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Rolf Mützenichs Plan: So will die SPD das Vertrauen zurückgewinnen

Interview

SPD-Fraktionschef Mützenich: "Das Liebeswerben von Herrn Söder interessiert mich nicht"

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    SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich räumt ein: „Oft hat die Koalition in der Öffentlichkeit leider kein besonders gutes Bild abgegeben.“
    SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich räumt ein: „Oft hat die Koalition in der Öffentlichkeit leider kein besonders gutes Bild abgegeben.“ Foto: Fabian Sommer, dpa

    Herr Mützenich, es ist noch knapp ein Jahr bis zur Bundestagswahl. Wie lange, glauben Sie als SPD-Fraktionschef, hält die Ampelkoalition noch zusammen?
    ROLF MÜTZENICH: Unser Ziel ist es, bis zum Ende der Legislaturperiode zu arbeiten und gut zu regieren. Das ist der Auftrag, den uns die Wählerinnen und Wähler vor drei Jahren erteilt haben. Oft hat die Koalition in der Öffentlichkeit leider kein besonders gutes Bild abgegeben. Das liegt auch daran, dass einige Themen miteinander verknüpft wurden, die gar nichts miteinander zu tun haben. Das hat einen Fortschritt häufig blockiert. Dennoch haben wir in meiner Fraktion sehr gewissenhaft gearbeitet, um den Koalitionsvertrag umzusetzen, und das ist uns in weiten Teilen gelungen.

    Was ist aus Sicht der Menschen in Deutschland noch von dieser Regierung zu erwarten?
    MÜTZENICH: Was wir jetzt aus sozialdemokratischer Sicht erreichen wollen, sind ein guter Haushalt, die Absicherung stabiler Renten und das Tariftreuegesetz. Unser Ziel ist es, das Rentenniveau festzuschreiben, damit auch die Jüngeren ihren Lebensabend gut gestalten können. Das möchten wir gesetzlich verankern und in den anstehenden Haushaltsberatungen beschließen. Und wir wollen über ein Tariftreuegesetz sicherstellen, dass gute Arbeit auch gut entlohnt wird. Zudem wollen wir das Mietrecht für faire Mieten modernisieren und vor allem Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit als führendes Industrieland stärken. Der industriepolitische Gipfel, den der Bundeskanzler angekündigt hat, wird nächste Woche wichtige Impulse setzen, insbesondere in den Bereichen Energiepreise, Digitalisierung und Infrastruktur.

    Bei Ihrer Rentenreform müssen vor allem junge Menschen höhere Beiträge fürchten. Wie wollen Sie die steigenden Sozialbeiträge in den Griff bekommen?
    MÜTZENICH: Diese Herausforderung darf man nicht kleinreden, und die alternde Bevölkerung macht es nicht leichter. Der Fachkräftemangel belastet das Sozialversicherungssystem zusätzlich. Deshalb ist es eine der großen Leistungen dieser Koalition, dass wir Zuwanderung und das Staatsangehörigkeitsrecht neu geregelt haben, um mehr Arbeitskräfte zu gewinnen. Wir wollen durch bessere Betreuungsangebote, insbesondere für Frauen, die Erwerbsbeteiligung steigern. Zudem wollen wir Anreize für jene Menschen schaffen, die länger arbeiten wollen. Wenn mehr Menschen in die Sozialversicherung einzahlen und die Einkommen steigen, werden auch die Beiträge überschaubar bleiben.

    Kann das angesichts der Bevölkerungsentwicklung wirklich ausreichen?
    MÜTZENICH: Ich kann mich noch gut an die Debatten der 80er-Jahre erinnern, als Fachleute einen baldigen Kollaps der Rentenversicherung vorhergesagt haben. Nichts davon ist eingetreten, weil die Zahl der Erwerbstätigen, insbesondere bei den Frauen, und die Produktivität gestiegen sind. Aber wir müssen auch angesichts der Bevölkerungsentwicklung über eine gerechtere Steuerpolitik sprechen. Die Schere zwischen Arbeitenden und einer kleinen Gruppe extrem Wohlhabender wird immer größer. Eine stärkere Besteuerung großer Vermögen könnte das umlagefinanzierte Sozialversicherungssystem entlasten.

    Ihre Steuerpläne werden wenig Chancen haben, falls Sie 2025 gezwungen sind, mit der Union zu regieren. Was sagen Sie eigentlich zum Liebeswerben von Markus Söder um die Sozialdemokraten, mit dem der CSU-Chef eine schwarz-grüne Koalition auf jeden Fall ausschließen will?
    MÜTZENICH: Das „Liebeswerben“ von Herrn Söder interessiert mich nicht. Wichtiger ist, dass alle Parteien erkennen, wie wichtig ein ausreichend finanzierter Staat für das Gemeinwohl ist. Das sollte insbesondere für einen bayerischen Ministerpräsidenten gelten: Bayern hat wichtige Industrien und bedeutende Bildungsstätten. Deshalb muss man über inhaltliche Überschneidungen nachdenken - aber politische Liebesheiraten gibt es nicht.

    Bei den Europawahlen war die AfD stärkste „Arbeiterpartei“. Wie wollen Sie diese Wählergruppe wieder für die SPD gewinnen?
    MÜTZENICH: Es ist bitter, dass Rechtsextreme, wie die AfD, bei den Arbeitern so stark abschneiden. Viele ihrer Wähler wissen nicht einmal genau, was die AfD inhaltlich vertritt. Manche wollen nur ihren Unmut ausdrücken. Uns ist es in den letzten Jahren nicht ausreichend gelungen, die Erfolge unserer Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich zu machen. Wir haben den Mindestlohn und das Kindergeld erhöht und während der Pandemie Entlastungen für Beschäftigte geschaffen und Arbeitsplätze gesichert. Das zeigt, dass wir die Interessen der Arbeiter vertreten.

