Bravo, Giorgia!“, schrieb Ungarns Präsident Viktor Orbán auf Facebook. „Ein mehr als verdienter Sieg.“ Marine Le Pen vom rechten Rassemblement National gratulierte Meloni zu einem „großen Sieg“. Das italienische Volk habe beschlossen, „sein Schicksal wieder in die Hand zu nehmen, indem es eine patriotische und souveräne Regierung wählt“.
Viel hängt nun von Melonis Verbündeten Salvini und dem 86 Jahre alten Berlusconi ab. Beide Parteien, Lega und Forza Italia, sind für die Regierungsbildung notwendig. Für Salvini ist das Wahlergebnis eine herbe Niederlage, 2018 holte die Lega noch etwa doppelt so viele Stimmen. Das Ergebnis nannte Salvini „nicht zufriedenstellend“, fügte aber hinzu: „Wir werden Protagonisten in der neuen Regierung sein und fünf Jahre regieren.“ Salvini stellte öffentlich keine Forderungen im Hinblick auf Regierungsämter wie etwa das bereits von ihm geführte Innenministerium. „Meloni muss auf Salvini aufpassen“, sagte Wahlforscher Pregliasco. „Er könnte ihr mittelfristig Probleme bereiten.“
Die Wahlbeteiligung in Italien sackte auf nur 64 Prozent ab
„In Parteien, die ganz auf ihre Leader zugeschnitten sind, hängt viel von den jeweiligen Persönlichkeiten ab“, sagte die Politologin Sofia Ventura über Melonis Koalitionspartner. Auch die niedrige Wahlbeteiligung am Sonntag war ein Thema. Sie lag bei nur 64 Prozent und damit neun Prozentpunkte unter dem Wert von 2018. Politologin Ventura analysierte: „Wir befinden uns bereits in einer postpopulistischen Phase, in der ein Teil der Wählerschaft auch nicht mehr an die Ankündigungen des Populismus glaubt.“
Seit der letzten Parlamentswahl in Italien 2018 lösten sich in Rom drei Regierungen ab, die alle nur etwas länger als ein Jahr hielten. Der Glaube an die Politik ist in Italien an einem Tiefpunkt angekommen. Meloni muss Italien nun in schwierigen Zeiten führen. Energiekrise, Inflation und der Krieg in der Ukraine sind dabei die größte Herausforderung. Wie sie die angehen will, blieb am Tag nach dem Wahlsieg offen: Auf Stellungnahmen und eine bereits angekündigte Pressekonferenz verzichtete sie.