    Muss die SPD die Sorgen und Nöte der viel zitierten „hart arbeitenden Mitte“ nicht stärker in den Mittelpunkt rücken? In den USA macht Donald Trump die Inflation zum zentralen Wahlkampfthema. Auch hierzulande ist die Verteuerung ein Riesenproblem …
    MÜTZENICH: Donald Trump ist für uns sicher kein Vorbild. Seine Politik basiert auf Spaltung und Hass, und das ist mit einer solidarischen Gesellschaft nicht vereinbar. Bundeskanzler Olaf Scholz hat genau die Sorgen und Nöte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer wieder und gerade jetzt in den Mittelpunkt seiner Politik gerückt. Der Kanzler arbeitet hart daran, Industriearbeitsplätze zu sichern, wie beispielsweise im Saarland, wo die Stahlindustrie auf den Weg zum „grünen Stahl“ gebracht wird. Das zeigt den Unterschied zwischen Olaf Scholz und Donald Trump. Ohne Herrn Trump nahetreten zu wollen, aber ich fürchte, abgesehen von ihren Wählerstimmen sind ihm die Stahlarbeiter in Pennsylvania ziemlich egal.

    Auch die Arbeitslosigkeit wird zum immer größeren Problem. Im März könnte laut Bundesagentur die Marke von drei Millionen Arbeitslosen erreicht werden. Macht Ihnen das nicht Sorgen?
    MÜTZENICH: Natürlich ist das eine Belastung, vor allem für diejenigen, die arbeitslos sind. Die Bundesagentur hat darauf hingewiesen, dass es vor allem die Menschen betrifft, die nicht ausreichend qualifiziert sind. Deshalb ist es so wichtig, dass wir – und das hat diese Regierung bereits getan – eine Ausbildungsplatzgarantie beschlossen haben. Jeder junge Mensch, der sich ernsthaft um eine Ausbildung bemüht und keinen Platz gefunden hat, hat nun Anspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildung. Auch das oft kritisierte Bürgergeld zielt darauf ab, die Qualifizierung und Nachqualifizierung in den Mittelpunkt zu stellen. Klar, wir sind noch nicht am Ziel, aber die Grundlagen sind gelegt, und da muss es weitergehen.

    Bei der Migrationspolitik steht die Ampel in der Kritik. Obwohl die Regierung Maßnahmen eingeleitet hat, dauert es oft lange, bis diese greifen. Geht alles zu langsam?
    MÜTZENICH: Ich würde mir auch eine schnellere Umsetzung wünschen. Die EU hat kürzlich einen wichtigen Fortschritt bei der gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik gemacht, insbesondere bei der Registrierung an den Außengrenzen. Aber leider konnte der Bundeskanzler beim letzten Europäischen Rat nicht erreichen, dass dies schneller umgesetzt wird. Die Kommissionspräsidentin Frau von der Leyen hilft dabei leider nicht. Mit einer gewissen Anbiederung an den europäischen rechten Block fällt sie mit unausgegorenen Vorschlägen auf. Umso wichtiger ist, dass wir in Deutschland handeln. Der Bundestag hat gerade neue Gesetze beschlossen

    Viele Kommunen beklagen wegen der Flüchtlingsunterbringung eine Überlastung und sehen sich wegen immer mehr Aufgaben seitens des Bundes, wie beim Wohngeld, kaum noch handlungsfähig. Was wollen Sie dagegen tun?
    MÜTZENICH: Das können wir nur gemeinsam lösen. Es ist wichtig, dass Bund, Länder und Kommunen besser zusammenarbeiten. Ich nehme die Sorgen der Kommunen ernst und treffe mich regelmäßig mit Landräten und Oberbürgermeistern, um ihre Herausforderungen zu verstehen. Natürlich gibt es auch Belastungen, die aus der Bundes- und Landespolitik resultieren. Wir als Bund nehmen unsere Verantwortung wahr, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Mitteln für die Flüchtlingsunterbringung. Zudem arbeiten wir an einer Altschuldenregelung, um Kommunen nachhaltig zu entlasten.

    Womit wollen die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl punkten? Was ist ihre Zukunftsvision?
    MÜTZENICH: Die Fragen der Zukunft sind dieselben wie die von heute: Der Wirtschaftsstandort Deutschland, soziale Gerechtigkeit, eine gute Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für ihre Familien. Wir setzen auf Ehrlichkeit und Anstand in der Politik. Das wird uns weiterhin auszeichnen, und ich bin überzeugt, dass wir damit das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler gewinnen können.

    Wünschen Sie sich dabei vom Kanzler mehr klare Botschaften?
    MÜTZENICH: Der Bundeskanzler musste in den vergangenen drei Jahren in schwierigsten Zeiten eine äußerst verschiedenartige Koalition immer wieder zusammenhalten, da kann man nicht jeden Tag große Sprüche machen oder auf den Tisch hauen. Gleichwohl ist der Bundeskanzler auch zu einer deutlichen Sprache in der Lage, und wenn er noch mehr Ecken und Kanten zeigen will, dann werde ich ihn dabei gerne unterstützen

    Zur Person

    Rolf Mützenich, 65, ist seit 2019 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Der promovierte Politikwissenschaftler stammt aus einer Arbeiterfamilie und war lange außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Seit 2002 ist er direkt gewählter Abgeordneter seiner Heimatstadt Köln.

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